Lehrtext: Die Weisheit von oben her ist zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei.
Jakobus 3,17
Predigt von Hans Löhr am Sonntag Sexagesimae, 8.2.2015.
Predigttext = Lehrtext: Jakobus 3, 13-17
Liebe Gemeinde,
wer ist weise? Sind das die Gelehrten? Sind das die älteren,
lebenserfahrenen Leute?
Ich meine, weise ist, wer sich nicht selbst dafür hält. Ob
ein Mensch weise ist oder nicht, kann er nicht selber sagen. Das müssen andere
sagen, die mit ihm zu tun haben. Ob jetzt hier in der Kirche in Sommersdorf /
Thann jemand in der Bank sitzt, der weise ist? Was meint ihr?
Ich glaube schon, dass es in unserer Gemeinde Leute gibt,
die weise sind, die klug genug, sich nicht ständig in die Angelegenheiten
anderer einzumischen und sie zu kritisieren. Wie viel Streit gibt es nicht
zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern, weil Mutter oder Vater es nicht
lassen können, ihnen hineinzureden in ihre Partnerschaft oder Ehe, in ihre
Arbeit, in ihre Finanzen, in ihr Freizeitverhalten!
Das ist vor allem dann ein Problem, wenn man nahe
beieinander wohnt, vielleicht sogar im selben Haus und ständig mitbekommt, was
der andere macht. Ich tue mich da leichter. Meine erwachsenen Töchter wohnen in
München. Die eine ist verheiratet und hat eine Familie. Die andere lebt mit
ihrem Partner zusammen. Hin und wieder telefonieren wir miteinander und dann
erzählen sie mir, was sie mir erzählen möchten. Ich höre mir das an, aber ich
rede ihnen nichts ein. Ich akzeptiere ihre Partnerwahl. Schließlich wollen und
sollen sie mit ihrem Partner zusammenleben und nicht ich. Und wenn ich manchmal
das Bedürfnis habe, etwas Kritisches zu sagen, beiße ich mir auf die Zunge.
Früher, als sie noch Kinder und Jugendliche waren, war das
anders. Da habe ich schon gesagt, was ich gut finde und was in meinen Augen
nicht in Ordnung ist. Das hat manchmal zu Streit geführt. Doch das ist unvermeidlich,
wenn man Kinder erzieht. Um der Harmonie willen allen Auseinandersetzungen aus
dem Wege zu gehen, ist ja auch keine Lösung und hilft Kindern nicht. Aber jetzt
sind sie, wie gesagt, erwachsen. Und jetzt verstehen wir uns gut, nicht
zuletzt, weil ich sie so sein lasse, wie sie sind.
Bin ich deswegen weise? Das möchte ich nicht von mir
behaupten. Aber manchmal zumindest glaube ich zu wissen, was klug und unklug
ist, wie man sich weise verhält oder dumm. Jeder, so meine ich, kann sich
überlegen, ob das, was er gerade sagen und tun will, weise ist oder nicht. Und
dabei hast du als Christ einen Maßstab, den dir die Bibel gibt. Du findest ihn
im Brief des Jakobus im Kapitel 3, Verse 13-17. Der Apostel schreibt:
Hält sich jemand von
euch für klug und weise? Dann soll das an seinem ganzen Leben abzulesen sein,
an seiner Freundlichkeit und Güte. Sie sind Kennzeichen der wahren Weisheit.
Seid ihr aber voller Neid und Streitsucht, dann braucht ihr euch auf eure
angebliche Weisheit nichts einzubilden. In Wirklichkeit verdreht ihr so die
Wahrheit. Eine solche Weisheit kann niemals von Gott kommen. Sie ist irdisch,
ungeistlich, ja teuflisch. Wo Neid und Streitsucht herrschen, da gerät alles in
Unordnung; da wird jeder Gemeinheit Tür und Tor geöffnet. Die Weisheit aber,
die von Gott kommt, ist vor allem aufrichtig; außerdem sucht sie den Frieden,
sie ist freundlich, bereit nachzugeben und lässt sich etwas sagen. Sie hat
Mitleid mit anderen und bewirkt Gutes; sie ist unparteiisch, ohne Vorurteile und
ohne alle Heuchelei.
Ich meine, Weisheit hat nichts damit zu tun, dass jemand
besonders viel weiß, also belesen ist, gut ausgebildet und gelehrt. Obwohl das
der Weisheit nicht schadet. Weise ist in meinen Augen jemand mit
Herzensbildung, jemand mit Einfühlungsvermögen und Taktgefühl, der weiß, was
den anderen ärgert oder verletzt, und der deshalb auf bestimmte Bemerkungen und
Handlungen verzichtet. Das ist im Sinn dessen, was wir soeben aus der Bibel
gehört haben. Weise ist auch, wer weiß, dass der Ton die Musik macht. Deshalb
gehört dem Apostel Jakobus zufolge zur Weisheit auch die Freundlichkeit, und
ich möchte hinzu setzen, auch die Höflichkeit. Auch auch als Erwachsener kann
ich „bitte“ sagen, wenn ich etwas von einem anderen will, auch vom Partner oder
vom eigenen Kind, und „danke“, wenn ich etwas bekomme.
Ist das nicht selbstverständlich? Leider nein, und darum,
weil sich Freundlichkeit und Höflichkeit nicht von selbst verstehen, ist es
weise, freundlich und höflich zu sein, auch am Telefon.
Ich hab vorhin von meinen Töchtern in München erzählt und
dass ich mich leicht tue, sie so sein zu lassen wie sie sind, weil ich weit
genug weg bin und nicht ständig alles mit bekomme, was bei ihnen gerade so
läuft. Der räumliche Abstand hilft mir sehr, mich zurückzuhalten. Aber wie ist
es, wenn man sich ständig begegnet entweder in der Familie oder am Arbeitsplatz
oder auch in der Nachbarschaft? Da ist es natürlich schwerer, die nötige
Gelassenheit und Zurückhaltung zu üben und eine Auseinandersetzung aus dem Weg zu
gehen. Gerade dann tut ein gewisser Abstand gut, von dem aus man auf die Dinge
und Menschen schaut. Gefährlich wird es immer dann, wenn ich mich hineinziehen,
wenn ich mich verwickeln lasse in das Leben und in die Probleme anderer, wenn
ich plötzlich auch noch Eisen im Feuer habe und meine Interessen gewahrt wissen
will.
Ich lerne aus der Bibel, dass es, wie sonst auch, gut ist,
mit Gottvertrauen gelassen auf die Dinge und Menschen zu schauen. Ich bin es
doch nicht, der alles regeln muss, schon gar nicht für andere. Jeder hat selbst
für sich Verantwortung. Und dann ist da noch Gott, der auf seine Weise regelt
und leitet und regiert. Das macht er in jedem Fall besser als ich.
Von einem guten Seelsorger oder Therapeuten kann man sich
abschauen, wie man sich weise verhält, wenn andere mit ihren Anliegen und
Problemen zu dir kommen. Das Wichtigste für jeden, der andere Menschen berät,
ist, dass er sich auf keinen Fall in die Probleme des anderen hineinziehen
lässt; dass er Distanz wahrt und selbst auf Ratschläge weitgehend verzichtet.
Stattdessen tut es dem anderen gut, wenn du dir Zeit für ihn nimmst, ihm
zuhörst, manchmal zurückfragst, wenn du etwas nicht verstanden hast und deinen
Gesprächspartner so die Möglichkeit gibst, über das, was er sagt, selbst nachzudenken
und von sich aus auf mögliche Lösungen seines Problems zu kommen. Das, liebe
Gemeinde, hat mit dem zu tun, was die Bibel sagt: Weisheit, die von Gott kommt, ist vor allem aufrichtig. Sie hat Mitleid
mit anderen und bewirkt Gutes; sie ist unparteiisch, ohne Vorurteile und ohne
alle Heuchelei.
Herzensbildung – das ist das Stichwort, um das es geht.
Nicht auf die Weisheit des Kopfes kommt es an, nicht darauf, was jemand weiß,
sondern auf die Weisheit des Herzens, wie empfindsam jemand ist für die äußere
und innere Not seiner Mitmenschen, für das, was andere brauchen und für das,
was ihnen weh tut.
Manchmal ärgern sich Väter oder Mütter über die eigenen
Eltern, weil diese zu den Enkeln wesentlich großzügiger und liebevoller sind,
als sie zu ihnen selbst waren. „Wärst du doch früher auch einmal zu mir so
gewesen, wie du jetzt zu deinen Enkeln bist!“ Ein solcher Satz ist in manchen
Familien keine Seltenheit.
Leider ist es so, dass es manchmal fast ein ganzes Leben
braucht, bevor man weise wird, nämlich freundlich und gütig, großzügig und
verständnisvoll. Vielleicht gelten deshalb manche alten Leute als weise. Aber
ginge das nicht auch schon ein bisschen früher?
Gerade weil sie so wichtig ist, steht ja die Aufforderung,
weise zu sein, in der Bibel. Jetzt schon bin ich, bist du aufgerufen,
freundlich zu sein, auf Vorurteile zu verzichten und dir etwas sagen zu lassen.
Ja, auch als älterer Mensch, soll ich mir noch etwas sagen lassen. Aber selber
sollte ich nicht darauf bestehen, den jüngeren Erwachsenen ständig etwas sagen
zu müssen. Vom Philosophen Friedrich Nietzsche stammt der Satz: »Ein zahnloser
Mund hat nicht mehr das Recht zu jeder Wahrheit.« Das heißt doch wohl, auch mal
den Mund zu halten selbst wenn ich mich im Recht fühle. Dank der modernen
Zahnmedizin habe ich noch meine zweiten Zähne. Aber ich werde jetzt, da ich aus
dem aktiven Berufsleben ausscheide, es wohl lernen müssen, andere ihre
Erfahrungen und auch ihre Fehler machen zu lassen und der Versuchung zu
widerstehen, alles besser zu wissen.
Und schließlich gehört zur Weisheit, die von Gott kommt,
auch, dass ich bereit bin nachzugeben. So sagt es die Bibel. Und so ist es für
mich maßgeblich. „Der Klügere gibt nach“, heißt das Sprichwort. Das gilt in
besonderer Weise für den, der es bisher gewohnt war, sich immer durchzusetzen.
Wovor habe ich eigentlich Angst, wenn ich mich nicht mehr durchsetze? Gelte ich
dann etwa nichts mehr? Oder ist es nicht gerade umgekehrt, dass ich dann in der
Achtung anderer steige?
„Wer ist weise?“, habe ich am Anfang gefragt. Und so möchte
ich am Schluss sagen: Nicht der, der viel weiß, sondern der sich weise verhält.
Und das kann jeder.
Herzliche Grüße
Ihr / dein Hans Löhr