Predigt von
Hans Löhr am 18. Sonntag nach Trinitatis
Römer 14,
17-19 (Übersetzung
„Gute Nachricht für dich“):
»Wo Gott
seine Herrschaft aufrichtet, geht es nicht um Essen und Trinken, sondern um ein
Leben unter der rettenden Treue Gottes und in Frieden und Freude, wie es der
Heilige Geist schenkt. Wer Christus mit einem solchen Leben dient, gefällt Gott
und wird von den Menschen geachtet.«
Liebe
Gemeinde,
es ist schon ein paar Jahre her, dass wir mit dem Auto mitten in
der Nacht vom Urlaub heimgefahren sind. Wir kamen aus Kroatien. Die Kinder
haben auf dem Rücksitz geschlafen und meine Frau auf dem Beifahrersitz. Ich
liebe es, nachts Auto zu fahren, wenn alle anderen schlafen. Ich höre dann
leise Musik und kann meine Gedanken nachhängen. Kurz vor Salzburg wurde es im
Osten hell. Und als wir nach Deutschland hineingefahren sind, ging glutrot die
Sonne auf. Gut 150 Kilometer würde ich noch fahren können, bevor ich tanken
müsste. Als ich an der Autobahntankstelle hielt, ist meine Frau aufgewacht: »Es
ist ja schon hell. Sind wir denn schon in Deutschland?«. »Ja«, sagte ich,
»schon eine ganze Weile. In einer guten Stunde sind wir daheim. Du hast fest
geschlafen.«
Deutschland, das Land in dem wir geboren sind, in dem wir leben,
wo wir ein Dach überm Kopf haben und ein Bett, wo es uns gut geht, wo Frieden
herrscht und ein Rechtsstaat Sicherheit gibt. Mit einem Wort, wo wir daheim
sind und wo wir gern leben. So schön es im Urlaub war, so gern sind wir auch
wieder heimgefahren. Nein, in Kroatien möchten wir nicht leben, auch nicht in
Österreich. Deutschland ist unsere Heimat.
Wir haben aber noch eine andere Heimat, ihr hier und ich. Der
Apostel Paulus nennt sie „Reich Gottes“. Da kann man nicht mit dem Auto hinfahren.
Aber du kannst im Reich Gottes leben. Eigentlich leben alle im Reich Gottes.
Doch die meisten merken nichts davon. Du kannst das Reich Gottes ein Leben lang
verschlafen, so wie meine Frau und die Kinder die Rückkehr nach Deutschland
verschlafen haben. Und dann lebst du so dahin in dieser Welt und weiß nicht
einmal, wo du wirklich bist. Aber dann erwacht doch der eine oder andere zum
Glauben und stellt verwundert fest: ‚Ich bin ja schon da. Ich war schon immer
im Reich Gottes und hab‘s nicht gemerkt.‘
In der Bibel heißt Reich Gottes manchmal Himmelreich. Das hat
nichts mit dem Himmel über uns zu tun. Es waren die frommen Juden, die sich aus
Ehrfurcht scheuten, den Namen Gottes auszusprechen. Sie haben stattdessen das
Wort ‚Himmel‘ verwendet. Ähnlich ist es, wenn wir beten „Vater unser im
Himmel“. Im Grunde genommen heißt das nur: „Gott, der du unser Vater bist.“
Leider meinen viele, dass Gott über uns in irgendeinem fernen Himmel lebe, weit
weg von unserer Erde. Und wenn sie sagen, „ich hoffe, dass ich einmal in den
Himmel komme“, dann denken sie an ein Jenseits über den Wolken. Aber „in den
Himmel kommen“ heißt nichts anderes, als zu Gott kommen und für immer bei ihm
zu bleiben. Aber Gott ist längst zu uns gekommen in seinem Sohn Jesus Christus.
Der Himmel aber ist da, wo er
ist. Und er ist bei uns hier auf der Erde, heute schon. Gott ist da, jetzt, in
diesem Augenblick, hier in der Kirche und dann, wenn ich wieder zu Hause bin.
Und erst recht, wenn ich in das finstere Tal der Leiden und der Einsamkeit
muss. Dann kann ich mit der Bibel sagen: »Ich fürchte kein Unglück, denn du
bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.«
Ja, Gott ist da. Wir alle leben längst in seinem Reich. Und wenn
wir einmal gestorben sind, bleiben wir immer noch bei ihm. Dann aber erlöst von
allem Bösen, von Leid und Tod. Warum nur ist das so schwer zu glauben, dass
Gott jetzt schon bei uns ist und wir bei ihm? Wir haben doch alle diesen Psalm
23 gelernt und schon so oft gebetet und gesagt: »Du bist bei mir!« Ist das
wirklich so oder ist das für dich nur so ein Satz ohne große Bedeutung? Und
wenn es wirklich so ist, wenn Gott wirklich bei dir ist und bei mir, müssten
wir dann nicht deutlich anders leben? Könnten wir dann nicht viel gelassener
sein, zuversichtlicher, getrösteter? Wenn das wirklich so ist, wenn Gott
wirklich bei dir ist und bei mir, müssten wir dann nicht alle Sorgen und alle
Furcht abschütteln können?
Der Apostel Paulus sagt in unserem heutigen Predigttext: »Wo Menschen fest darauf vertrauen, dass Gott
da ist und alles regiert, leben sie unter seiner rettenden Treue, in Frieden
und Freude.«
Wo sind diese Menschen, die so
auf Gott vertrauen, dass sie in Frieden und Freude leben? Seid ihr hier diese
Menschen? Ich bin es nicht. Ich rege mich über viele Dinge auf, die in dieser
Welt oder in unserem Land passieren. So finde ich es absolut unverantwortlich,
dass Medien und Politiker in der Bevölkerung die Terrorangst schüren. In
unserer Gesellschaft gibt es viel mehr Geisterfahrer, die auf der Autobahn absichtlich
in die falsche Richtung fahren, um sich das Leben zu nehmen und andere mit in
den Tod zu reißen. Werden deswegen Gesetze geändert? Werden deswegen
Sondersendungen gesendet? Debatten im Bundestag geführt? Mehr Polizisten
eingestellt? Hetzreden gehalten? Solche Geisterfahrer gefährden jeden von uns
in deutlich höherem Maße als jeder Terrorist. Warum misst man da mit zweierlei
Maß? Ja, so etwas regt mich auf. Andere regen sich über anderes auf, über
Flüchtlinge, über die Nullzinspolitik, über die Milchpreise, über die
Politiker, über die grausame Tierhaltung hochrangiger Bauernfunktionäre, wie
jüngst in den Nachrichten zu sehen.
Und dann kommen noch die privaten Probleme hinzu, die jeder von
uns auf die eine oder andere Weise hat: Der Ärger in den Familien, in der
Nachbarschaft, am Arbeitsplatz und nicht zuletzt die Unzufriedenheit mit sich
selbst. Wo ist da noch Raum für Frieden und Freude?
Hier! Hier im Gottesdienst ist ein solcher Raum, wo einmal nicht
unsere Probleme im Mittelpunkt stehen, nicht die Politik, nicht die Wirtschaft.
Hier ist der Raum, wo du erst einmal aufatmen kannst. Hier machen wir uns
gemeinsam bewusst, dass Gott da ist, für dich und für mich. Hier geben wir ihm
unsere Sorgen. Hier bringen wir ihm unsere Schuld. Hier klagen wir ihm unser
Leid. Und hier will er uns dienen, mit seinem Frieden, mit seiner Freude und
damit, dass er uns vergibt.
Natürlich stellen sich Friede und Freude nicht schlagartig ein,
sobald wir die Kirche betreten. Aber schon wenn die Orgel zu spielen beginnt,
werde ich ruhiger. Und wie gut es tut, die Lieder zu singen. Sie helfen mir,
mich Gott zu öffnen. Wenn der Gesang durch den Kirchenraum fließt, lösen sich
auch in mir Verhärtungen und Blockaden. Ich spüre meine Gefühle, spüre ob ich
dankbar bin oder traurig oder froh. Und wenn ich dann mit euch hier bete, fühle
ich mich Gott ganz nah, fühle ich ihn ganz nah und trete ein in sein Reich, wo
er im Mittelpunkt steht. Da erkenne ich, dass er es ist, der alles regiert,
alles, die große Welt und auch meine kleine. Da kann ich ihm alles sagen, was
ich auf dem Herzen habe. Und dann wird es mir leichter.
Ja, hier ist der Raum für Frieden und Freude. Nicht für die
lärmende, ausgelassene Freude des Bierzelts. Die hat auch ihr Recht. Aber hier
ist Raum für die stille Freude des Glaubens auch für den, der traurig ist. Hier
tröstet mich sein Wort aus der Lesung oder der Predigt. Hier kriege ich neue
Kraft im Brot und Wein des Abendmahls. Hier hüllt er mich ein in seinen Segen.
Ja, hier ist Gottes Reich. Hier ist der Raum für Frieden und Freude.
Aber eben nicht nur. Gott lässt sich nicht in die Kirche
einsperren. Er will nachher mit uns wieder hinausgehen in unsere Welt, in seine
Welt. Wir sollen seinen Frieden und seine Freude mit hinaus nehmen, dorthin, wo
wir leben und arbeiten. Und wir sollen versuchen, so gut es geht, in diesem
Frieden und in seiner Freude zu bleiben. Das ist alles andere als einfach. So
viele Dinge stürmen auf uns ein, wenn wir wieder die Kirche verlassen haben.
Wie kann man da den Frieden bewahren?
Und darum brauchen wir auch in unserem Alltag einen Raum dafür. Er
ist das Gebet, wenn wir früh aufwachen und bevor wir einschlafen. In diesen
Raum spüren wir wieder seine Nähe. Da gehören wir ihm wieder ganz und können
ihm alle Unruhe, alle Sorgen, alle Angst geben. Und wir bekommen, was nur er
uns geben kann: Freude und Frieden.
Ja, Gott ist da. Wir leben alle in seinem Reich. Es wird Zeit,
dass wir aufwachen und erkennen: Wir sind längst bei ihm. Wir sind längst
daheim.