Losung: Und am Ende wird Gott richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Jesaja 2,2.4
Liebe Leserin, lieber Leser,
was für eine Hoffnung leuchtet aus dem Losungswort, dass die Völker und Nationen endlich kapieren, auf Gewalt zu verzichten! Dass sie alles Kriegsgerät, alle Tötungs- und Vernichtungsinstrumente „umschmieden“ zur friedlichen Nutzung und zum Wohl der Menschen. Was für eine Hoffnung, dass ganze Völker den Frieden lernen könnten!
Doch wie soll ich das glauben, da zurzeit jede Nacht Drohnen in Kiew explodieren, Menschen töten und in Angst und Schrecken versetzen? Da die Medien täglich von immer scheußlicheren Kriegsverbrechen berichten, die die israelische Armee an unbeteiligten Menschen im Gazastreifen verübt?
In meiner Lebenszeit wenigstens – und wohl noch lange danach – werden weiterhin Waffen geschmiedet und eingesetzt. Damit das aufhörte, bräuchte es Mitleid mit sich selbst, seinen Kindern und Enkelkindern – und denen der vermeintlichen Feinde. Wir sind ja auch für sie, das sei nicht vergessen, Feinde, die sie bedrohen und vor denen sie Angst haben. Gegen die sie sich verteidigen müssen, wie sie sagen.
Brandbeschleuniger Selbstgerechtigkeit
Ja, alle wollen sich immer nur verteidigen. Alle glauben immerzu, nur die anderen seien die Bösen. Deswegen gibt es auch nur Verteidigungsminister und keine Angriffs- oder Kriegsminister. Dabei hat jeder Krieg eine Vorgeschichte, an der fast immer beide Seiten beteiligt sind. Gerade die Selbstgerechtigkeit – hier wie dort – ist meines Erachtens einer der schlimmsten Brandbeschleuniger, wenn es zu bewaffneten Konflikten kommt.
„Schwerter zu Pflugscharen“ – dieses Wort, das der heutigen Losung unmittelbar vorausgeht, war in den achtziger Jahren das Motto der Friedensbewegung in der DDR und dann auch in der Bundesrepublik. Christliche Friedensgruppen auf beiden Seiten haben es bekannt gemacht. Aber es ist nicht gelungen, dieses Wort in den Köpfen der Menschen und der Regierenden zu verankern.
Und jetzt, nachdem den Machthabern in aller Welt wieder nichts Besseres einfällt, als Waffen zu schmieden, um kriegstüchtig zu werden – jetzt, wo wieder neue Kriege geführt werden –, sollen wir wenigen christlichen Pazifisten da resignieren?
Die Versuchung ist groß. Ihr nachzugeben wäre ein fatales Versagen, wäre in meinen Augen Verrat an Jesus und den Unschuldigen, die in der Ukraine leiden, und an den Kindern, die in Gaza sterben.
Den Mund aufmachen
„Barmherzigkeit mit den Opfern überall!“, „Die Waffen nieder!“, „Lieber Unrecht leiden als Unrecht tun“, „Leben und leben lassen“, „Schwerter zu Pflugscharen“ und immer wieder „den Frieden suchen und auf Gewalt verzichten“ – das bleibt die Devise. Diese Forderungen dürfen nicht verstummen, auch wenn nach meinem Eindruck immer weniger das hören wollen.
Wir müssen – ja, wir müssen – die Erinnerung daran festhalten, dass „Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll.“ So hat es der Weltkirchenrat auf seiner Gründungsversammlung 1948 formuliert. Was ist daraus geworden?
Ich denke, wir Christen müssen das weiterhin sagen und dürfen uns von niemandem den Mund verbieten lassen – auch nicht von unserer eigenen Angst.
Gebet: Herr, ich will auf dich hören und nicht auf die, die mir einreden wollen, was vernünftig und realistisch sei, verantwortungsvoll und politisch notwendig.
Ich will mich nicht schämen, naiv und weltfremd genannt zu werden. Ich will auf dich hören und dir folgen, so gut ich kann.
Ich will nicht nachreden, was andere mir einreden, sondern weitersagen, was du zu sagen hast. Denn du bist ein Gott des Friedens und nicht des Krieges. Du hast in Jesus, deinem Sohn, selbst gelitten, statt anderen Leiden zuzufügen. Du hast deine Feinde geliebt und tust das noch.
Wo ich nach deinem Willen handle, da bestärke mich. Wo ich mich irre, wehre meinem Irrtum. Wenn ich aufgeben will, gib du mir neuen Mut. Wenn ich andere verletze, lass es mich merken, dass ich mich ändere und verzeihe.
Sei du selbst meine Hoffnung und meine Kraft. Sei du in meinem Fühlen und Denken, Reden und Tun, dass auch durch mich im Kleinen geschieht, was du im Großen willst.
Was ich nicht ändern kann, Herr, will ich hinnehmen. Was ich ändern kann, will ich in deinem Namen tun. Du wirst mir helfen, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Ach Herr, ich hab doch nur dich. Dein Wille geschehe. Amen
Ihr / dein Hans Löhr
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Damit das nicht vergessen wird:
1947, zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa
und den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki hat der junge Schriftsteller Wolfgang Borchert wenige Wochen vor
seinem Tod geschrieben:
Dann gibt es nur eins: Sag NEIN
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen –
sondern Stahlhelm und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre
montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie Dir morgen befehlen, du
sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst keinen Weizen mehr fahren – sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur
eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, Du sollst
zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den
Truppentransporter, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen
kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du,
Mutter in San Francisco und London, du am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter
in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo – Mütter in allen Erdteilen, Mütter in
der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern
für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt,
dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN
sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann: dann:
In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die grossen
Schiffe stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig
träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und
muschelüberwest, den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich
fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben
– die Straßenbahnen
werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde verbeult und abgeblättert
neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und Gleise liegen, hinter
morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen kraterzerrissenen Straßen
– eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen,
gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und
Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig
unaufhaltsam
– der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen
verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird
auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen
Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken
– in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen
Ärzte sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln
– in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und
Speichern werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis
und Kirschsaft verkommen
– das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf zersplitterten
Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird stinken wie
Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pflügen
hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden
Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken werden,
vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln – zerbröckeln – zerbröckeln
– dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und
verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und
unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren
Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten
Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend
– und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe
verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der
Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört,
antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch
– all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht,
vielleicht heute Nacht schon, vielleicht heute Nacht, wenn — wenn — wenn ihr
nicht NEIN sagt.
Wolfgang
Borchert (1921-1947)