Sonntag, 23. März 2014

Steh auf und iss! hl

Predigt von Hans Löhr am Sonntag Okuli
Predigttext: 1. Könige Kapitel 19 Verse 1-7

Liebe Gemeinde,

warst du schon mal am Ende? So ganz und gar am Ende und hast nur noch vor dich hin gesagt: »Ich kann nicht mehr! Ich kann einfach nicht mehr!«? Vielleicht warst du körperlich am Ende, weil du bis zum Umfallen arbeiten musstest. Früher in der Landwirtschaft war das keine Seltenheit. Vielleicht warst du seelisch am Ende, weil du keinen Ausweg mehr gesehen hast aus der bedrückenden Situation, in der du warst. Vermutlich kommen die meisten von uns irgendwann in ihrem Leben einmal oder mehrmals an diesen Punkt, wo man sagt: »Ich kann nicht mehr.« Dann befindet man sich in bester Gesellschaft mit Menschen der Bibel, denen es genauso ging. Ich denke an Jesus im Garten Gethsemane, kurz bevor man ihn verhaftet, gefoltert und getötet hat. Ich denke aber auch an Elia, den Propheten, von dem der heutige Predigttext erzählt. Hört also seine Geschichte:
Text: 1. Könige 19,1-12: Und König Ahab vom Reich Israel sagte seiner Frau Isebel alles, was Elia, der Prophet Gottes, getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. Isebel aber war eine Heidin und verehrte den Götzen Baal.
2 Da schickte sie einen Boten zu Elia, der ihm ausrichten sollte: "Die Götter sollen mich schwer bestrafen, wenn ich dir nicht heimzahle, was du meinen Propheten angetan hast! Morgen um diese Zeit bist auch du ein toter Mann, das schwöre ich!" 
3 Da packte Elia die Angst. Er rannte um sein Leben und floh bis nach Beerscheba ganz im Süden Judas. Dort ließ er seinen Diener, der ihn bis dahin begleitet hatte, zurück. 
4 Allein wanderte er einen Tag lang weiter bis tief in die Wüste hinein. Zuletzt ließ er sich unter einen Ginsterstrauch fallen und wünschte, tot zu sein. "Herr, ich kann nicht mehr!", stöhnte er. "Lass mich sterben! Irgendwann wird es mich sowieso treffen, wie meine Vorfahren. Warum nicht jetzt?"
5 Er streckte sich unter dem Ginsterstrauch aus und schlief ein. Plötzlich wurde er wachgerüttelt. Ein Engel stand bei ihm und forderte ihn auf: "Elia, steh auf und iss!"
6 Als Elia sich umblickte, entdeckte er neben seinem Kopf einen Brotfladen, der auf heißen Steinen gebacken war, und einen Krug Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder schlafen. 
7 Doch der Engel des Herrn kam wieder und rüttelte ihn zum zweiten Mal wach. "Steh auf, Elia, und iss!", befahl er ihm noch einmal. "Sonst schaffst du den langen Weg nicht, der vor dir liegt." 

Du bist Elia! Du bist nicht der Prophet Gottes. Aber du bist der Mensch Elia, der mit seinen Kräften am Ende ist. Der einfach nicht mehr weiter kann. Der am liebsten sterben würde. Und wenn du diese Erfahrung noch nicht gemacht hast, ist es doch gut möglich, dass du sie noch machen wirst wie jene Frau, die sieben Jahre lang ihren demenzkranken Mann gepflegt hat. In der ersten Zeit ging es ja noch einigermaßen. Aber schließlich war sie durch die Pflege nur noch überfordert. Sie hatte zwar immer wieder gebetet: „Herr, ich kann nicht mehr. Hilf mir!". Doch erst als sie zusammengebrochen war, körperlich und seelisch, hatten auch die Kinder ein Einsehen und haben dafür gesorgt, dass der Vater in ein Pflegeheim kam. Sie selbst hatte sich nicht getraut, das vorzuschlagen. Denn sie fürchtete sich vor dem Urteil der Nachbarn und der Verwandten. Da lag sie also nach dem Zusammenbruch im Krankenhaus. Jetzt waren plötzlich alle sehr besorgt um sie. Beinahe wäre es zu spät gewesen. Aber sie erholte sich noch einmal, auch wenn sie für den Rest ihres Lebens gezeichnet blieb. Später sagte sie: „Nachdem kein Mensch mir die Last hat abnehmen wollen, hat Gott das getan. Er hat mich rechtzeitig davon befreit. Gott sei Dank!"

Seelisch und körperlich am Ende war auch jener Mann, der an einer schweren Infektion gestorben ist. Er könnte noch leben, wenn er die Kraft gehabt hätte, darum zu kämpfen, wieder gesund zu werden. Aber er sah für sich selbst keine Zukunft mehr und hatte auch keinen Glauben, aus dem er sich Kraft hätte holen können. Bis zu seiner Rente wären es nur noch ein paar Jahre gewesen. Aber als die Kinder erwachsen waren, hat sich seine Frau von ihm getrennt. „Was du mir all die Jahre angetan hast, das mach ich jetzt nicht mehr mit!" sagte sie, als sie die Scheidung einreichte. Sein ohnehin labiler Gesundheitszustand verschlechterte sich. Er verlor seine Arbeit. Die vielen Bewerbungsschreiben, die er mit Ende 50 abschickte, waren erfolglos. Seine Lebensträume waren zerplatzt. Seine Lebensplanung lag in Trümmern. Nun lebte er allein. Seine Kinder beschränkten den Kontakt zu ihm auf das Nötigste. Als dann die Infektion kam, hatte er schon keinen rechten Lebenswillen mehr. Er hat sich einfach aufgegeben. Nein, diese Geschichte nahm kein gutes Ende. Da kam kein Engel, auch nicht in Gestalt eines anderen Menschen, der ihm hätte neuen Lebensmut geben können. Vielleicht aber war es auch so, dass er einfach keinen Engel mehr wollte, keine Hilfe mehr, weder von Gott noch von Menschen.

Es gibt viele solche Geschichten die sich mitten unter uns abspielen, manchmal unbemerkt, weil wir mit uns selbst genug zu tun haben und nicht auch noch die Not eines anderen sehen.

Ich möchte aber auch noch eine andere Geschichte erzählen. Vor über 50 Jahren lebte eine Frau in unseren Dörfern, deren damals noch junger Mann plötzlich gestorben ist. Nennen wir sie Gunda. Nun war sie allein mit ihren beiden kleinen Kindern und dem Bauernhof. Die Schwiegereltern lebten zwar noch, aber sie hatten nicht mehr die Gesundheit und Kraft, den Mann zu ersetzen. Sie arbeitete wie ein Pferd, um die Kinder und sich über Wasser zu halten. Aber sie merkte bald, dass sie das allein nicht schaffen würde. Auch sie sagte in mancher Nacht immer wieder vor sich hin:. »Ich kann nicht mehr. Gott, ich kann einfach nicht mehr.« Einige Zeit nach der Beerdigung, als sie ganz verzweifelt war, kam aus dem Nachbardorf ein Mann zu ihr: »Gunda, ich seh' doch, dass du das nicht schaffst. Meine Frau und ich werden dir helfen.« Und dann halfen die beiden der Gunda und ein paar andere folgten ihrem Beispiel. So konnte die Frau den Hof halten. Als sie mir das erzählte, kamen ihr die Tränen. Über 50 Jahre später hat sie diese Erfahrung immer noch tief bewegt. Und dem Mann aus dem Nachbardorf ist sie bis heute dankbar.

Bei Gunda war es der Nachbar. Bei Elia war es der Engel. Du bist der Engel. Liebe Freunde, lasst uns einander solche Engel sein. Wir wollen uns einander nicht unter den Ginsterbüschen in unserer Leidenswüste liegen lassen. Jeder von uns hat einen Auftrag von Gott, seinen Menschenbruder und seine Menschenschwester in Not zu stärken und wieder auf die Beine zu helfen. Schauen wir also gut hin. Wir werden den einen oder anderen finden, der am Ende ist mit seiner Kraft. Dem es gut tut, wenn ich mir Zeit für ihn nehme, ihm zuhöre, ihm eine Gefälligkeit erweise.

In einer Zeitschrift habe ich gelesen, was Menschen getröstet und gestärkt hat, die einen Angehörigen verloren haben. Eine Frau sagte: »Als mein Mann gestorben war, hat mir meine Nachbarin am nächsten Tag einen großen Topf Hühnersuppe vor die Tür gestellt. Das hat mich damals davor bewahrt, aus dem Fenster zu springen.«

Bei Elia war es ein Krug Wasser und ein geröstetes Brot, das ihm neuen Lebensmut und neue Lebenskraft gab. Oft sind es solche ganz einfachen Zeichen der Anteilnahme und praktischen Nächstenliebe, die einen Menschen, der am Boden liegt, dazu bringen, wieder aufzustehen und weiter zu leben.

»Steh auf, Elia, und iss!«, sagte der Engel zu ihm, »sonst schaffst du den langen Weg nicht, der vor dir liegt.« Ja, Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Essen und Trinken mit anderen, gibt Kraft für den langen Weg durch die Trauer. Das kann auch eine Tasse Kaffee sein, die ich mit jemanden trinke. Oft sind es so einfache Dinge, durch die Gott dir und mir hilft. Aber er braucht dazu Menschen, die seine Engel sind. Und solche, die auf ihn hören, wenn es heißt: „Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“

Amen

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