Freitag, 14. Oktober 2016

Liebe im Zwielicht hl

Losung: Mein Volk tut eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben. Jeremia 2,13

Lehrtext: Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser? Johannes 4,11

Liebe Leserin, lieber Leser,

lies bitte zunächst den wesentlichen Teil der Geschichte, in der der heutige Lehrtext steht:
»Müde von der langen Wanderung setzte sich Jesus an den Brunnen. Es war gerade Mittagszeit. Da kam eine Samariterin (vergleichbar einer muslimischen Flüchtlingsfrau bei uns in Deutschland) aus der nahe gelegenen Stadt zum Brunnen, um Wasser zu holen. Jesus bat sie: "Gib mir etwas zu trinken!" Die Frau war überrascht, denn normalerweise wollten die Juden nichts mit den Samaritern zu tun haben. Sie sagte: "Du bist doch ein Jude! Wieso bittest du mich um Wasser? Schließlich bin ich eine samaritische Frau!" Jesus antwortete ihr: "Wenn du wüsstest, was Gott dir geben will und wer dich hier um Wasser bittet, würdest du mich um das Wasser bitten, das du wirklich zum Leben brauchst. Und ich würde es dir geben." "Aber Herr", meinte da die Frau, "du hast doch gar nichts, womit du schöpfen kannst, und der Brunnen ist tief! Woher willst du dann das Wasser für mich nehmen? Jesus erwiderte: "Wer dieses Wasser trinkt, wird bald wieder durstig sein. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, der wird nie wieder Durst bekommen. Dieses Wasser wird in ihm zu einer Quelle, die bis ins ewige Leben hinein fließt."« (Johannes 4,11-14)
Wenn ich den frommen Lack von dieser Geschichte abkratze, mit dem sie im Lauf der Jahrhunderte überpinselt worden ist, kommt darunter ein unangepasster Jesus zum Vorschein. Er war so ganz und gar frei, dass er sich nicht um die damaligen gesellschaftlichen Konventionen, religiösen Normen und den gültigen Anstand scherte. Auch nicht um das Zwielicht, in das ihn sein Gespräch mit der Frau am Brunnen tauchte. Und heute schert er sich auch nicht darum. Das sei denen gesagt, die glauben, ihn in ihre moralische, kirchliche, konfessionelle Tasche stecken zu können. Er lässt sich in niemands Tasche stecken. Er bleibt für uns Menschen immer auch sperrig und fremd. So ruft er uns aus unseren Denk- und Glaubensgewohnheiten heraus. Auch heute.
Die Frau, die er anspricht, lebt schon zum sechsten Mal mit einem Mann zusammen. Verheiratet ist sie nicht. Die Bibel verzichtet darauf, die Hintergründe zu erzählen. Aber so viel ist klar, eine solche Frau spricht ein Mann nicht an, damals sowieso nicht. Und auch heute kommt man da bei manchen Leuten schnell in Verruf. Außerdem war sie eine Ausländerin mit einer anderen Religion. Was wollte also der Mann Jesus von ihr? Das hat sie sich gedacht und ihn danach gefragt. Und dann diese unerwartete, befremdliche Antwort: »Wenn du wüsstest, was Gott dir geben will und wer dich hier um Wasser bittet, würdest du mich um das Wasser bitten, das du wirklich zum Leben brauchst. Und ich würde es dir geben.« Gott will dieser Frau etwas geben. Nein, keine Strafe. Keine Verachtung. Sondern er will ihre tiefe Sehnsucht nach einer Liebe stillen, die mehr ist als gewohnheitsmäßiger Sex, mehr als ein langweiliges Verhältnis, mehr als ein pragmatisches Zusammenleben, weil sich eben was Besseres nicht ergeben hat.
Das alles sieht Jesus in den Augen der Frau. Und er weiß: Ich selbst bin für sie dieses Geschenk Gottes, die innere Quelle, dieses Wasser des Lebens, das die tiefe Sehnsucht nach Liebe stillt. Er verlangt nicht von ihr, dass sie erst ihr Leben radikal ändert. Er schenkt ihr seine Liebe mitten in die alten Verhältnisse hinein, mitten in ihr bisheriges Leben hinein und will sie so von ihrem brennenden Durst, von ihrer unerfüllten Sehnsucht erlösen.
Ich glaube, bis heute ist er dieses Gottesgeschenk, diese innere Quelle für Menschen, die eine Sehnsucht haben, welche über das alltägliche Leben in dieser Welt hinausreicht. Die sich nicht abspeisen lassen mit Karriere und Konsum. Die sich nicht zufrieden geben mit dem, was halt gerade so ist. Die sich nach einer Liebe sehnen, die ein Menschenleben erfüllt.
Und so ist es eine große Tragödie, dass so viele die »lebendige Quelle« verfehlen und woanders ihr Glück, woanders die Erfüllung ihrer Sehnsucht suchen und doch nicht finden (Losung). Vielleicht ist es sogar so, dass sich jeder Mensch ein Leben lang nach einer tiefen Liebe sehnt. Aber ich kann mir diesen Wunsch nicht selbst erfüllen, nicht durch Leistung, nicht durch Geld, nicht durch Anstand, nicht mit Zwang, nicht mit lieblosem Sex. Ich kann mich nur mit Liebe beschenken lassen und einem anderen darin zuvorkommen. Und wo einer dem andern dieses Geschenk macht, scheint etwas auf von der himmlischen Liebe, die jedem geschenkt ist und nur darauf wartet, dass ich sie für mich annehme.

Gebet:  Herr, da sind so viele Dinge, die ich gerne hätte. Und wenn ich sie dann habe, verfliegt ihr Reiz und sie können nicht halten, was ich mir von ihnen versprochen habe. Ich weiß das und falle doch immer wieder darauf herein. Doch du willst meine innere Quelle sein, die nicht versiegt, die täglich meinen Durst nach Liebe und Anerkennung stillt und mir ein erfülltes Leben schenkt. So halte ich dir meine leeren Hände hin, mein leeres Herz und warte darauf, dass du es füllst. Amen

Herzliche Grüße

Ihr / dein Hans Löhr 

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