Losung: Soll ich
meines Bruders Hüter sein? 1.Mose 4,9
Lehrtext: Ein jeder
sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Philipper
2,4
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich, ich, ich. Wie schön, wenn ein Kind zum ersten Mal ‚ich‘
sagen kann. Wenn es sich dessen bewusst wird, ein eigenständiger Mensch zu
sein, eine Person. Wie schlimm, wenn ein Mensch nur noch ich sagen und denken
kann. Wenn sein Ego (= Ich) so groß ist, dass es anderen keinen Platz mehr
lässt.
Ich kenne jemanden, der mit mehreren Geschwistern
aufgewachsen ist und als Kind immer sagte „ich auch“. Wenn die große Schwester
etwas bekam oder etwas durfte, sofort sagte die kleinere: „Ich auch.“ Später
hat sie das nicht mehr so oft gesagt, dafür umso öfter gedacht. Und als sie groß
genug war, hat sie vieles nachgemacht. Hatte die große Schwester einen Freund,
brauchte sie auch einen. Hatte jene ein neues Auto, brauchte sie auch eins.
Fuhr sie in den Urlaub, musste der
eigene mindestens ebenso teuer sein. Ich auch, ich auch, ich auch. Es war, es
ist wie ein Zwang. Wie soll so jemand seine eigenen, seine wirklichen
Bedürfnisse entdecken? Wie findet so jemand zu sich selbst ohne sich ständig
mit anderen zu vergleichen?
Dieses Problem ist offenbar uralt, wenn es auch jeweils
unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Die Bibel sagt, dass es so alt ist wie
die Menschheit. Kaum waren Kain und Abel auf der Welt, schon hat der eine Bruder
den anderen erschlagen, weil er sich von Gott nicht so geliebt fühlte wie
offenbar jener geliebt wurde. Statt auf den anderen acht zu haben, hat Kain den
Abel aus dem Weg geräumt. Aber Gott hat uns als Wesen erschaffen, die vor ihm
füreinander Verantwortung haben. Und darum fragt er den Kain, wo denn sein
Bruder Abel sei, ob er seiner Verantwortung gerecht geworden ist. Unwirsch und
mit schlechtem Gewissen antwortet dieser mit dem Satz aus der heutigen Losung:
»Soll ich meines Bruders Hüter sein?« Ja, genau das soll Kain sein. Aber er und
viele seiner Nachkommen bis heute sind dem Bruder ein Wolf geworden.
Schauen wir in unser Lebensumfeld, wo es hoffentlich nicht
so extrem zugeht. Zwischen einem Egoisten, der nur an sich selbst denkt und
einem Altruisten, der nur an andere denkt, gibt es viele Schattierungen. Der
Apostel Paulus verlangt im Lehrtext gar nicht, dass man ausschließlich auf das sehe,
was dem anderen dient. Natürlich muss jeder auch auf das Seine sehen, darauf,
wie er selbst zurechtkommt. Aber eben nicht nur.
Unter Jugendlichen gibt es einen blöden Spruch. Wenn einer
den anderen um etwas bittet, wird ihm manchmal die Bitte mit dem Wort abgeschlagen:
„Bin ich Jesus?“ Nein, keiner von uns ist Jesus. Aber er, der sein Leben für
uns hingegeben hat, zeigt die Richtung an, worauf man sehen, in die man gehen
soll: vom Ich zum Du.
Gebet: Herr, du bist ständig für mich da, sonst
würde ich nicht leben. Du lässt das Herz in meiner Brust schlagen. Du sorgst
dafür, dass mein Gehirn funktioniert. Ohne dich wäre nichts, was ist und nichts
hätte Bestand. So lebe ich in dir wie ein Embryo im Mutterleib so lange du
willst. Weil du so bist, darum will auch ich nicht nur an mich denken, sondern auch
für andere da sein. Amen
Herzliche Grüße
Ihr / dein Hans Löhr
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