Sonntag, 27. Januar 2013

»Make-up für Jesus - Noch mal von vorn« hl

Predigt am Sonntag Septuagesimae (27.01.2013) von Hans Löhr
Predigttext: Matthäus 9, 9-13

Liebe Gemeinde,

stellt euch das mal vor: Am Sonntag, dem 10. März erscheint ein Engel in unserem Gottesdienst mit der Botschaft: »Jesus kommt am Palmsonntag in eure Gemeinde.« Engel und Botschaft sind so glaubwürdig, dass kein Zweifel daran besteht. Wir hier sind erstmal ziemlich erschrocken und dann fragen wir uns: „Was sollen wir bloß tun, um ihn würdig zu empfangen?“
Um darauf eine Antwort zu finden, rufe ich noch am selben Tag die Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher zu einer Sondersitzung zusammen. Es geht vor allem darum, wie wir die Kirche schmücken sollen und natürlich auch das Pfarrhaus und das ganze Dorf. Und wer darf dann überhaupt in der Kirche dabei sein? Wir werden wohl mit einem großen Andrang rechnen müssen. Soll es eine Sitzordnung geben? Sollen wir Platzkarten verteilen und wenn ja, an wen? Und sollen wir überhaupt jemand noch dazu einladen? Den Bürgermeister vielleicht oder den Dekan oder den Regionalbischof? Den Landesbischof, den Landrat oder den Ministerpräsidenten oder nicht gleich Bundespräsident Gauck, der selbst ja auch Pfarrer ist?
Und wie wollen wir es mit der Presse halten? Sollen wir sie informieren? Die Journalisten werden auf jeden Fall Wind davon bekommen. Müssen wir für sie Plätze in der Kirche freihalten? Sollen wir nach dem Gottesdienst eine Pressekonferenz mit Jesus veranstalten?
Der Pfarrer gibt zu bedenken, ob das nicht alles ein bisschen zu viel ist. Schließlich kommt der Herr ja gezielt in unserer Gemeinde. Muss man da auch noch Leute von auswärts dazu einladen? Im Kirchenvorstand ist man geteilter Meinung. Die Mehrheit setzt sich durch. Sie meint, dass man die kirchlichen und weltlichen Würdenträger nicht verprellen darf und ebenfalls einladen soll.

Rotwein für 200 Euro

In den Tagen vor Palmsonntag steigt die Spannung ins Unermessliche. Alle Frauen vereinbaren schnell noch einen Termin beim Friseur. Die Männer bringen ihre Anzüge in die Reinigung und kaufen sich eine neue Krawatte. Das ganze Dorf wird geschmückt mit Blumen und Girlanden, mit Transparenten und Fahnen. Die Wege zur Kirche werden mit einem grünen Teppich aus geschnittenen Zweigen bestreut. Die Kirche selbst wird von den Mesnerinnen und vielen Frauen, die freiwillig mithelfen, auf Hochglanz gebracht. Männer machen Schönheitsreparaturen. Den Bläsern des Posaunenchors tun vor lauter Üben schon die Lippen weh. Viele lernen schnell noch einmal den Kleinen Katechismus. Man weiß ja nie, ob man nicht vielleicht doch Bescheid wissen muss? Im Sommersdorfer Pfarrhaus wird für ein Menü eingekauft. Es soll Lammbraten geben, den die Pfarrerin kocht, mit einem guten Rotwein, die Flasche zu 200 Euro, den der Pfarrer besorgt. Es hätte auch eine für 500 Euro gegeben, aber so viel wollte er dann doch nicht ausgeben.
Nur die üblichen Verdächtigen im Dorf fallen wieder mal auf: Auch dieses Mal machen Sie nicht mit und zeigen an Jesus kein Interesse. Sie kommen ja auch sonst nicht in die Kirche. Und vermutlich wären sie da bei ihrem zweifelhaften Lebenswandel und ihren rüden Umgangsformen auch gar nicht so gern gesehen. Man will sich ja nicht blamieren, wenn Jesus höchstpersönlich kommt.

Polierte Amtskreuze

Dann ist der große Tag endlich da. Nicht nur das ganze Dorf ist auf den Beinen und die Dörfer ringsum. Hunderttausende aus dem ganzen Land und aus dem Ausland verstopfen die Straßen, zertrampeln die Gärten. Journalisten aus aller Welt prügeln sich um die besten Plätze. Selbstverständlich sind der Landesbischof und der Dekan der Einladung gefolgt und haben vorher noch eifrig ihr Amtskreuz poliert. Ab und zu kontrollieren sie, ob der Zettel mit dem wohlformulierten Grußwort noch in der richtigen Tasche steckt. Auch der Ministerpräsident und der Bundespräsident haben sich angesagt. Für sie werden vor der ersten Bankreihe extra Stühle aufgestellt.
Der Pfarrer trägt zum Talar ein frisch gebügeltes Beffchen. Die Kirchenvorsteher tragen schwarze Anzüge mit silbernen Krawatten und die Kirchenvorsteherinnen dunkle Kostüme, dazu ein dezentes, nicht zu auffälliges Make-up. Alles für Jesus.
Die Spannung erreicht den Siedepunkt. Jetzt ist es so weit. Die Glocken läuten. Und tatsächlich, wie in der Bibel beschrieben, erscheint ein Blitz von einem Ende der Erde zum anderen und dann ist Jesus mitten unter den Leuten vor der Kirche. Alle verstummen. Kaum einer wagt zu atmen. Jesus geht langsam die Straße entlang. Alles weicht ehrfürchtig vor ihm zurück. Sogar der Personenschutz der Politiker. Er selbst hat keinen mitgebracht. 

Jesus auf Abwegen

Da, was ist da? Jesus geht gar nicht den Weg zur Kirche. Er biegt in eine Seitenstraße ein und geht geradewegs auf eines der Häuser zu, die nicht geschmückt sind. Wo die Leute daheim geblieben sind und lieber Super-RTL schauen. Wo die, na du weißt schon, die Typen mit den lockeren Sitten und mit den leeren Schnapsflaschen vor der Wohnungstür hausen. Jesus klingelt. Man öffnet. Er geht hinein. Die Menschen, die ihn draußen erwartet hatten, schauen sich ratlos an. Sie versammeln sich vor dem Haus und warten. Aber es dauert geschlagene drei Stunden, bis er wieder herauskommt. Man sagt, er habe in dem Haus Pizza gegessen und billigen Rotwein getrunken. Sogar einen Schnaps habe er nicht verschmäht.
Im Pfarrhaus ist unterdessen der Lammbraten kalt geworden. In der Kirche macht sich immer mehr Unruhe breit. Man hört, dass er gekommen ist, aber eben nicht zum Gottesdienst, nicht zum Landesbischof und nicht zum Bundespräsidenten, nicht zum Pfarrer und nicht zu den Kirchenvorstehern. Allen Honoratioren aus Kirche, Wirtschaft, und Politik hat Jesus einen Korb gegeben. Die Zettel mit den vorbereiteten Grußworten werden enttäuscht weggesteckt. Die Fernsehkameras werden abgeschaltet. Der Ministerpräsident drängt zum Aufbruch. Schließlich ist Wahlkampf. Niemand versteht, was vorgefallen ist.
Da, als alle schon aufbrechen wollen, erscheint Jesus doch noch in der Kirche. Keiner kann hinterher sagen, wie er hereingekommen ist.

Die sich selbst für fromm und gerecht halten

»Friede sei mit Euch!« sagt er und »Was seid ihr so verdutzt? Kennt ihr nicht die Bibel? Wisst ihr nicht, was bei Matthäus geschrieben steht im 9. Kapitel? Ich will es euch sagen:
Als ich damals durch Palästina ging, sah ich einen Mann, der gerade dabei war, Steuern einzutreiben. Sein Name war Matthäus. Er war einer von jenen Typen, die im ganzen Land verhasst waren, weil sie mit den Römern kollabierten und das eigene Volk betrogen. Ich sagte zu ihm: „Komm, geh mit mir.“ Und Matthäus stand auf und schloss sich mir an. Später, als ich im Haus von Matthäus mit ein paar meiner Jünger zu Abend aß, kam eine ganze Reihe von Leuten, die einen üblen Ruf hatten und setzten sich mit an den Tisch. Kaum hatten die „feinen“ Leute erfahren, in welcher Gesellschaft ich mich befand, regten sie sich auch schon auf und machten den Jüngern Vorhaltungen: „Könnt ihr uns erklären, warum euer Meister sich mit einem solchen Gesindel an einen Tisch setzt?“ Ich hab das natürlich mitbekommen und ihnen selbst die Antwort gegeben: „Wer braucht denn nun den Arzt: der Gesunde oder der Kranke? Geht und fragt euch einmal, was das Bibelwort bedeutet: ‚Erbarmen erwarte ich von euch, nicht religiöses Getue.‘ Ich bin gekommen, um Menschen für Gott zu gewinnen, die weit weg von ihm sind, die Sünder und nicht die, die sich selbst für fromm und gerecht halten.“« (Matth. 9,9-13) Dann sagt er noch: »Wenn ihr nur endlich aufhören würdet, über andere schlecht zu denken und schlecht zu reden, die nicht so sind und nicht so leben wie ihr, – dann komme ich das nächste Mal auch zu euch.«
Kaum hat er das gesagt, ist er auch schon verschwunden.

Das war geil

Pfarrer und Kirchenvorstand denken in der nächsten Sitzung über die Frage nach, ob sich die Kirchengemeinde ebenfalls für die Leute interessieren sollte, für die sich Gott interessiert und was das wohl für Folgen hätte. Die Typen aber, mit denen er gegessen hatte, sagen: »Ey, das war vielleicht geil. Hatten nie gedacht, dass Gott sich für uns interessiert und dass Jesus persönlich zu uns kommt, ausgerechnet zu uns.« Sie werden noch ein paar Tage respektvoll gegrüßt. Doch das legt sich wieder und bald ist es so wie immer.

Ja, liebe Gemeinde, zum Glück haben wir uns das alles nur vorgestellt. Wäre es wirklich passiert, wir müssten womöglich über unser Leben und unseren Glauben nochmal ganz neu nachdenken und von vorn beginnen – und die Kirche auch.
Amen

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