Sonntag, 4. Oktober 2015

Wozu glauben? hl

Predigt von Hans Löhr im Lichtblickgottesdienst.

[HL tritt mit einer brennenden Fackel und einem Eimer Wasser vor die Predigthörer:]

‚Ihr Leute, wozu glaubt ihr eigentlich? Meint ihr, euch mit dem Glauben Vorteile verschaffen zu können? Spekuliert ihr, so in den Himmel zu kommen, ins Paradies? Oder ist es die Angst, dass ihr nach dem Tod in die Hölle kommt? Ich will Feuer ins Paradies werfen, um es zu verbrennen und Wasser in die Hölle schütten, um sie auszulöschen. Alle eure Beweggründe, warum ihr glaubt, will ich auslöschen und verbrennen, damit niemand mehr Gott anbetet und an ihn glaubt aus Sehnsucht nach dem Paradies oder aus Angst vor der Hölle, sondern einzig und allein aus Liebe zu ihm.‘ [Die Fackel wird im Wassereimer gelöscht]
So sprach der Legende nach im achten Jahrhundert eine muslimische Frau zu den Leuten in Basra, im heutigen Irak. Diese Einstellung, dass man an Gott glaubt, weil man ihn liebt und nicht, weil man von ihm etwas will, nennt man Mystik. Man findet einen solchen Glauben in fast allen großen Religionen und natürlich auch im Christentum. Da berufen sich die Mystiker, also Menschen, die sich in der Liebe zu Gott versenken, ganz in sie eintauchen, weil sie sich selbst von Gott geliebt wissen, – diese Menschen also berufen sich auf Jesus selbst, der jedem, der glauben will, geboten hat:
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe und mit deinem ganzen Verstand! (Matthäus 22,37)«. Das, so fügt er hinzu, ist das größte und wichtigste Gebot überhaupt.

Wie geht das, Gott lieben?

Doch wie geht das, Gott lieben? Ich meine, das geht nicht einfach so. Du kannst nicht beschließen: Ab sofort liebe ich Gott. Das ist so wie auch unter uns Menschen. Die Liebe, die du ursprünglich zu deinem Partner oder zu deiner Partnerin gefühlt hast, war keine Vernunftentscheidung. Sie kam einfach über dich, hat dich überwältigt. Du hast dich in ihren Bann ziehen lassen, weil du für die Liebe bereit warst, weil du dein Herz für sie geöffnet hattest, statt dich zu verschließen. Und dann hast du an deinem Verhalten gemerkt, dass du diesen Menschen liebst. Du wolltest möglichst oft in seiner Nähe sein. Du hast dich gefreut, wenn du an den geliebten Menschen gedacht hast, erst recht, wenn du mit ihm zusammen warst. Hast dir so viel Zeit für ihn genommen, wie möglich und hast diese gemeinsame Zeit genossen. Hast mit ihm gesprochen und mit ihm geschwiegen. Hast erzählt und zugehört. Du hast ihm Komplimente gemacht. Du hast ihm ganz und gar vertraut, hast dein Herz geöffnet, hast ihn Anteil nehmen lassen an deinem Leben, an deinen Freuden und Sorgen, hast dich von deiner besten Seite gezeigt, hast ihm Geschenke gemacht, hast nicht in erster Linie an dich gedacht, sondern an den Menschen, den du liebst. Und natürlich hast du ihm eine Liebeserklärung gemacht. All das und noch viel mehr waren und sind Zeichen deiner Liebe.
Und so ist es auch mit der Liebe zu Gott. Auch da kann man nicht einfach beschließen: Ab sofort liebe ich Gott, weil das vernünftig ist. Auch diese Liebe muss über dich kommen, dich überwältigen. Wie es dazu kommt, lässt sich schwer in Worte fassen. Ich glaube, das geschieht durch Gottes Liebe zu dir, die dich verändert und in ihren Bann zieht. Ganz so wie es in der Bibel steht, wo es heißt: »Lasst uns Gott lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. (1. Joh. 4,19)«
Und auch das ist nur möglich, wenn du dich ihm gegenüber nicht verschließt, sondern ihm dein Herz öffnest. Und plötzlich spürst du, wie gut es dir tut, in Gottes Nähe zu sein. Du nimmst dir mit einem Mal Zeit für ihn. Sprichst mit ihm im Gebet, schweigst mit ihm, hörst ihm zu, was er dir durch die Bibel sagt. Du machst ihm Komplimente, indem du ihn mit Liedern lobst und preist. Du vertraust dich ihm ganz und gar an, lässt Gott Anteil nehmen an deinem Leben, an deinen Freuden und Sorgen, schenkst ihm Zeit, machst ihm eine Freude, indem du dich von deiner besten Seite zeigst und tust, was ihm gefällt, forderst nicht sofort seine Hilfe ein, sondern sagst ihm, wie sehr du dich freust, dass du ihn kennst und liebst und wie glücklich du bist, dass er dich liebt.

Wie liebt mich Gott?

Ja, ich glaube, dass Gottes Liebe meine Liebe zu ihm heraus lockt. Doch wie liebt mich Gott?
Auf der Insel Saint Honorat vor der Küste Südfrankreichs steht eine Statue des heiligen Antonius und erinnert an eine Legende: Ein Graf, bei dem Antonius zu Gast war, sah ein so helles Licht aus dessen Zimmer leuchten, dass er einen Brand vermutete. Als er die Tür aufriss, stand vor ihm der junge Mönch und hatte das Jesuskind auf dem Arm [Bild der Statue einblenden]. Diesen Augenblick zeigt die Statue. Und wenn man genau hinschaut, erfährt man noch einiges mehr: Der Kopf des Antonius und der des Jesuskindes berühren sich zärtlich. Ein Zeichen großer Innigkeit. Das Kind hat eine Lilie in der Hand, das Symbol der Erlösung durch einen Unschuldigen. Es sitzt auf der Bibel des Antonius, so, als ob es da herausgewachsen wäre. Und so kann man sagen, dass Antonius in der Bibel entdeckt hat, wie sehr Gott ihn durch Jesus Christus liebt. Durch ihn lockt Gott auch meine Liebe zu ihm heraus wie er sie aus dem Antonius herausgelockt hat. Aus der Bibel erfahre ich, dass der liebende Gott mich von allen Seiten umgibt, dass er mir das Leben geschenkt hat und es bis zu dieser Stunde erhält. Dass er mich in jedem Augenblick hebt und trägt, umsorgt und behütet. Aus der Bibel erfahre ich, dass er mir durch Jesus vergibt, was mich von ihm trennt und selbst der Tod die Gemeinschaft mit ihm nicht zerstören kann.
Jeder Mensch braucht Liebe, braucht das Gefühl, dass ihn jemand gern hat und wertschätzt trotz all seiner Fehler und Schwächen, auch trotz seiner Schuld, sonst ist das Leben kein Leben. Vielleicht vermisst du diese Liebe, diese Zuneigung und Zuwendung, weil dein Partner oder deine Partnerin kalt und abweisend ist, nur fordert und nicht gibt, weil man dich auf der Arbeit rüde behandelt, weil dich deine großen Kinder vergessen, weil die Nachbarn nicht grüßen…
Oft, aber nicht immer, hilft, dass wenigstens du dann freundlich und liebenswürdig bleibst, statt dich beleidigt, verletzt und enttäuscht zurückzuziehen. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Wie soll man denn die Kraft aufbringen, zu lieben, wenn man selbst nicht geliebt wird?

Die Kraft, zu lieben.

Vorgestern war ich in Nürnberg auf der Beerdigung meines Ausbildungsleiters und ersten Dekans, des von mir geschätzten Pfarrers und Freundes Wolfgang Dietzfelbinger. Das Bibelwort, das er sich für seine Trauerfeier ausgesucht hatte, steht beim Propheten Jeremia im Kapitel 31: So spricht Gott: »Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.« Dieses Wort war sozusagen das Lebensmotto von Wolfgang. Er wusste sich von Gott geliebt und strahlte das auch auf andere Menschen aus. Ich wünsche mir sehr, dass diese Liebeserklärung Gottes auch zu meinem und zu deinem Lebensmotto wird. Was ist das nicht für ein wunderbares Geschenk, wenn du unabhängig davon, wie andere Menschen zu dir sind, in Gottes Liebe geborgen bist, es sei im Leben, im Leiden oder im Sterben! Daraus, liebe Freunde, schöpfen wir die Kraft, Gott wieder zu lieben, aber auch unsere Mitmenschen, selbst dann noch, wenn du von ihnen nicht geliebt wirst.
Ich erinnere noch einmal an die Eingangsfrage: Wozu glauben? Ich habe darauf folgende Antwort gefunden: Um der Liebe willen. Aus Liebe zu Gott, will ich glauben, der mich und dich seit jeher geliebt hat und immer noch liebt.

Gott lieben von ganzem Herzen und mit aller Kraft, wie Jesus gesagt hat, ist aber auch gefährlich. Ihn hat das ans Kreuz gebracht und viele Mystiker in vielen Religionen, die die Liebe zu Gott in den Mittelpunkt ihres Glaubens gestellt haben, wurden von den Religionsführern oft grausam verfolgt. Denn wer Gott liebt, weil er sich von ihm geliebt weiß, stellt den ganzen sonstigen Religionsbetrieb mit seinem Gewese und Gehabe infrage. Da wird plötzlich so vieles, wenn nicht sogar alles andere verzichtbar, auch der Papst, der Landesbischof, der Dekan, der Pfarrer, die ganze Kirchenorganisation mitsamt ihren Vorschriften und Gesetzen. Man muss sie alle nicht gleich abschaffen solange sie das leisten, wofür sie da sein sollten, nämlich den Menschen aus Liebe zu dienen. Denn vor der Liebe zu Gott und vor Gottes Liebe zu dir wird alles andere zweitrangig und verzichtbar.

Und so schließe ich mit der Bitte: Sei offen für Gottes Liebe, nimm dieses Geschenk an, das für dich in der Krippe liegt und am Kreuz hängt, damit du ihn wieder lieben kannst und deinen Nächsten wie dich selbst. Amen

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