Predigt am 1. Sonntag nach Trinitatis 2023 in Thann
Losung: Kehrt um zum HERRN, von welchem ihr so sehr abgewichen seid! Jesaja 31,6
Lehrtext: Das ist gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen. 1.Timotheus 1,15
Liebe Leserin, lieber Leser,
das Losungswort für den heutigen Sonntag steht beim Propheten Jesaja im Kapitel
31 Vers 6: »Kehrt um zum HERRN, von welchem ihr so sehr abgewichen seid!« Das
klingt erst mal nicht sehr tröstlich. Das klingt nach Druck, nach Straf- und
Bußpredigt.
Als ich noch
Vikar in der Nähe von Nürnberg war, sah ich zwei von solchen Bußpredigern vor
der Lorenzkirche auf ihren Obstkisten stehen und hörte, wie sie den Passanten
mit schrillen Tönen die Hölle heiß machen wollten. Damals sind nur ein paar
wenige stehengeblieben, die sich über sie lustig gemacht haben. Die beiden
hatten einst Theologie studiert, dann das Studium abgebrochen und meinten, auf
eigene Faust die Welt und die Menschen vor der Hölle retten zu sollen. Mir war
ihr Fanatismus und ihr schwarzes Gottesbild zuwider. Der Prophet Jesaja, von
dem die heutige Losung stammt, hat ein anderes. Er sagt vor diesem Wort von
Gott: »Der HERR wird Jerusalem beschirmen, wie Vögel es tun mit ihren Flügeln,
er wird beschirmen und erretten, schonen und befreien.« (Jesaja 31,5) Zu
ihm sollten die Israeliten umkehren, zu ihrem Beschützer und Retter und nicht
zu einem Richter und Bestrafer. Doch auch das hat nicht funktioniert. Sie
haben so weitergelebt wie zuvor.
Da ist etwas
noch nie Dagewesenes geschehen: Gott hat sich in Jesus selbst den Sündern
zugewandt, ist zu ihnen „umgekehrt“ im Kind in der Krippe und im Mann am Kreuz.
Und warum zu den Sündern? Weil er auf der ganzen Erde nur solche gefunden hat
und keine Heiligen und Gerechten. Und weil es auch jetzt in Kirche und Welt und
somit auch unter uns nur Sünder gibt. Sünder, ein schwieriges Wort. Wer ist
das? Ich zum Beispiel. Ich bin nicht perfekt. Ich habe in meinem Leben auch
falsche Entscheidungen getroffen. Habe eigene Pläne verfolgt und mich nicht an
Gott orientiert. Ich habe, wie ich es zu Beginn des Gottesdienstes gesagt habe,
die Liebe, die er mir schenkt, oft nicht erwidert und an andere weitergegeben.
Ja, ich bin ein Mensch mit Fehlern und Versäumnissen. Und das werde ich auch
bleiben.
Der jüdische Schneider
Worauf das
hinausläuft, will ich euch mit einer kleinen, humorvollen Geschichte
verdeutlichen: Ein Mann geht zu einem jüdischen Schneider, um eine neue
Hose zu bestellen. Der Schneider nimmt genau Maß, zeigt ihm die besten Stoffe
und sagt: „No, in ner Woch wird se wohl fertig seiin die Hos.“ Der Mann ist
zufrieden und geht. Eine Woche später betritt er wieder das Schneidergeschäft.
Aber die Hose ist noch nicht fertig. Der Schneider sagt: „No, kommst eb'n in
ner Woch noch emol.“ Doch auch da ist die Hose noch nicht fertig, und der
Schneider vertröstet ihn eine weitere Woche. Dann ist es endlich soweit. Da
sagt der Kunde zum Schneider: „Also hör mal, Gott hat die Welt in sechs Tagen
geschaffen und du brauchst für eine Hose drei Wochen!“ Der Schneider antwortet
ungerührt: „Schau dir de Hos an. Is se nit scheen wordn? Koin Fehler, a
wunderscheene, perfekte Hos. Und itzt schau emol de Welt an.“
Tja, liebe
Freunde, der jüdische Schneider hat recht, zweifellos. Die Welt, vor allem
unsere Menschenwelt, ist nicht perfekt und schon gar nicht vollkommen, und ich
bin's auch nicht. Wie ist das bei dir? Kennst du deine Fehler und dein Versagen?
Kannst du auch vor anderen dazu stehen? Gott kennt sie alle, ganz genau. Ich
spreche jetzt von mir. Er weiß, was bei mir schiefgelaufen ist und was im Argen
liegt. Er kennt meine Schwächen und meine Probleme. Und nun? Muss ich jetzt vor
ihm zittern? Nein. Ich habe keine Angst vor ihm aus dem einzigen Grund, weil
ich sein Sorgenkind bin und weil er seine Sorgenkinder noch mehr liebt als wir
Menschen das tun. Der verlorene Sohn zum Beispiel, von dem Jesus erzählt, war
das Sorgenkind seines barmherzigen Vaters und wurde von ihm trotz allen
Versagens nach wie vor bedingungslos geliebt. Und genau deshalb erzählt Jesus
diese Geschichte, damit wir erfahren, wie Gott zu uns steht. Darum heißt es
auch im heutigen Lehrtext: »Jesus ist von Gott in die Welt gekommen, nicht um
die Sünder, nicht um die Gescheiterten, Verbitterten zu verurteilen und zu
bestrafen, sondern um dich und mich selig zu machen«.
„Selig
machen“, wieder so ein schwieriges Wort. Dabei ist es ganz einfach. „Selig
machen“ ist das, was jener Vater mit seinem verlorenen Sohn macht, der
abgerissen, pleite, schuldbewusst zu ihm kommt. Er schließt ihn in seine Arme und drückt ihn an sich. Genau das und nichts anderes macht Gott
mit mir und mit dir. So macht er uns selig, so macht er uns glücklich, so
rettet er uns aus unserem Versagen. Um das zu sagen, um das zu tun, ist Jesus
„in die Welt gekommen, um die Sünder selig zu machen“ (Lehrtext) - und
die Sünderinnen auch.
Um diesen Gott geht es, um den, den uns Jesus nahe bringt und um keinen anderen. Immer wieder friert meine Seele in dieser Welt, bin ich unsicher, mache mir Sorgen um mich und andere, frage mich bang, was wohl aus den gegenwärtigen Krisen und Katastrophen wird, aus dem Ukrainekrieg, aus der Energiekrise, aus der Erderwärmung und so weiter. Und dann fühle ich mich ohnmächtig und hilflos.
Jener Vater in Jesu Gleichnis hat seinen verlorenen Sohn in die Arme genommen und an sich gedrückt. So sehe auch ich Gott. Er breitet die Arme aus, damit ich ganz bei ihm sein kann. "Er umgibt mich von allen Seiten" wie ein großer Mantel, der meine frierende Seele wärmt. So lese ich den Psalm 139. Da kann ich loslassen, was mich belastet, verbittert und schmerzt. Da muss ich nicht mehr auf andere schimpfen, sie beschuldigen noch gar sie verteufeln. Da finde ich inneren Frieden bei ihm.
Jesus ist in
die Welt gekommen, nicht um sie zu verändern, sondern um die Sünder selig zu
machen: dich und mich und deinen Nachbarn und deine Nachbarin in der
Kirchenbank und Zuhause. Doch auch zu den anderen ist er gekommen, zu denen in
unserer kleinen Welt und in der großen Welt der Politik, die wir nicht leiden
können. Sie alle und uns alle will er entlasten, ermutigen, trösten. Und warum?
Weil wir alle ihn brauchen.
Die Welt ist schön
"Schau dir
die Welt an", sagt der Schneider. Doch nicht die Welt ist schlecht oder
schlecht gemacht. Sie ist wie sie ist. Eine andere haben wir nicht. So sollen und können wir sie nehmen. Aber die Welt der Menschen ist das
Problem, wir selbst sind es im Kleinen wie im Großen. Wir können die Welt immer
böser machen durch unsere eigene Bosheit, immer kälter durch unsere eigene Kälte, immer bitterer durch unsere eigene Bitterkeit. Oder wir können
sie ein klein wenig freundlicher und friedlicher machen durch unsere eigene
Freundlichkeit und Güte. Denn was da in unserer kleinen Welt geschieht, wirkt
sich auch auf die Dorfgemeinschaft aus, trägt zur Stimmung bei in unserem Land,
ist ein Gewicht auf der Waage des Friedens.
Gestern bin ich
mit dem Motorrad auf kleinen Straßen durchs bayerische Schwaben gefahren.
Da habe ich wieder einmal in meinen Helm gesagt: „Herr, ich liebe deine Welt.
Sie ist so schön.“ Ja, sie ist nicht perfekt. Doch gerade darum liebe
ich sie. Denn was perfekt ist, kann man nur bewundern, aber nicht lieben. Es
sind gerade die Fehler und Unvollkommenheiten, die die Menschen und unsere Welt
liebenswert machen. Darum will ich es lernen, mit den Unzulänglichkeiten
zu leben, mit ihren und den eigenen. Amen
Herzlich grüßt und einen gesegneten Sonntag wünscht
Ihr / dein Hans Löhr
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1728 erschien
in Herrnhut die erste Tageslosung, ein Bibelwort aus dem Alten Testament, das
für jeden Tag des Jahres ausgelost wird. Dazu wird der Lehrtext, ein passendes
Bibelwort aus dem Neuen Testament, ausgesucht. Inzwischen erscheinen die
täglichen „Losungen“ in etwa 50 Sprachen.
Ich lege Losung und Lehrtext aus, weil einer Untersuchung zufolge das
Nachdenken über Bibelworte den Glauben am stärksten wachsen lässt.
Eine wundervolle Predigt.
AntwortenLöschenDanke dafür.
Ute
Dem schließe ich mich gerne an.
LöschenLG Andreas
Danke, Herr Pfarrer und Ihnen einen schönen Sonntag in unserer schönen Welt!
AntwortenLöschenHerzliche Grüße, Annelie