Sonntag, 19. Juli 2020

Gott-Mensch-Tier hl

Losung: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Psalm 8,5 

Lehrtext: Wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen. Epheser 2,10 

Liebe Leserin, lieber Leser, 

heute geht es wieder mal ans Eingemachte. Bitte lies zuerst den Psalm 8, aus dem die Losung kommt: 

»Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist da schon der Mensch, dass du an ihn denkst? Wie klein und unbedeutend ist er, und doch kümmerst du dich um ihn (Losung). Du hast ihn nur wenig niedriger gemacht als Gott, ja, mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deine Geschöpfe. Alles hast du unter seine Füße getan: die Schafe und Rinder, die wilden Tiere, die Vögel am Himmel, die Fische im Wasser und alles, was die Meere durchzieht. HERR, unser Herrscher! Die ganze Welt spiegelt deine Herrlichkeit wider 

     Viele Jahre hat mir der Psalm 8 gut gefallen. Als Pfarrer erteilte ich auch Religionsunterricht an einem Gymnasium. Da habe ich in der Kollegstufe zum Thema Anthropologie (Lehre vom Menschen) immer auch diesen Psalm durchgenommen und versucht, den Schülerinnen und Schüler nahezubringen, wie positiv doch die Bibel vom Menschen spricht.

     Heute bleiben mir solche Worte im Hals stecken. Man kann dem Verfasser dieses Psalms keinen Vorwurf machen, weil er nicht wissen konnte, welch schreckliche Wirkungsgeschichte seine Worte haben würden. Ich kann es wissen.

     Die Bibel geht ja ganz selbstverständlich davon aus, dass der Mensch „die Krone der Schöpfung“ (Psalm 8,6) sei und sich von den Tieren grundsätzlich unterscheide. Deshalb dürfe er auch uneingeschränkt über sie herrschen. Das wurde und wird dann bis heute so verstanden, dass man mit den Tieren machen könne, was man wolle. Schließlich hat sie ja Gott »unter unsere Füße getan«. Aber darf man sie deshalb mit Füßen treten? 

Das Menschentier 

     Die Menschen der Bibel und auch später bis weit ins 19. Jahrhundert wussten nichts davon, dass auch der Mensch ein Tier ist. Erst seit wenigen Jahrzehnten weiß man, dass er zum Beispiel 98 Prozent der Gene mit einem Schimpansen und immer noch 90 Prozent der Gene mit einem Schwein gemeinsam hat. Jahrhunderttausende lang befand sich das Menschen-Tier in der Mitte der Nahrungskette, war nicht nur Jäger, sondern auch Gejagter bis es sich dank der Entwicklung seines Gehirns und damit der Sprache langsam an deren Spitze hochgearbeitet hatte. So wurde es zum gefürchtetsten und grausamsten Raubtier bis heute.

     Mir ist schon klar, dass das viele nicht gerne hören, lesen und schon gar nicht wahrhaben wollen. Aber soll ich es deshalb verschweigen? Soll man deshalb die Wissenschaften und auch die Theologie auf den Müllhaufen werfen, nur damit wir die Illusion behalten können, wir Menschen seien etwas Besseres? Es mag ja stimmen, dass der Psalm 8 ursprünglich positiv gemeint war. Aber, wie gesagt, seine Wirkungsgeschichte war und ist verheerend. Wer sich mit dem Thema eingehender beschäftigen möchte, dem empfehle ich zum Beispiel die Bücher „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari und besonders „Tiere denken“ von Richard David Precht. 

Gott, der ganz Andere 

     Im Licht solcher Erkenntnisse liest sich Psalm 8 ganz anders. Dass der Mensch »wenig niedriger sei als Gott«, das sollte spätestens nach Auschwitz und Hiroshima niemand mehr sagen. Gott ist nicht ein höherer Mensch. Und der Mensch ist nicht ein etwas niedrigerer Gott. Zwischen ihm und uns gibt es keinen quantitativen Unterschied, keine verschiedene Größenordnung wie niedriger oder höher. Zwischen ihm und uns besteht ein grundsätzlicher, qualitativer Unterschied: Er ist „der ganz Andere“, wie der große Theologe Karl Barth sagte. Er ist der Heilige und Ewige. Er ist der Schöpfer und ich bin, wie jedes andere Tier, sein Geschöpf. Er ist bei mir und dennoch bleibt er mir gegenüber. 

Einander, der Schöpfung samt den Tieren dienen   

     Auch ich musste mein Menschenbild im Laufe der Jahre grundlegend korrigieren und diesbezüglich Demut und Bescheidenheit lernen. Wenn wir Menschen etwas Besonderes sein wollen, dann so wie Christus. Dann sollen wir dazu bereit sind, einander und auch der Schöpfung und mit ihr den Tieren zu dienen. Das wäre das Umdenken, die Buße,

wozu uns Jesus aufruft. Und genau das wäre in unserem ureigensten Interesse, damit auch unsere Kinder und Kindeskinder noch eine Zukunft auf der Erde haben.

     Das Losungswort aus dem Psalm 8 Vers 5 aber möchte ich so stehen lassen, weil es eine grundsätzliche Wahrheit über uns Menschen ausspricht. Ja, was sind wir schon? Wir sind Winzlinge. Wir sind nicht liebenswert. Keiner. Aber alle sind wir der Liebe Gottes bedürftig, die allein uns zu heilen, zu trösten und zu erlösen vermag. Deshalb ist er in seinem Sohn Jesus Christus Mensch geworden, um genau das für uns zu tun. 

Das große, erstaunliche Wunder 

     Das ist tatsächlich das große Wunder, über das nicht nur der Verfasser von Psalm 8 staunt, sondern seither jeder Mensch, der sich in die Bibel vertieft und im Glauben wächst: Gott erbarmt sich über uns Menschen-Winzlinge. Diese Aussage rückt das Verhältnis von Gott und Mensch wieder zurecht. Sie kann uns demütig und bescheiden machen.

     Im Epheserbrief Kapitel 2, in dem der heutige Lehrtext steht, heißt es dazu: »8 Eure Rettung ist wirklich reine Gnade, und ihr empfangt sie allein durch den Glauben. Ihr selbst habt nichts dazu getan, sie ist Gottes Geschenk. 9 Ihr habt sie nicht durch irgendein Tun verdient; denn niemand soll sich mit irgendetwas rühmen können. 10 Wir sind ganz und gar Gottes Werk. Durch Jesus Christus hat er uns so geschaffen, dass wir nun Gutes tun können. Er hat sogar unsere guten Taten im Voraus geschaffen, damit sie nun in unserem Leben Wirklichkeit werden (Lehrtext).

     Was für eine kühne und treffende Aussage! Es lohnt sich meines Erachtens sehr, diese Zeilen nicht nur zu überfliegen, sondern sehr genau zu lesen und zu bedenken. Jeder ist fähig Gutes zu tun, Glaubende wie Nichtglaubende. Doch nicht wegen unserer moralischen Qualität, sondern weil Christus in uns wirkt mit seinen guten Taten. Wir können sie durch Egoismus hemmen. Wir können sie aber auch »in unserem Leben Wirklichkeit werden« lassen. So kommen sie unseren Mitmenschen, seinen Geschöpfen und uns selbst zugute. 

Gebet: Herr, durch dich erkenne ich, dass ich eine Faser bin im großen Gewebe des Lebens gemeinsam mit allen anderen Lebewesen. Wir hängen voneinander ab und miteinander zusammen. Darum will ich darauf achten, dieses verletzliche und kostbare Gewebe nicht zu zerstören, sondern zu schützen. Ich danke dir für das Wunder des Lebens, das sich in allem zeigt, was du geschaffen hast. Amen 

Herzliche Grüße, 

Ihr / dein Hans Löhr 

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1 Kommentar:

  1. Herr Löhr, sehr schön und treffend formuliert. Lieben Dank für alles was Sie uns täglich schenken.

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