Predigt von Hans Löhr am
Sonntag Estomihi in den Kirchen von Sommersdorf und Thann.
Ein Blinder
wird geheilt (Lukas 18,35-43)
Jesus und seine Jünger waren unterwegs nach Jericho.
In der Nähe der Stadt saß ein Blinder am Straßenrand und bettelte.
Er hörte den Lärm der vorbeiziehenden Menge und fragte
neugierig: "Was ist da los?"
Einige riefen ihm zu: "Jesus von Nazareth kommt
nach Jericho!"
Als er das hörte, schrie er laut: "Jesus, du Sohn
Davids, hab Erbarmen mit mir!"
Die Leute fuhren ihn an: "Halt den Mund!" Er
aber schrie nur noch lauter: "du Sohn Davids, hab Erbarmen mit
mir!"
Jesus blieb stehen und ließ den Mann zu sich
führen. Dann fragte er ihn: "Was willst du? Was soll ich für dich
tun?" "Herr", flehte ihn der Blinde an, "ich möchte sehen
können!" "Du sollst wieder sehen!", sagte Jesus zu ihm.
"Dein Glaube hat dir geholfen."
Im selben Augenblick konnte der Blinde sehen. Er ging
mit Jesus und lobte Gott. Zusammen mit ihm lobten und dankten alle, die seine
Heilung miterlebt hatten.
[Predigttext wird von einer
Kirchenvorsteherin am Altar vorgelesen, während HL in der Sakristei den Talar
auszieht, sich eine Decke umgehängt, eine schmutzige Binde um die Augen bindet,
einen Stock und eine Schale mit ein paar Münzen nimmt. Nach dem Ende der Lesung
kommt HL in den Kirchenraum und tastet sich mit dem Blindenstock in den
Mittelgang, während er mit der Schale und den Münzen klappert]
»Eine milde Gabe für einen Blinden!
(Pause) Nur eine kleine Spende. Ich will doch auch leben! (Pause)« [HL nimmt die
Binde ab, legt die Decke über seinen Arm und sagt:]
So ging es mir, bevor ich Jesus getroffen
habe. Seitdem bin ich gesund. Seitdem habe ich ein neues Leben. Aber davor war
es schrecklich. Ich fühlte mich so hilflos und den Leuten ausgeliefert. Ich
wusste, ich war ihnen lästig. Doch jetzt bin ich ein neuer Mensch.
Hier, der Blindenstock, die Binde, die Bettelschale – als ich sie noch
brauchte, waren es die Zeichen meiner Krankheit. Jetzt lege ich sie unter das
Kreuz Jesu. [HL
holt das Altarkreuz vorne an die Kante des Altartisches, lehnt den Blindenstock
daneben, die Binde, die Bettelschale und wirft auf den Fußboden die Decke] Jetzt brauche ich das
alles nicht mehr. Jetzt sind diese Sachen Zeichen meiner Heilung. Ich kann sie
Jesus abgeben. Ihm, der mir geholfen hat.
Doch der Reihe nach: Ich weiß gar nicht
mehr, wie lange ich einer der blinden Bettler von Jericho war. In meiner Jugend
bekam ich eine Augenkrankheit. Und dann wurde es im wahrsten Sinn des Wortes
finster in meinem Leben. Niemand konnte, niemand wollte mir helfen. Es gab
damals keine Krankenversicherung, die mir eine Behandlung hätte finanzieren können.
Keine staatliche Unterstützung. Ich führte ein elendes Leben. Aber ich hatte
mich damit abgefunden. Irgendwie kam ich ja über die Runden.
Da bemerkte ich eines Tages, dass viele
Leute auf der Straße zusammenliefen. Ich fragte sie, was los sei. Einer sagte
zu mir: »Jesus von Nazareth kommt nach Jericho!« »Jesus von Nazareth? Ich hatte
schon von ihm gehört. Man erzählte sich von ihm viele wundersame Dinge, dass er
so von Gott reden würde, wie keiner davor, wie kein Pfarrer und kein Bischof.
Und dass er Kranke gesund gemacht habe. Würde er vielleicht auch mir…? Nein,
mir doch nicht. So ein berühmter Mann gibt sich doch nicht mit einem kranken
und zerlumpten Bettler ab wie ich einer bin. So dachte ich. Aber dann merkte
ich, dass er immer näher kam und es keimte eine nicht gekannte Hoffnung in mir
auf. Vielleicht doch? Mir wurde schlagartig klar: Das ist die einzige Chance in
deinem Leben. Wenn dir einer helfen kann, dann er.
Ich nahm allen meinen Mut zusammen und rief:
„Jesus, Sohn Davids, hab Mitleid mit mir! Kyrie eleison! ” „Pst! ”Machten die
Leute. „Halt den Mund! Du störst!” Doch ich spürte ein mächtiges Zutrauen zu
Jesus in mir. Ich ließ mich von den Leuten nicht mundtot machen. Ich schrie aus
Leibeskräften: „Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Kyrie eleison!” Ich
wusste, Jesus musste mich gehört haben. Was würde geschehen? Würde er mich
beachten? Da packten mich zwei links und rechts und sagten: „Wir bringen dich
zu ihm.” Als ich vor ihm stand, fragte er mich: „Was willst du? Was willst du,
dass ich dir tun soll? ” Was für eine seltsame Frage. Er sah doch, dass ich
blind war. Wollte er mich veräppeln? Nein, den Eindruck hatte ich nicht. Und so
sagte ich entschieden und überzeugt: „Herr, dass ich wieder sehen kann. ”
Ich wusste genau, was ich wollte. Meint
ihr hier, das sei selbstverständlich? Ich kenne Blinde, die wollen blind
bleiben. Die haben Angst, dass sich ihre Situation verändert, wenn Sie plötzlich sehen können. Angst vor einem
neuen Leben. Als Bettler wissen sie, wie sie ihren kärglichen
Lebensunterhalt zusammenkriegen. Aber was ist, wenn sie gesund sind? Wovon sollten
sie leben? Die Leute würden sie nicht mehr beachten. Sie wären nicht mehr
interessant. Wie würden sie dann zurechtkommen?
Und wie ist das bei euch? Wisst ihr, was
ihr wollt? Habt ihr schon mal was gewagt, das euer Leben verändert hat? Ohne
Garantie, dass das auch gut geht? Habt ihr den Arbeitsplatz gewechselt und das
Risiko einer zeitweiligen Arbeitslosigkeit auf euch genommen? Seid ihr
freiwillig umgezogen? Habt ihr eine große Reise unternommen, von der euch
andere abgeraten haben? Habt ihr jemanden geheiratet - aus Liebe-, von dem euch andere abgeraten haben.
Doch, die Frage von Jesus war schon
berechtigt, wenn er sagte: „Willst du wirklich etwas ändern in deinem Leben?
Was genau ist es, wobei ich dir helfen soll? Du musst das wissen, du musst das
sagen können. Du musst das wollen, wenn sich bei dir etwas ändern soll.”
Mir war schlagartig klar: Er braucht meinen
Willen, meinen Glauben, mein Gottvertrauen, um mir helfen zu können. So war das
bei mir. Und darum sagte Jesus: „Dein Glaube hat dir geholfen. Dass du mir das
zugetraut hast, das hat dich geheilt.” Und so wurde ich gesund und es begann
ein neues Leben für mich – mit ihm.
Soweit, liebe Gemeinde, die Geschichte des
Blinden von Jericho. Ich lerne für mich daraus:
Erstens, was Jesus damals für den Blinden
getan hat, kann er auch heute für
mich und für dich tun. Er kann auch uns neues Leben schenken, wenn wir ihm das
zutrauen. Wäre es nicht so, was bräuchten wir uns dann mit einer Geschichte abzugeben,
die 2000 Jahre alt ist? Nur wenn sie mit uns heute zu tun hat, ist sie auch
wichtig.
Zweitens, die Voraussetzung dafür, dass
sich bei mir etwas verändert, ist, dass
ich das auch wirklich will. Ich muss im Gebet Gott sagen können, was er für mich tun soll, immer wieder und wieder. Manchmal tagelang oder wochenlang oder sogar jahrelang.
Drittens, ein solches Gebet macht nur dann
Sinn, wenn ich Gott auch ganz und gar
zutraue, dass er mir helfen kann und wird. Vielleicht wird das nicht genau
so geschehen, wie ich mir das vorstelle. Aber doch so, wie es mir schließlich
zum Besten dient.
In jedem Sonntagsgottesdienst hier in der Kirche
rufen wir Jesus mit dem Satz des Blinden von Jericho, ich auf Griechisch und ihr
auf Deutsch: „Kyrie eleison – Herr erbarme dich. Christe eleison – Christus
erbarme dich!” Meinen wir das wirklich ernst? Was wäre, wenn er jetzt plötzlich
vor uns stünde und zu dir sagen würde: „Ich habe dich rufen gehört. Hier bin
ich. Was willst du von mir?” Was werden wir, was wirst du ihm dann sagen? „Entschuldigung,
ich habe nichts dabei gedacht. Ich will gar nichts von dir.” Oder: „Herr Jesus,
da schau: Das sind meine Sorgen, das ist meine Angst und meine Not. Du kannst
mir helfen. Dir traue ich das zu. Kyrie eleison!” Wenn du das so oder so ähnlich zu ihm
sagen kannst, bleibt das nicht ohne Wirkung. Dann wird sich etwas für dich zum
Guten ändern.
Der Blinde von Jericho hatte seinen Blindenstock, die Binde und die Bettelschale unter das Kreuz
gelegt. Er hat das alles losgelassen, hat es Jesus gegeben und ein neues Leben gewagt. Was wirst du
unter das Kreuz legen? Was hergeben, was los lassen und was aufgeben für ein
anderes, ein neues Leben?
·
Vielleicht
die unnötigen Tabletten, die du ständig zu dir nimmst?
·
Vielleicht
einen unrealistischen, schädlichen Wunsch?
·
Vielleicht
eine schlechte Angewohnheit, die du schon längst loswerden möchtest, und die dich
und andere belastet?
·
Vielleicht
irgendeine Abhängigkeit, nicht nur vom Alkohol, sondern auch von einem Menschen, der dir nicht gut tut oder vom Fernsehen oder
von anderen Dingen?
·
Vielleicht
eine alte Schuld oder einen alten Streit?
·
Vielleicht
auch das falsche Bild, das du von dir hast, dass du immerzu jung aussehen und den
Anschein erwecken musst, als seist du topfit, obwohl du doch älter wirst?
Denke an den Blinden von Jericho: Wenn du
willst, dass in deinem Leben etwas anders werden soll, dann hör nicht auf das,
was andere sagen. Dann lass die Leute reden. Du aber rede mit deinem Gott. Sage
ihm klipp und klar, was du willst und traue ihm zu, dass er dir geben wird, was
gut für dich ist. So wirst auch du seine Wunder erleben. Amen HL
(Bezugnahme auf den Aspekt der Dankbarkeit im Fürbittengebet.
Rekronstruktion des mündlichen Vortrags)