Vom Unterschied zwischen
Religion und Glaube. Predigt: Hans Löhr
Lesung und Predigttext: Psalm
23 (gemeinsam gesprochen)
Liebe Freunde,
»Tun Sie was Religiöses!« heißt das Thema
dieser Predigt. Ich erzähle euch dazu, was ein Kollege erlebt hat. Er sagte:
„Vor einigen Jahren bekam ich von meiner
Frau zum Geburtstag ein ganz besonderes Geschenk – eine Fahrt mit dem
Heißluftballon. Ich stieg mit einem Pärchen in einen kleinen Korb. Wir stellten
uns höflich vor. Dann begann unser Pilot mit dem Aufstieg. Der Tag war gerade
erst angebrochen. Der Himmel war hell und klar. Es war wunderschön, das Land
anzuschauen, das sich unter uns im Morgenlicht ausbreitete.
Angst im Ballon
Doch ich spürte auch etwas, das ich nicht
erwartet hatte: Angst! Ich hatte immer angenommen, dass der Rand eines solchen
Korbes brusthoch sein würde, aber dieser hier – so kam es mir jedenfalls vor –
reichte mir nur bis zum Knie. Daher klammerte ich mich so wild entschlossen am
Rand fest, dass meine Knöchel weiß hervortraten. Ich sah zu dem Pärchen
hinüber. Auch die beiden hielten sich krampfhaft am Korb fest und starrten
angestrengt auf das Land unter ihnen. Von Vergnügen keine Spur, weder bei ihnen
noch bei mir.“ Der Kollege erzählte weiter:
„Um mich abzulenken begann ich mit dem
Piloten ein Gespräch. Ich wollte mehr über ihn wissen, schließlich vertrauten
wir ihm unser Leben an. Alles hing von seinen Fähigkeiten und von seinem
Charakter ab. Als ich seine Antwort hörte, wusste ich, dass wir ein Problem
hatten. Er hatte eigentlich noch nie einen richtigen Job gehabt. Er surfte
leidenschaftlich gern. Er hatte begonnen, Heißluftballons zu fahren als er
wegen eines Autounfalls den Führerschein verloren hatte. »Übrigens«, sagte er
nebenbei »wenn es bei der Landung etwas rumst, keine Panik! Ich habe diesen
Ballon hier noch nie gefahren und weiß noch nicht, wie er während des Abstiegs
reagiert.«
Die Frau neben mir sagte mit gesenkter
Stimme zu ihrem Mann: »Soll das heißen, dass wir gut 300 Meter über dem
Erdboden schweben – mit einem arbeitslosen Surfer, der keinen Führerschein
besitzt und keine Ahnung hat, wie er dieses Ding hier wieder auf den Boden
kriegt?« Und dann wandte sie sich an mich und zischte: »Sie sind doch Pastor –
tun Sie etwas Religiöses!« Und ich fragte mich: „O Gott, ist es wirklich
schon so weit, etwas Religiöses zu tun? Aber was?“ Soweit der Kollege, der dann
doch noch gut gelandet ist.
Ja, liebe Freunde, manchmal kann es ganz
schön ungemütlich werden, nicht nur in einem Heißluftballon. Was mache ich,
wenn die Zeiten unsicher werden wie sie jetzt nicht nur in den Kriegsgebieten
sind, sondern zunehmend auch in Europa? Oder was mache ich in einer privaten
Krise? Soll ich irgendetwas Religiöses tun? Schließlich bin ich Pfarrer. Aber
was?
Vielleicht sollte ich Kerzen anzünden oder
ein Gelübde ablegen. An einem Gottesdienst teilnehmen, etwas spenden oder etwas
opfern. Vielleicht Gott um Hilfe bitten? Oder eine Wallfahrt unternehmen und in
der Bibel lesen. Oder eine Predigt anhören, geistliche Lieder singen,
Bibelstunden oder einen Hauskreis besuchen, in der Gemeinde ehrenamtlich
mitarbeiten oder dreimal am Tag beten? Und du? Was tust du Religiöses vor allem
dann, wenn es Probleme gibt?
Gott machen lassen
Je mehr ich mich mit der Bibel
beschäftige, desto klarer wird mir, dass zwischen Religion und Glaube ein
deutlicher Unterschied ist. Wenn ich etwas Religiöses tue, dann bin ich es,
der aktiv wird, der versucht irgendwie auf eine höhere Macht oder genauer, auf
Gott einzuwirken. So läuft das in allen Religionen, im Islam, im Buddhismus, im
Judentum und auch im Christentum. Die alten Römer hatten dafür den Spruch »do
ut des«. Auf Deutsch: 'Ich gebe dir, Gott, etwas, damit du mir etwas gibst.'
Und dann haben sie irgendetwas geopfert. Auch wir spenden ja in der Kirche oder
in der Gemeinde Zeit oder Geld für einen guten Zweck und hoffen vielleicht
insgeheim, dass Gott uns das anrechnet. Auch wir versuchen ein anständiges Leben
zu führen und uns an die Gebote Gottes zu halten. Das ist auch nicht verkehrt.
Im Gegenteil, das kann man von Christen erwarten.
Und trotzdem ist das alles erst Religion,
aber noch nicht Glaube, noch nicht der biblische Glaube, den
wir von Abraham, Josef und David kennen und den Jesus vorgelebt und verkündet
hat. Religion, das sind alle unsere menschlichen Bemühungen um einen gnädigen
Gott. Glaube aber zeichnet sich dadurch aus, dass ich damit aufhöre,
irgendetwas Religiöses zu tun, mit irgendetwas Gott gefallen zu wollen.
Vielmehr werde ich ruhig und lasse ihn machen. Glaube, das ist zuerst und
zuletzt ein schlichtes und tiefes Gottvertrauen.
Als der junge David dem Riesen Goliath zum
entscheidenden Kampf auf Leben und Tod entgegentrat, da hat er sogar auf die
schwere Rüstung seines Königs Saul verzichtet. Da hat er auch nicht Gott lang
und breit um Beistand angefleht, hat keine Opfer dargebracht und keine Gelübde
getan. Er ist dem grimmigen Goliath schlicht und einfach mit grenzenlosem
Gottvertrauen begegnet so wie er es im Psalm 23 zum Ausdruck bringt: »Der Herr
ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Und ob ich schon wanderte im finsteren
Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.«
Glaubensbeispiel: David und sein Psalm 23
Liebe Freunde das ist Glaube, was dieser
Psalm sagt und nicht etwas Religiöses. Denn David stellt in diesem Psalm nur
fest, was feststeht. Er bittet Gott nicht darum, dass er doch sein Hirte sein
möge. Er bittet ihn nicht darum, ihm alles zu geben, was er braucht. Um das
alles bittet David Gott nicht. Sondern er setzt das voraus. Er vertraut darauf,
dass Gott so ist wie er sagt und nicht erst durch die Bitten
eines Menschen dazu gebracht werden muss.
So beten wie David im 23. Psalm, das ist
Glaube. Nicht mehr betteln: „Ach Herr, bitte, bitte sei mein Hirte“. Sondern im
Brustton der Überzeugung feststellen: „Gott, du bist mein Hirte.
Gott du tust alles für mich. Du segnest mich, du behütest
mich, du vergibst meine Schuld, du machst mich wieder gesund, du lässt mich
wieder gute Tage sehen, du machst mich wieder fröhlich, du gibst mir Kraft und
schenkst mir Zuversicht, du bist gnädig und barmherzig, du rettest mich aus der
Macht des Bösen und des Todes und schenkst mir ewiges Leben. Das alles tust du,
Herr, für mich Tag und Nacht, ob ich dich darum bitte oder nicht, ob ich
sündige oder nicht. Denn du bist für mich da und darum will ich für dich da sein.
Ja, liebe Freunde, das ist Glaube, dass
ich mitten in guten und mitten in schlechten Zeiten, mitten in Freude und
mitten im Leid feststelle: So ist Gott. So wie Jesus ihn uns gezeigt hat, wie
ein liebender Vater. Und nichts und niemand kann ihn daran hindern, so zu sein,
auch nicht mein Unglaube, auch nicht meine Sünde, auch nicht mein Leid.
Aber soll ich denn dann Gott um gar nichts
mehr bitten? Nein, natürlich nicht. Wenn mir klar ist, was Gott für mich ist
und was ich für ihn bin, dann bitte ich ihn voll Zuversicht, dass er mir gibt,
was ich brauche. Das ist dann so, wie wenn mich mein Sohn bittet, ihm fünf Euro
zu geben, damit er sich vor dem Nachmittagsunterricht in Ansbach etwas zu essen
kaufen kann. Er weiß, dass er das Geld bekommt. Aber er bellt nicht: ‚Los,
Alter, rück mal das Geld raus!‘. Er quengelt mir auch nicht minutenlang die
Ohren voll, sondern sagt ohne den geringsten Zweifel: ‚Papa, kannst du mir
bitte mal fünf Euro geben?‘ Dass er ‚bitte‘ sagt, ist mehr eine Geste des
Anstands, aber kein Anzeichen von Unsicherheit.
Und genauso ist es, wenn ich Gott um etwas
bitte. Jesus sagt dazu: »Leiere nicht endlose Gebete herunter wie Leute, die
Gott nicht kennen. Sie meinen, sie würden bei ihm etwas erreichen, wenn sie nur
viele Worte machen. Folgt nicht ihrem schlechten Beispiel, denn euer
Vater weiß genau, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn um etwas bittet.« (Matthäus
6,7+8)
In Gottes Hand
»Tun Sie etwas Religiöses!«, so lautet das
Thema dieser Predigt. Jetzt am Ende kann ich sagen: „Nein, das tue ich nicht,
sondern ich glaube. Ich vertraue darauf, dass Gott alles für mich getan hat und
tut, was nötig ist.
Wenn ich früher in einem Flugzeug saß,
habe ich vor dem Start meistens etwas Religiöses getan. Dann habe ich Gott
gebeten, dass alles gut gehen möge. Das war nicht verkehrt. Aber insgeheim
fragte ich mich doch, ob Gott mein Gebet wohl erhören würde? Solange du etwas
Religiöses tust, kannst du nie sicher sein, ob Gott darauf auch eingeht.
Wenn ich heute in einem Flugzeug sitze,
mache ich es anders. Da sage ich zu mir nur einen einzigen Satz: »Wir sind alle
in Gottes Hand!« Damit sage ich, was ist und worauf ich mich
verlasse. Und dann erlebe ich entspannt den Start und freue mich auf den Flug.
Lebe auch du dein Leben so gut du kannst.
Feiere und freue dich, wenn du Grund dazu hast. Klage, wenn du Leid tragen
musst. Wage und riskiere etwas. Sei auch bereit, dich schuldig zu machen, zu
scheitern und zu versagen. Aber in alledem glaube. Vertraue von ganzem Herzen,
dass Gott für dich da ist, in jedem Augenblick und an jedem Ort.
Amen