Sonntag, 6. Januar 2013

Wie soll ich leben? - Das Unabänderliche annehmen hl

Lichtblickgottesdienst am 06.01.2013 Aus der Reihe: Wie soll ich leben? 1/2

Liebe Freunde,
»Mit 17 hat man noch Träume, da wachsen noch alle Bäume in den Himmel… – der Liebe.« Ja, viele hier kennen dieses Lied. In jungen Jahren träumen wohl die meisten Menschen, wie ihr Leben mal sein sollte: Wir träumen von der idealen Frau oder vom idealen Mann, von einer glücklichen Familie, von beruflichem Erfolg und Wohlstand mit allem, was dazugehört. Manche träumen auch von Ruhm und Macht. Mit 27 sieht das schon ein bisschen anders aus. Mit 37, 47, 57, 67 und 77 noch anders.
Zur Frage „Wie man am besten leben soll“ gibt es eine unübersehbare Ratgeber Literatur. Das beginnt mit der Apotheken Umschau und reicht bis zu den Philosophen der römischen und griechischen Antike wie Seneca oder Epikur. Aber mir geht es jetzt nicht um allgemeine Ratschläge, sondern um die Frage „Wie soll ich, wie kann ich leben, wenn mein Leben nicht so verläuft, wie ich es mir einmal erträumt habe. Wie soll ich leben angesichts der Abschiede, Brüche und Verluste, die ich erleide und die zum Leben nun mal genauso dazugehören wie Erfüllung und Glück?

Einsatz als Notfallseelsorher
Vor einiger Zeit wurde ich von der Polizei als Notfallseelsorger im Landkreis angefordert. Eine junge Frau hatte ihren Selbstmord angekündigt und war mit ihrem Auto verschwunden. Ihre Mutter war am Boden zerstört. Sie konnte zunächst keinen klaren Gedanken fassen. Ich hab sie dann erzählen lassen von ihrer Tochter und aus ihrem Leben. Allmählich wurde sie ruhiger. Am Schluss haben wir miteinander für die Tochter gebetet. Das hat der Mutter gut getan, auch wenn nicht klar war, wie es ihrem Kind in diesem Augenblick geht. Die Tochter hatte in eine Liebesbeziehung eine so große Enttäuschung erfahren, dass sie meinte, ihrem Leben ein Ende setzen zu müssen.
Nicht jeder geht gleich bis zum Äußersten. Aber für jeden von uns stellt sich die Frage, wie kann, wie soll ich leben, wenn Unglück mein Leben überschattet?
Unser Gott, liebe Freunde, ist kein Glücksgott, sondern ein Gott des Lebens mit allen seinen Schattierungen. Wir können ihm danken, wenn es uns gut geht und uns freuen über die Tage des Glücks, die er uns schenkt. Aber wir brauchen ihn erst recht, wenn die Freude geht und das Leid an die Haustür klopft. Manche sind dann auf Gott böse, weil er sie nicht verschont hat. Aber den Gott, auf den sie böse sind, haben Sie sich selbst gemacht. Er ist nicht der Gott der Bibel. Dieser zeigt Dir seine Kraft gerade dann, wenn Du kraftlos bist, seine Macht, wenn Du ohnmächtig bist. Auch hier unter uns sitzen nicht wenige, die erfahren haben und bezeugen können, was Jesus Christus sagt: »Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig«. Anders gesagt: In meiner Schwäche wird sich seine Kraft und Stärke zeigen. Da wo ich am Ende bin, kommt er zum Zug. In dem, was ich verloren habe, wird sich zeigen, was er mir bedeutet und gibt.
Gott lässt seine Kinder nicht im Stich. Davon bin ich überzeugt. Ja, seine Gnade geht so weit, dass selbst Schwerstbehinderte glücklich sein können. Am 24. Februar 2011 stand auf Seite 1 der Süddeutschen Zeitung: 

Glückliche Schwerstbehinderte

»Es vergeht kaum die Zeit eines Wimpernschlags, da haben sich Gesunde meist schon entschieden: Die Vorstellung, dass ihr Körper vollständig gelähmt ist, erscheint ihnen schier unerträglich. „Ich wäre lieber tot“, sagt fast jeder. Fast jeder, der keine Ahnung hat. Menschen nämlich, deren Körper tatsächlich vollständig gelähmt ist, wären nicht lieber tot. Die Allermeisten sind zufrieden mit ihrem Leben, wie eine belgische Studien mit Patienten zeigt.… Die Patienten müssen fast immer beatmet und künstlich ernährt werden, trotzdem bezeichneten sich 72 % als glücklich.… Nur 7 % der befragten Patienten gaben zu erkennen, dass sie lieber tot wären.«  Der Arzt, der die Studie leitete, sagt: »„Die Patienten sollten aber unbedingt wissen, dass sie bei guter Pflege eine ernsthafte Chance haben, wieder ein glückliches Leben zu führen.“« Doch das dauert. Erst stellen sich schwere Depressionen ein, bis sie endlich ihr Schicksal annehmen können. Dann, so die Studie, geht es »diesen Patienten… erheblich besser als ein Gesunder sich das vorstellen kann.«
Dass so etwas möglich ist, begreife ich als Gnade. Der Schöpfer lässt seine Kinder auch im Extremfall nicht im Stich, egal ob sie gläubig sind oder nicht. Aber er will uns als seine Mitarbeiter, die, wo es darauf ankommt, begleiten und helfen. »Deine Gnade reicht bis ans Ende der Welt«, haben wir soeben gesungen. Sie reicht auch in die tiefsten Tiefen menschlicher Existenz.
Bei unserem heutigen Predigtthema geht es nicht nur um Extremfälle, sondern darum, wie ich leben, wie ich damit umgehen kann, wenn ich wieder loslassen und hergeben muss.
Da muss zum Beispiel ein Bauer seinen Hof aufgeben. Und als dann die letzte Kuh fort ist, geht der heimlich in den Stall und weint. Ein Angestellter, der in Rente geht, hat plötzlich keine Kollegen mehr, keine geregelte Arbeit, keine Aufgabe die ihn ausfüllt. Und trotzdem geht das Leben weiter. Nur wie?

Sein Schicksal akzeptieren

Nach allem, was ich weiß, geht es bei jedem Verlust, egal, ob man einen Teil seiner Gesundheit verliert oder den Partner durch Tod oder Scheidung oder schließlich auch das Leben – immer geht es darum, dass ich bis zu dem Punkt komme, wo ich mein Schicksal akzeptieren kann und damit einverstanden bin. Bis man soweit ist, fließen manche Tränen, quält manche Verzweiflung, gehst Du durch das tiefe Tal der Depression. Das geht Gläubigen nicht anders als Ungläubigen. Und wenn Du schon mal an dem Punkt warst, wenn Du schon mal Dein Schicksal angenommen hattest, kann es sein, dass Du trotzdem noch ein paar Mal diesen Weg gehen musst, bis Du endgültig die Situation akzeptieren kannst, in der Du nun bist.
Als Jesus wusste, dass es keinen Ausweg mehr geben würde und sein Tod unmittelbar bevorstand, hat er im Garten Gethsemane vor lauter Angst Blut geschwitzt und Tränen geweint und Gott mehrmals auf Knien angefleht: Vater, erspare mir doch den bitteren Leidenskelch. Aber nichts geschah. Irgendwann war er dann so weit. Er hatte sich durchgerungen und gesagt: „Vater, aber nicht wie ich will, sondern wie Du willst.« »Da,« so heißt es in der Bibel, »erschien ihm ein Engel und gab ihm Kraft.«
An diesem Punkt, so glaube ich, ist der entscheidende Unterschied, wie Gläubige und Ungläubige mit einem schweren Verlust umgehen. Wer an Gott glaubt, beugt sich letzten Endes unter seinen Willen und nimmt aus seiner Hand an, was er ihm schickt. Das ist leichter gesagt als getan. Dem gehen viele innere Kämpfe und Anfechtungen voraus. Aber irgendwann kommt dann einmal die Erlösung, dass Du annehmen kannst, was Dir auferlegt ist. Dann, so hoffe ich, spüren wir, Du wie ich, dass Gottes Engel zu uns tritt und uns die Kraft gibt, die wir brauchen und den inneren Frieden, nach dem wir uns sehnen. Ja, seine Gnade reicht bis ans Ende der Welt.

Nicht liebenswert, aber liebesbedürftig
»Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig«, sagt Jesus. Diese Gnade gilt auch denen, die durch eigenes Verschulden ihr Lebensglück verspielt haben: denen, die den Bund der Ehe gebrochen haben, denen, die von einer bösen Sucht abhängig sind, denen, die strafrechtlich belangt worden sind, denen, die abgetrieben haben. Auch für sie leuchtet aus der Krippe das Gnadenlicht. Und wenn solche schweren Brüche im Leben nicht mehr rückgängig gemacht werden können, so kann Gott Dich doch heilen, wenn Du Dein Versagen bekennst und ihn darum bittest. 
Wenn ich eins über Gottes Liebe gelernt habe, so wie Jesus sie uns gebracht hat, dann dies: Er schenkt sie Dir nicht, weil Du so liebenswert wärst oder gut oder fromm oder tüchtig. Er schenkt sie Dir, weil Du sie brauchst.

Die Tochter, von der ich vorhin erzählt habe, fuhr mit ihrem Auto an einen Waldrand, nahm eine tödliche Dosis Tabletten mit, setzte sich an eine Lichtung und schluckte eine nach der anderen. Da trat ein Reh aus dem Unterholz auf die Lichtung und fing wenige Meter vor ihr in Ruhe zu fressen an. Die junge Frau legte die Tabletten weg, nahm ihr Handy, machte ein Bild von dem Reh und schickte es ihrer Mutter. Dann ging sie zurück zu ihrem Auto, um dort zu sterben. Doch in dem Augenblick, als sie ihr Handy eingeschaltet hatte, wurde das Gerät von der Polizei geortet. Ein Rettungswagen rückte aus und fand die Frau. Sie konnte im letzten Augenblick gerettet und ins Leben zurückgebracht werden. »Gottes Gnade reicht bis…«
Wie soll, wie kann ich leben mit meinem Schmerz? Manchmal gibt dir Gott dazu die Kraft aus dem Glauben. Manchmal schickt er einen Engel. Und manchmal tut er ein Wunder und schickt ein Reh. Liebe Freunde, doch, wir können leben, auch wenn das Tal, durch das wir gehen, stockfinster ist, weil Gott seine Kinder nicht im Stich lässt, Dich nicht und mich auch nicht.  Amen    Hans Löhr

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