Sonntag, 22. Januar 2017

Jesus in der Abstellkammer (Predigt) hl

Liebe Freunde,

soll nur einer sagen, wir Franken wären nicht einfallsreich. So gibt es seit kurzem für das Smartphone, den kleinen Taschencomputer, mit dem man nicht nur telefonieren, sondern noch alles Mögliche machen kann, den schönen fränkischen Ausdruck: Wischkästla.
Heutzutage muss ja jeder so ein Wischkästla haben, wenn er gerade mal 10 Jahre alt ist. Und selbst Rentner können darauf nicht verzichten, wenn sie mit den Jüngeren noch mithalten wollen.
Wie unschwer zu erraten, habe also auch ich so ein Ding. Am Donnerstag hat mir jemand ein Foto auf mein Wischkästla geschickt und darunter geschrieben: „Jesus in der Abstellkammer.“ Man sieht auf dem Bild allerlei Gerümpel und dazwischen ein paar Kreuze, die irgendjemand entsorgt hat, weil er sie nicht mehr braucht und weil man heutzutage niemandem mehr ein Kruzifix schenken will. Also füllen sich die Abstellkammern in unserem Land zunehmend mit Kreuzen. Ab und zu, wenn auch sehr selten, bringt jemand so ein Kruzifix ins Pfarrhaus, weil er sich scheut, es wegzuwerfen. Er hofft dann, dass der Pfarrer schon irgendwie eine Verwendung dafür haben werde. Aber das ist wie ‚Holz in den Wald tragen‘. Und was mach ich? Offengestanden, ich stell es dann zu den anderen Kreuzen, die schon meine Vorgänger geschenkt bekommen haben, auf den Dachboden. Auch ich habe eine Hemmung, ein Kruzifix einfach in den Mülleimer zu werfen.
Also stehen nun diese Kreuze und Kruzifixe entweder auf dem Dachboden oder in der Abstellkammer. Warum mir der Bekannte dieses Foto geschickt hat, weiß ich nicht. Ich habe kurz überlegt, was ich ihm antworten könnte und hab dann folgendes zurückgeschrieben:
„Jesus in der Abstellkammer? – Ja, da will er auch sein zusammen mit den Menschen, die von anderen als Gerümpel angesehen werden, weil sie nicht so viel her machen oder nicht mithalten können und deshalb in die Abstellkammern der Gesellschaft verbannt worden sind. Dein Bild regt mich an, darüber mal zu predigen vielleicht schon am nächsten Sonntag.“ Und das geschieht jetzt. Ihr habt also diese Predigt jenem Bekannten zu verdanken.
Ja, liebe Gemeinde, so war das schon als Jesus auf der Erde war. Er hat insbesondere die Menschen in den Rumpelkammern der damaligen Gesellschaft aufgesucht, um ihnen dort nahe zu sein und zu helfen.
So wurde ihm zum Beispiel vorgeworfen, dass er sich zu Fressern, Weinsäufern und Huren an den Tisch setzt, um mit ihnen zu essen. Dass er sich also mit Sündern gemein macht. Ja, das hat er getan. Ganz bewusst. Er suchte Menschen auf, die am Rande der Gesellschaft leben mussten und als verloren galten. Darum ging er auch zu den Lepra-Kranken, die man in den Schluchten und Wüsten ausgesetzt hatte und die deshalb ‚Aussätzige‘ hießen. Er gab sich mit Geisteskranken ab, um die viele einen Bogen machten. Er kümmerte sich um Blinde und Verkrüppelte und immer wieder um Menschen, die man Sünder nannte, weil sie aus dem Rahmen fielen.
Seine Jünger, und damit auch uns hier, hält er dazu an, sich um die Menschen in den Abstellkammern zu kümmern, um die Hungrigen und Einsamen, um die Kranken und Gefangenen, um die Obdachlosen und Ausländer und fügt den Satz hinzu, der wie ein Stolperstein in unserem Weg liegt: »Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern und Schwestern Gutes tut, das tut ihr mir.«
Und dann, liebe Freunde, wurde unser Herr Jesus Christus selbst als Gerümpel, als Abfall verachtet. Man hat ihn bespuckt, beleidigt, gequält und schließlich zwischen zwei anderen Abfallmenschen ans Kreuz gehängt. Da konnten dann die braven Bürger von Jerusalem ihm noch einmal ihre ganze Verachtung zeigen. Er hatte ja keine Möglichkeit mehr, sich zu wehren.
Ja, so war das: Gott, der Herrscher des Universums, der sich den Menschen in dem kleinen Kind in der Krippe zeigt, endet in unserer Welt als Abfall am Kreuz. Das ist die Wahrheit über ihn und letzten Endes auch über uns. Denn wer von uns könnte schon seine Hand dafür ins Feuer legen, dass er damals, hätte er in Jerusalem gelebt, sich anders verhalten hätte als die Menschen, die Jesus gekreuzigt haben?
Und nun, 2000 Jahre später, wird Jesus am Kreuz in Gestalt eines Kruzifixes wieder in eine Abstellkammer abgeschoben, dorthin, wo diejenigen, die mit ihm nichts anfangen können, meinen, dass er hingehört; dorthin, wo er in dieser Welt schon immer war und sein will: Nicht als Dekoration für die Mächtigen und Reichen, sondern als Zeichen für diejenigen, die sich selbst am Rand der Gesellschaft erleben, die sich selbst abgestellt, ja weggeworfen vorkommen.
Und wie ist das nun mit dir und mir? Hören wir das mit mehr oder weniger Interesse? Oder spüren wir auch ein wenig Betroffenheit, weil vielleicht jeder schon einmal erlebt hat, dass er plötzlich nicht mehr dazu gehörte und an den Rand gedrängt worden ist?
Hand aufs Herz, wer ist denn schon so selbstsicher, wie er sich nach außen gibt? Wie sieht‘s denn wirklich in uns aus?
·  Da lebst du vielleicht schon seit vielen Jahren in einer Partnerschaft und musst merken, dass der andere an dir kein Interesse mehr hat.
·  Da hast du vielleicht eine alte Mutter, die dich noch immer von oben herab behandelt wie du von ihr schon als Kind behandelt worden warst.
·  Da spürst du, wie du immer mehr an den Rand der Gesellschaft gerätst, weil du jetzt eben nur noch ein Rentner bist, von dem man sich nichts mehr erwartet und der auch keinen Einfluss mehr hat.
·  Da hast du den Eindruck, dass dich die Eliten des Staates vergessen haben und es ihnen egal ist, wie es dir geht und was du denkst,
·  Da bist du tagsüber der starke Mann. Aber nachts wachst du mit Angstschweiß auf der Stirn auf und machst dir Sorgen, was wohl wird, wenn du richtig alt bist, wenn du dann vielleicht völlig auf andere angewiesen bist, weil du dir selbst nicht mehr helfen kannst oder wenn du gar dement bist?
·  Andere machen sich Sorgen um ihre Kinder oder Enkel.
·  Andere um ihre Gesundheit.
·  Andere um ihren Arbeitsplatz, um ihre finanzielle Situation,
·  oder sie fühlen sich schlecht, weil sie im Leben das nicht geschafft haben, was sie sich vorgenommen hatten, weil sie versagt haben oder schuldig geworden sind und was auch immer.
Da kann es dann schon sein, dass du dich in der Abstellkammer des Lebens vorfindest, während die Musik woanders spielt.
Aber da kann es auch sein, dass dir zum ersten Mal in deinem Leben Gott so richtig nahe kommt und du verstehst, warum Jesus für den Glauben so wichtig ist.
·      Mögen andere dich zur Seite schieben. Er tut‘s nicht.
·      Mögen andere dich irgendwo abstellen. Er tut‘s nicht.
·      Magst du für andere nur noch Luft sein. Für ihn bist du der Mensch, den er liebt und für den er da sein will.
·      Er lässt dich deinen Wert, den du bei Gott hast, erkennen.
·      Er achtet deine Menschenwürde, die dir niemand nehmen darf, weil Gott sie dir gegeben hat.
·      Er kann deinem Leben einen neuen Sinn geben und dich erkennen lassen, dass du noch immer allen Grund hast, dankbar zu sein und dich deines Lebens zu freuen.
Am Freitag wurde Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Er ist nun der mächtigste Mann der Welt. Vor der Vereidigung hat er, wie es in den USA üblich ist, einen Gottesdienst besucht. Ob er sich darüber Gedanken gemacht hat, zu wem er da in die Kirche kam? Ob er das Bild des Gekreuzigten angeschaut und in ihm den Menschen gesehen hat, der von den Mächtigen verfolgt, verhaftet, gefoltert, verurteilt und hingerichtet worden ist? Ob er in diesem Menschen den Welterlöser erblickt hat, auch seinen ganz persönlichen Erlöser? Ob er nur ein für ihn nichtssagendes Ritual absolviert hat oder ob er Jesus Christus demütig um seine Hilfe, um seinen Geist, um seinen Segen gebeten hat?
Ich weiß es nicht.
Aber ich weiß, dass sich Jesus in erster Linie nicht bei den Milliardären, bei den Mächtigen, bei den Schönen, bei den Berühmten aufgehalten hat, sondern bei den Menschen in den gesellschaftlichen Abstellkammern, bei den Geringsten von seinen Brüdern und Schwestern.
Ich weiß, wer ihn dort nicht suchen will, wird ihn nirgends finden. Ich weiß, dass das auch für mich gilt.
Ich weiß aber auch, dass alle diese Menschen, die sich im Licht der Öffentlichkeit sonnen, ihre Schattenseiten haben. Und dass nicht wenige von ihnen insgeheim ihre Abstellkammer-Erfahrungen machen, von Abstiegsängsten geplagt werden, von Verlustängsten, vom Neid der anderen und von ihren ganz persönlichen Schwächen und geheimen Niederlagen. Auch Donald Trump. 
Und wenn er dann in seiner privaten Abstellkammer sitzt, so muss auch er nicht einsam sein, wenn er will, wenn er bereit ist, sich vor Jesus auf eine Stufe zu stellen mit den Illegalen aus Mexiko, den kriminellen Schwarzen aus den Gettos, den Schwulen aus San Francisco, den Menschen, die den Arzt nicht bezahlen können, mit seinen politischen Gegnern und allen, die er in der Öffentlichkeit angegriffen hat und die er am liebsten in die Abstellkammern seines Landes abschieben möchte.
Jesus in der Abstellkammer? Ein gutes Bild, ein wichtiges hat man mir da auf mein Wischkästla gesendet. Es hilft mir zu verstehen, wer Gott ist, was er will und wo er sich finden lässt. Amen

Hans Löhr 

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