Predigt im
162. Lichtblickgottesdienst am 20. Januar 2013.
Bibelwort:
Psalm 18,30.
Aus der Reihe: Wie soll ich leben? Teil 2 (Teil 1 siehe 6.1.13)
Liebe
Freunde,
ich
beginne den zweiten und letzten Teil der kleinen Reihe „Wie soll ich leben?“
mit einem bekannten Gebetswunsch. Gott, so
heißt es da, gebe mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann; den Mut, Dinge zu ändern, die ich
ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Im
letzten Lichtblick-Gottesdienst habe ich über die Dinge gesprochen, die wir
nicht ändern können und deshalb hinnehmen müssen, wie Abschiede und Verluste.
Heute spreche ich über Dinge, die man
ändern kann, wie ungute Angewohnheiten oder ein Suchtverhalten und was dabei
hilft. Und deshalb heißt das Thema heute: Über
den eigenen Schatten springen.
Jedes
Kind hat das schon mal probiert, über den eigenen Schatten zu springen, und
feststellen müssen, dass das nicht geht. Oder doch? Jeder kann sich überwinden,
etwas zu tun, was er bisher noch nicht getan hat. „Komm, spring halt über
deinen Schatten und probier die köstlichen Muscheln!“ Und dann schmecken
plötzlich die Meeresfrüchte doch, um die man auf der Speisekarte bisher immer
einen Bogen gemacht hat. Aber es geht auch ernster: „Komm, spring halt mal über
deinen Schatten und lass die Bierflasche zu!“
Nein,
einfach ist so was wirklich nicht. Fast jeder von uns hat die eine oder andere
ungute Angewohnheit, doch man kriegt sie einfach nicht los. Es wird zu viel
gegessen, geraucht, zu viel ferngesehen, zu viel am PC gespielt oder auf dem
Smartphone gedaddelt. Oder man bewegt sich zu wenig, verbringt zu
wenig Zeit mit den Kindern oder Enkeln, zeigt zu wenig Selbstkontrolle und
Disziplin. Wenn du deine eigenen Schattenseiten kennst, hast du wenigstens die
Chance, etwas dagegen zu tun. Aber wenn du nicht wahrhaben willst, dass du
vielleicht ein Problem mit dem Trinken oder einer ungesunden Lebensweise hast
oder damit, wie du mit deinem Partner umgehst – dann wirst du auch nicht über
deinen Schatten springen können.
In der
Bibel im Psalm 18 steht das Wort: »Mit
meinem Gott kann ich über Mauern springen«. Daran hatte sich am 9. November
1989 mancher erinnert, der zuvor in der DDR mit Friedensgebeten und Kerzen für
mehr Freiheit eingetreten ist und nun auf einmal mit tausenden anderen auf der
Berliner Mauer tanzte. Ich werde diese Bilder nie mehr vergessen. Doch das
Bibelwort meint nicht in erster Linie Mauern aus Stein, über die Gott mit mir
springt, sondern die Mauern in unseren Köpfen und Herzen. Die Mauern der Angst,
der Sucht, des Egoismus, der Enttäuschung, der Wut und der Depression. Es meint
die Mauern, die mich von anderen und von Gott trennen und mich selbst von einem
besseren Leben.
Statt
Mauern können wir genauso gut Schatten sagen, die das eigene Lebensglück und
das der anderen verdüstern. Und solche Schatten sind mächtig, sehr mächtig. Du
erlebst dich ihnen gegenüber oft als ohnmächtig, weil du sie trotz allem
Bemühen nicht los wirst. Sie sind in deinem Unterbewusstsein zuhause, wo sie
ihr Eigenleben führen.
Ja,
solche Schatten sind mächtiger als man selbst. Aber nicht mächtiger als Gott.
Und deshalb können wir auch so sagen: »Mit meinem Gott kann ich über meinen
Schatten springen.« Was du aus eigener Kraft nicht schaffst, – mit seiner Hilfe
schaffst du auch das, was lange unmöglich schien. Dazu brauchst du die
Weisheit, zu unterscheiden, was du in deinem Leben annehmen musst, weil es
unabänderlich ist und was du ändern kannst. Und ich glaube, das ist eine ganze
Menge.
Schauen wir
dazu auf Jesus. Wie ist er denn mit seinem Schatten umgegangen? Hatte er
überhaupt einen? Ich denke schon. Seine Stärke, nämlich Gottes Sohn zu sein,
war gerade seine Achillesverse, sein Schwachpunkt, wo er angreifbar und
verwundbar war. Jesus hat das gewusst. Er hat seinen Schatten gekannt, das
Machtbewusstsein. Er hat mit ihm einsame 40 Tage in der Wüste gerungen, wo er
betete und fastete (Matthäus
4,1-11). Doch
der Teufel hat das auch gewusst und ihm deshalb in der Wüste nachgestellt.
Jetzt sollte sich entscheiden, wer stärker war. Jetzt sollte Jesus zeigen, ob
er stark genug war, die Ohnmacht eines Menschenlebens zu wählen oder so
schwach, dass er sich in die göttliche Allmacht flüchten würde. Seine Stärke
sollte ja gerade seine Ohnmacht sein und nicht seine Macht. Seine Kraft sollte
aus dem Machtverzicht kommen und nicht aus der Machtvollkommenheit. Nur so
würde er stark genug sein, ohnmächtig das Kreuz zu ertragen und uns zu erlösen.
Ich weiß, das klingt paradox, weil es in unserer Welt genau andersherum zugeht.
Da zählen Macht und Stärke. Aber wer ausschließlich darauf setzt, tut sich
selbst und anderen nichts Gutes.
· Also sagte der Widersacher
Gottes, der Teufel, zu ihm: „Ich sehe doch wie ausgehungert du nach dem langen
Fasten bist. Doch du hast die Macht, die Steine hier in Brot zu verwandeln, um satt zu werden.“ Aber Jesus antwortete: „Es braucht mehr als Brot, um ein
Mensch zu sein. Unser Leben hängt von dem ab, was Gott zu uns sagt“ (5. Mose 8,3).
· Doch der Teufel lässt nicht
locker und nimmt einen zweiten Anlauf: Er nimmt Jesus mit und stellt ihn auf
den höchsten Punkt des Tempels von Jerusalem. Dann sagt er: „Wenn du schon
Gottes Sohn bist, dann stürze dich in die Tiefe. Schließlich heißt es in der
Bibel: »Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen
Wegen«. Sie werden dich auf Händen tragen und du wirst keine Schramme haben“ (Psalm 91,11.12). Doch Jesus antwortet ihm
ebenfalls mit einem Wort aus der Heiligen Schrift und sagt: „Auch das steht in
der Bibel: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht auf die Probe stellen“ (5. Mose 6,16).
· Und so probiert es der Teufel
ein drittes Mal. Jetzt fährt er sein stärkstes Geschütz auf und sagt: „Los,
knie vor mir nieder und bete mich an. Dann will ich dir alle Macht dieser Erde
geben, dass du herrscht über alle Kaiser und Könige. Und dir soll alles
gehören, alle Länder und Reiche mit allen Menschen und Schätzen.“ Doch Jesus
springt ein drittes Mal über den Schatten des Machtbewusstseins und der
Machtvollkommenheit und sagt: „Verschwinde Satan! Du weißt selbst, dass es in
der Bibel heißt: „Geh nur vor Gott auf die Knie und bete allein ihn an. Und
diene ihm von ganzem Herzen“ (5. Mose 6,13). In diesem Augenblick, so sagt die Bibel, verschwindet der Teufel
und die Engel kommen, um Jesus zu dienen.
Das ist
der Weg, den Jesus auch uns heute zeigt, die wir mit unseren Schatten zu
kämpfen haben. Im Glauben kann es uns gelingen, mit Gott über unsere Schatten
zu springen – hinein in ein besseres Leben.
Die
anonymen Alkoholiker versuchen diesen Weg zu gehen. Sie haben dazu ein
12-Schritte-Programm entwickelt und zusätzlich zwölf Vorsätze formuliert. Dazu
gehört, dass sie zugeben, gegenüber ihrer Sucht machtlos zu sein und nur eine
Macht, die größer ist als sie selbst, ihnen die geistige Gesundheit wiedergeben
kann. Darum fassen sie den Entschluss, ihren Willen und ihr Leben der Sorge
Gottes anzuvertrauen. Sie machen eine wahrheitsgemäße Bestandsaufnahme aller
Verfehlungen und suchen im Gebet die bewusste Verbindung zu Gott, dass er ihnen
die Kraft gebe, nach seinem Willen zu leben.
Das ist
vor allem für uns Männer schwer, unseren eigenen Schatten anzuschauen und
Schwächen wie Versagen zuzugeben. Viele von uns meinen, immer Stärke zeigen zu
müssen, in der Familie, im Beruf, im Verein. Dann wird der Schatten ignoriert.
Aber du wirst ihn so trotzdem nicht los und leidest, weil du spürst, dass da
etwas in deinem Leben ist, das nicht passt und das du nicht im Griff hast.
In ihren
zwölf Vorsätzen konzentrieren sich die anonymen Alkoholkranken immer nur auf
den heutigen Tag. Nur wenn dieser kleine Schritt gelingt, haben sie die Chance,
schrittweise ihr ganzes Leben zu ändern. Sie sagen: „Nur für heute will ich die
Stille suchen, mich dabei auf Gott besinnen, auf mich selbst und auf meinen
Nächsten. Nur für heute will ich keine Angst haben und mich nicht davor
fürchten, glücklich zu sein und mich an den guten, schönen und liebenswerten
Dingen im Leben erfreuen.“
Alle 12
Vorsätze, aus denen ich jetzt nur einen kleinen Ausschnitt wiedergegeben habe,
findet Ihr am Ausgang als Kopie und könnt sie mit nachhause nehmen. Sie sind
außerdem im nächsten Gemeindebrief abgedruckt, der Ende des Monats erscheinen
wird. Denn ich meine, diese Vorsätze helfen nicht nur Suchtkranken, sondern
auch den Gesunden zu einem besseren Leben.
Zuletzt
lasse ich Alice Cooper zu Wort kommen, einen der schrillsten und bizarrsten
Rockmusiker der siebziger Jahre. Die Wochenzeitung DIE ZEIT hat Auszüge aus seiner
Lebensbeschreibung abgedruckt. Darin sagt Alice Cooper:
»Niemand
denkt sich aus: Ich werde ein Rockstar sein, ein großes Haus haben, eine schöne
Frau und drei Ferrari – und ich werde Alkoholiker sein. Niemand will
Alkoholiker sein. Auch ich nicht... Von außen besehen ging es mir gut. Aber in
mir gab es eine Revolution. Mein Körper konnte so viel Alkohol nicht mehr
verarbeiten. Ich erbrach Blut. Als meine Frau das sah, brachte sie mich ins
Krankenhaus.
Ich
bedauere diese Erfahrung schon deshalb nicht, weil sie mich zurück zum Glauben
geführt hat. Ich war der verlorene Sohn. Ich bin in der Kirche aufgewachsen.
Mein Vater und mein Großvater waren Pfarrer. Dann ging ich weg, soweit ich nur
konnte. Und zerstörte mich beinahe selbst. Als ich aus der Klinik entlassen
wurde, ging ich nicht… in irgendeine Art von Therapie. Das Wunder war, dass
Gott meine Sucht einfach weg nahm. Selbst die Ärzte wunderten sich. Ich glaube
an Wunder. Der Glaube kam einfach zurück zu mir, und ich habe bis heute keine
Erklärung dafür. Die Leute sagten: Deine Selbstkontrolle ist großartig. Aber
ich kenne mich selbst gut genug. Ich habe in Wirklichkeit überhaupt keine
Selbstkontrolle. Ich bin jetzt nur abhängig von der richtigen Person«, von
Gott. »Und nicht mehr von mir selbst.«
Ja, „mit
meinem Gott kann ich über Mauern springen“, über meinen Schatten. Alice Cooper
konnte das und du kannst das auch.
Amen
Hans Löhr
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Evang. Pfarramt Sommersdorf mit Burgoberbach und Thann
Sommersdorf 5 / 91595 Burgoberbach