Donnerstag, 22. September 2016

Vom Ich zum Du hl

Losung: Soll ich meines Bruders Hüter sein? 1.Mose 4,9

Lehrtext: Ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient. Philipper 2,4

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich, ich, ich. Wie schön, wenn ein Kind zum ersten Mal ‚ich‘ sagen kann. Wenn es sich dessen bewusst wird, ein eigenständiger Mensch zu sein, eine Person. Wie schlimm, wenn ein Mensch nur noch ich sagen und denken kann. Wenn sein Ego (= Ich) so groß ist, dass es anderen keinen Platz mehr lässt.
Ich kenne jemanden, der mit mehreren Geschwistern aufgewachsen ist und als Kind immer sagte „ich auch“. Wenn die große Schwester etwas bekam oder etwas durfte, sofort sagte die kleinere: „Ich auch.“ Später hat sie das nicht mehr so oft gesagt, dafür umso öfter gedacht. Und als sie groß genug war, hat sie vieles nachgemacht. Hatte die große Schwester einen Freund, brauchte sie auch einen. Hatte jene ein neues Auto, brauchte sie auch eins. Fuhr sie  in den Urlaub, musste der eigene mindestens ebenso teuer sein. Ich auch, ich auch, ich auch. Es war, es ist wie ein Zwang. Wie soll so jemand seine eigenen, seine wirklichen Bedürfnisse entdecken? Wie findet so jemand zu sich selbst ohne sich ständig mit anderen zu vergleichen?
Dieses Problem ist offenbar uralt, wenn es auch jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Die Bibel sagt, dass es so alt ist wie die Menschheit. Kaum waren Kain und Abel auf der Welt, schon hat der eine Bruder den anderen erschlagen, weil er sich von Gott nicht so geliebt fühlte wie offenbar jener geliebt wurde. Statt auf den anderen acht zu haben, hat Kain den Abel aus dem Weg geräumt. Aber Gott hat uns als Wesen erschaffen, die vor ihm füreinander Verantwortung haben. Und darum fragt er den Kain, wo denn sein Bruder Abel sei, ob er seiner Verantwortung gerecht geworden ist. Unwirsch und mit schlechtem Gewissen antwortet dieser mit dem Satz aus der heutigen Losung: »Soll ich meines Bruders Hüter sein?« Ja, genau das soll Kain sein. Aber er und viele seiner Nachkommen bis heute sind dem Bruder ein Wolf geworden.
Schauen wir in unser Lebensumfeld, wo es hoffentlich nicht so extrem zugeht. Zwischen einem Egoisten, der nur an sich selbst denkt und einem Altruisten, der nur an andere denkt, gibt es viele Schattierungen. Der Apostel Paulus verlangt im Lehrtext gar nicht, dass man ausschließlich auf das sehe, was dem anderen dient. Natürlich muss jeder auch auf das Seine sehen, darauf, wie er selbst zurechtkommt. Aber eben nicht nur.
Unter Jugendlichen gibt es einen blöden Spruch. Wenn einer den anderen um etwas bittet, wird ihm manchmal die Bitte mit dem Wort abgeschlagen: „Bin ich Jesus?“ Nein, keiner von uns ist Jesus. Aber er, der sein Leben für uns hingegeben hat, zeigt die Richtung an, worauf man sehen, in die man gehen soll: vom Ich zum Du.

Gebet: Herr, du bist ständig für mich da, sonst würde ich nicht leben. Du lässt das Herz in meiner Brust schlagen. Du sorgst dafür, dass mein Gehirn funktioniert. Ohne dich wäre nichts, was ist und nichts hätte Bestand. So lebe ich in dir wie ein Embryo im Mutterleib so lange du willst. Weil du so bist, darum will auch ich nicht nur an mich denken, sondern auch für andere da sein. Amen

Herzliche Grüße


Ihr / dein Hans Löhr 

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