Sonntag, 30. September 2018

Worauf es ankommt (Predigt) hl

Predigt von Hans Löhr am 18. Sonntag nach Trinitatis in Thann und Sommersdorf. Predigttext: Jakobus 2,1-9

Liebe Gemeinde,

ich habe jahrelang in der Großstadt München gelebt und dort als Pfarrer gearbeitet. Es hat mir dort durchaus gefallen. Aber das Leben in Sommersdorf gefällt mir auch. Darum bin ich mit meiner Familie nicht mehr in die Großstadt zurückgegangen. Zu den Dingen, die mir hier in der Gemeinde besonders gefallen, gehört, dass es in unseren Dörfern noch einen Zusammenhalt gibt. Das zeigt sich auch daran, dass verhältnismäßig viele Leute zu einer Beerdigung kommen und dem Verstorbenen ein letztes Geleit geben. Und das ist unabhängig davon, ob die Person reich oder arm war, ob sie etwas gegolten hat oder ein eher unscheinbares Leben geführt hat, ob sie für andere ein Vorbild war oder ob sie mit ihren eigenen Schwierigkeiten und vielleicht auch mit einer Sucht kämpfen musste.
     Das ist in der Großstadt anders. Da nehmen in der Regel nur noch die nächsten Angehörigen an einer Trauerfeier teil. Es sei denn, es handelt sich um eine bedeutende Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Dann ist auch dort der Friedhof schwarz von Menschen.
     Es mag unterschiedliche Gründe geben, warum bei uns viele zu einer Beerdigung kommen. Einer der wichtigsten ist für mich, dass man in unserer Gemeinde einem Verstorbenen, egal wie bedeutend oder unbedeutend er im Leben gewesen sein mag, „die letzte Ehre“ erweist. Und selbst, wenn er dement war, so „ehrt man doch den Menschen in ihm“ (Balzac). Ja, das gefällt mir und das schätze ich, weil es nicht mehr selbstverständlich ist.
     So also ist es, wenn einer gestorben ist. Aber wie ist es im Leben? Bekommen da von uns alle die gleiche Wertschätzung oder messen wir mit unterschiedlichen Maßstäben?
     Hört aus dem Bibelwort für die heutige Predigt, wie sich die ersten Christen damals verhalten haben und wie sie miteinander umgegangen sind, mit den Reichen und den Armen, den Bedeutenden und den Unbedeutenden. So heißt es im Brief des Jakobus im Kapitel 2:

Liebe Brüder und Schwestern! Ihr glaubt doch an unseren Herrn Jesus Christus, dem allein alle Herrlichkeit zusteht. Dann lasst euch nicht vom Rang und Ansehen der Menschen beeindrucken2 Stellt euch einmal vor, zu eurem Gottesdienst kommt ein vornehm gekleideter Mann mit goldenen Ringen an seinen Fingern. Zur selben Zeit kommt einer, der arm ist und schmutzige Kleidung trägt. 3 Wie würdet ihr euch verhalten? Ihr würdet euch von dem Reichen beeindrucken lassen und ihm eifrig anbieten: »Hier ist noch ein guter Platz für Sie!« Aber zu dem Armen würdet ihr sicherlich sagen: »Bleib stehen oder setz dich neben meinem Stuhl auf den Fußboden.« 4 Habt ihr da nicht mit zweierlei Maß gemessen und euch in eurem Urteil von menschlicher Eitelkeit leiten lassen? 5 Hört mir gut zu, liebe Brüder und Schwestern: Hat Gott nicht gerade die erwählt, die in den Augen dieser Welt arm sind? Sie sollen im Glauben reich werden und einen Platz in Gottes Reich haben, das er allen zugesagt hat, die ihn lieben. 6 Ihr dagegen behandelt die Armen geringschätzig. Habt ihr denn noch nicht gemerkt, dass es gerade die Reichen sind, die euch unterdrücken und vor die Gerichte schleppen? 7 Wie oft sind gerade sie es, die Jesus Christus verhöhnen, auf dessen Namen ihr getauft seid! 8 Lebt nach dem wichtigsten Gebot in Gottes Reich: »Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!«2 Wenn ihr das in die Tat umsetzt, handelt ihr richtig. 9 Beurteilt ihr dagegen Menschen nach unterschiedlichen Maßstäben, dann macht ihr euch schuldig.

  Mir kommt das irgendwie bekannt vor, dass man sich vom Rang und Ansehen eines Menschen beeindrucken lässt und dem einen Hochachtung entgegenbringt und den anderen geringschätzig behandelt. Das ist heute noch genauso wie es damals war. Irgendwie scheint es zur Natur des Menschen zu gehören, dass man zu einer höher gestellten Person respektvoll aufblickt, aber auf einen, der es zu nichts gebracht hat, abschätzig herunterschaut.
     Doch die Bibel sagt, dass wir uns als Christen gerade in diesem Punkt von anderen unterscheiden sollen. Wir sollen an uns arbeiten, dass wir zu jedem Menschen in gleicher Weise freundlich, zuvorkommend und höflich sind ohne Ansehen der Person, ihres Standes, ihres Vermögens, ihres Einflusses oder ihrer Machtposition.
     Aber warum? Jakobus nennt in seinem Brief zwei Gründe.
     Zum einen sagt er: Ihr glaubt doch an unseren Herrn Jesus Christus, dem allein alle Herrlichkeit zusteht. Dann lasst euch nicht vom Rang und Ansehen der Menschen beeindrucken! Mit anderen Worten: Ihr habt nur einen Herrn, der über euch ist. Die Herren dieser Welt aber stehen mit euch vor Gott auf derselben Stufe. Sie sind genauso sterblich wie ihr. Sie machen genauso Fehler wie ihr. Sie haben ebenso Schwächen wie ihr und sind wie ihr darauf angewiesen, dass Gott ihnen ihre Sünden vergibt. Sie mögen vielleicht reicher oder berühmter sein als ihr, aber bei Gott sind sie nicht mehr wert als ihr es seid. Und darum sollt ihr euch ihnen gegenüber auch nicht minderwertig fühlen.
     Als zweiten Grund nennt Jakobus das wichtigste Gebot, das da heißt: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« Mit anderen Worten: Sei nicht nur den einflussreichen Personen gegenüber hilfsbereit, höflich und zuvorkommend, sondern sei es genauso zu einem unscheinbaren Mitmenschen, der nach den Werten dieser Welt keine besondere Bedeutung hat. Miss also nicht mit zweierlei Maß, denn es gibt keine Nächstenliebe zweiter Klasse. Oder möchtest du, dass Gott diejenigen mehr liebt als dich, die eine bessere Ausbildung haben, mehr Geld verdienen, die begabter oder frömmer,  jünger oder gesünder sind als du?
     Nein, das willst du natürlich nicht, zu Recht. Aber ebenso zu Recht erwartet Gott von mir und von dir, dass wir es ihm gleich tun und uns ebenfalls denen besonders zuwenden, die unsere Zuneigung, unsere Zeit und unsere Hilfsbereitschaft brauchen. Und das sind vor allem Kinder, aber auch alte und einsame Menschen.

      Ein Mann besucht jeden Vormittag seine schwer demenzkranke Frau in einem Pflegeheim, wo sie professionell betreut wird. Er sitzt neben ihr im Stuhl, hält ihre Hand und erzählt aus ihrem langen gemeinsamen Leben. Wenn das Essen kommt, füttert er sie. Wenn sie aufs Klo muss, begleitet er sie. So macht er es Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, schon drei Jahre. Eines Tages fragt ihn eine Pflegerin: „Warum machen Sie das nur? Ihre Frau kennt sie doch gar nicht. Sie weiß nicht mehr, wer sie sind. Da könnten Sie doch ihre Zeit mit etwas Besserem verbringen.“ Der Mann antwortete: „Nein, das könnte ich nicht. Sie weiß zwar nicht mehr wer ich bin, aber ich weiß ganz genau, wer sie ist und wer sie für mich war. Es stimmt, sie kann mich jetzt nicht mehr lieben. Aber ich kann sie nach wie vor lieben und das tue ich auch. Darum bin ich hier.“

     Und darum, liebe Freunde, sind auch wir hier auf dieser Welt, damit wir nicht die lieben, die unsere Liebe verdient haben, sondern die sie brauchen. Ein Kind kann sich unsere Liebe nicht verdienen. Es ist darauf angewiesen, dass wir sie ihm schenken. Jemand, der hingefallen ist, kann sich meine Hilfe nicht verdienen. Er ist darauf angewiesen, dass ich ihm wieder auf die Beine helfe, einfach so. Ein Sterbender kann meine Zeit nicht kaufen, die ich bei ihm verbringe. Er ist darauf angewiesen, dass ich sie mit ihm teile. So auch Gott. Er liebt mich nicht, weil ich mir das verdient habe. Er wendet sich mir zu, weil ich seine Liebe brauche. Darum ist er hier. Darum ist er bei dir. Jetzt in diesem Augenblick. Und selbst wenn du ihn nicht kennst, er kennt dich. Und darauf kommt es an. Amen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen