Predigt im Lichtblick am 15.02.2015 von Elfriede Bezold-Löhr, Pfarrerin
Anknüpfen
Vor vier
Wochen hatten wir dieses Thema zum ersten Mal. Ich möchte mit euch heute weiter
darüber nachdenken. Zur Erinnerung für euch noch einmal die zentralen Gedanken aus
der ersten Predigt zum Thema ‚Jüngerschaft‘, auf der wir aufbauen.
Unsere erste wichtige Einsicht: Die Jünger, die Jesus um sich hatte, waren
keine besonderen Leute. Sie waren weder genial begabt noch außergewöhnlich
attraktiv noch einzigartig zielstrebig. Sie waren Durchschnitt. Auch in
religiöser Hinsicht. Keiner der Jünger hatte irgendwo vorher Karriere gemacht.
Sie waren Leute wie Sie und ich. Jesus schart sie um sich. Sie werden seine
Lehrlinge. Nichts anderes bedeutet der Ausdruck ‚Jünger‘.
Unsere zweite Einsicht: Die Jünger lernen von Jesus auf verschiedenen Kanälen. Zunächst
einmal durch ‚Anschauung‘. Jesus ist ihr Vorbild. Sie sind tagaus, tagein mit
ihm zusammen und können ihn ‚studieren‘. Wie er redet. Wann er schweigt. Wie er
es hält mit Hunger, Durst, Ruhe- und Schlafbedürfnis, Freude an Gesellschaft
und am Feiern, welche Rolle die Einsamkeit für ihn spielt und welche Bedeutung
das Gebet für ihn hat. Sie erleben ihn, wie er von Gott spricht als seinem
Vater, mit dem er in dauernder Verbindung steht. Sie erleben, hören und sehen
das alles und es beginnt, sie zu verändern.
In ihrem Inneren und dann auch in ihrem Verhalten.
Unsere dritte Einsicht: Wir haben diese ‚Lehrlingsporträts‘ unter der Überschrift ‚es war einmal ….‘ ins
Archiv gelegt. Die haben mit uns nichts
zu tun. Wir sind nicht Simon oder Andreas oder Levi, Jakobus oder Johannes,
Philippus, Bartholomäus, Thomas, Jakobus, Thaddäus, Simon oder Judas.
Unsere vierte Einsicht: Die Archivierung ist nicht rechtens von uns. Warum? Wegen der Aufforderung,
die Jesus als Erbe für uns da lässt, bevor er zu Gott zurückgeht: „Geht hin in
alle Welt und macht zu Jüngern, zu Lehrlingen alle Völker, alle Ethnien. Tauft
sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret
sie halten alles, was ich euch geboten habe.“ (Matth. 28, 16 ff)
Unsere fünfte Einsicht: Wir sind also dran. 2015 könnte der Missionsbefehl heißen: „Redet mit denen, die auf der Suche
nach dem Sinn des Leben sind, über ihre Fragen. Fragt sie nach dem, was sie beunruhigt
und umtreibt. Helft ihnen, dass sie gute Gesprächspartner für ihre Fragen
finden. Zeigt ihnen, dass sie Antworten auf ihre Lebensfragen in der Bibel
finden. Am besten sehen und hören sie an euch, was Christsein bedeutet.“
Und wie geht
das – so mittendrin im Alltag? Das ist heute die Frage.
Jünger sein heute.
Ich warne
Sie: Jetzt wird es ungemütlich. Es gibt heute keine Wohlfühlbotschaft. Weil
vieles, was mit ‚Jesus-Lehrling-Sein‘ zu tun, unseren heutigen Gewohnheiten in
Kirchens und privat zuwider läuft. Es wird Sie provozieren, was Sie heute mit
mir durchdenken. Es wird viel Vertrautes in Frage stellen und ernsthaft
herausfordern. Es ist gerade deshalb ziemlich ungemütlich, weil wir heute erst
einmal auf uns selber sehen. Bevor wir „in alle Welt gehen“ und mit anderen
etwas machen, geht es um uns selber.
Die erste Provokation: Jesus
möchte Gehorsam. Hört sich unangenehm an. Wir –
Jugendliche so wenig wie Erwachsene – gehorchen einem anderen nicht gern. Und
doch beten wir immer wieder, auch später: „Vater unser im Himmel, geheiligt
werde dein Name….“ Das bedeutet in unserem heutigen Sprachstil: „Unser Vater,
nichts steht über dir. Du bist uns das Wichtigste und Wesentliche. Wir richten
uns nach deinem Willen. Voll und ganz.“ Kurz gesagt: „Vater unser im Himmel,
wir gehorchen dir.“ Ist uns klar, dass
wir das sagen, wenn wir das Vaterunser beten? Das war es früher oft nicht
und ist es heute oft nicht. „Warum nennt ihr mich dauernd ‚Herr!‘, wenn ihr
doch nicht tut, was ich sage?‘ (Lk. 6, 47.f in der Übersetzung ‚Hoffnung für
alle‘) fragt Jesus ziemlich frustriert in die Runde, als die Leute ihn reden
hören wollen. Und er bringt wieder eine
seiner berühmten Kurzgeschichten: „Wisst ihr, mit wem ich einen Menschen vergleiche,
der meine Worte hört und danach handelt? Er ist wie ein Mann, der sich ein Haus
bauen wollte. Zuerst hob er eine Baugrube aus, dann baute er die Fundamente
seines Hauses auf festen, felsigen Grund. Als ein Unwetter kam und die Fluten
gegen das Haus brandeten, konnte es keinen Schaden anrichten, denn das Haus war
auf sicheren Grund gebaut.“ (Lukas 6, 47 f.) Sehr überlegt, mit langem Atem und
mit der Bereitschaft, sich zu auch körperlich richtig anzustrengen – so geht
der kluge Mann ans Werk. Das versteht Jesus unter ‚gehorsam sein‘. Das will er
von uns – damit uns die Stürme des Lebens nicht fortreißen und alles zerstören.
Die zweite Provokation: Christsein
hat vor allem anderen zu tun mit unserem Geist. Sie können dafür auch das Wort
‚Herz‘ oder ‚innerster Wille‘ setzen. Christsein
hat zuerst etwas mit unserem Herz zu tun. Es geht Gott um unser Innerstes.
Im Gegensatz zu unserem Äußeren, dem ‚Fleisch‘. Paulus schreibt oft in seinen
Briefen etwas von ‚Fleisch‘. Zum Beispiel an die Leute in Philippi schreibt er,
dass er sich auch „des Fleisches rühmen könne.“ Kaum mehr verständliches Deutsch
bei Luther. Wir ahnen irgendwie verschwommen, dass es da wohl wieder mal um
Sex, Drugs and Rock‘n Roll gehen könnte – aber es ist etwas ganz anderes
gemeint: Es sind mit dem ‚Fleisch‘ alle menschlichen Anstrengungen, alle
religiösen Aktivitäten gemeint. Also: Christsein
hat zuerst mit unserem Herz zu tun. Das ‚Natürliche‘ (anderer Ausdruck für
‚das Fleischliche‘), die Begabungen und Leistungen, die Fähigkeiten und der
ehrenamtliche Einsatz eines Menschen – das ist für Gott zweitrangig. Es geht
Gott darum, dass wir in unserem Innersten unser Vertrauen in ihn setzen. Dass
unser Herz, unser innerster Wille, sich zusammentut mit seinem Geist. In der
Konsequenz vertrauen wir immer stärker darauf, dass Gott tatsächlich wirken
kann, persönlich, in unserem Leben.
Die dritte Provokation: Wer
christliche Angebote konsumiert, lebt nicht automatisch einen aktiven Glauben. Wer seine ‚Sonntagspflicht‘
erfüllt und innerlich zu Jesus sagt: „Das muss reichen!“, hat nicht verstanden,
worum es Jesus geht. Er will nicht mehr und nicht weniger, als dass wir ihn
wirklich ständig an unserer Seite haben. Er will, dass wir uns danach sehnen,
ihm immer ähnlicher zu werden. Da helfen zum Beispiel die von mir so gern
zitierten CDs: Wer von uns neue Glaubenslieder hört – in der Küche oder beim
Putzen oder bei der Fahrt auf der Autobahn, der hat Jesus an der Seite. Es darf
genauso gut die h-Moll-Messe von Bach oder das Requiem von Mozart sein. Egal, welche
Musik – wenn sie nur Gott zur Sprache bringt, von Montag bis Samstag! – ist sie
eine Hilfe auf dem Weg zu einem aktiven Glauben.
Die vierte Provokation: Jeder von
uns braucht eine geistliche Formung, wenn sein Glaube lebendig bleiben und an
Intensität gewinnen soll. Die geistliche Formung ist ein innerer Umwandlungsprozess unter
der Anleitung von Jesus. Schlechte Nachrichten für uns kirchliche ‚Couchpotatoes‘:
Die sonntäglichen 50 Minuten reichen dafür nach Jesu‘ Überzeugung nicht aus. Paulus
vergleicht diesen Prozess unserer inneren Formung manchmal mit einem
Garderobenwechsel. „Zieht den neuen Menschen an“, sagt er in der Bibel. Zieht das
neue Leben, das Gott euch schenken möchte und das Jesus Christus für euch
möglich macht, wie neue Kleider an.“ (Eph.4, 24) Er sagt nicht: „Zieht den
neuen Menschen am Sonntag für 50 Minuten an. Und danach könnt ihr ihn wieder in
den Schrank hängen.“ Der ‚neue Mensch‘ soll bleiben – das Anziehen dauert
allerdings lang, möglicherweise ein Leben lang. Und es umfasst alle Bereiche
von uns: Unser Herz, unsere Gefühle, unseren Verstand, unsere Seele, unseren
Körper und unsere sozialen Beziehungen.
Die fünfte Provokation: Geistliche
Formung lebt davon, dass wir (dazu) lernen. Es braucht neben dem Geist Gottes auch
unseren Willen. Ich muss sagen: „Ja,
Jesus, ich möchte diesen neuen Menschen anziehen, den du mir hinhältst. Ich
habe begriffen, dass das eine einschneidende und langwierige Sache ist. Aber
ich vertraue auch darauf, dass es ein besseres Leben als das für mich nicht
gibt. Also starten wir. Tun wir uns zusammen, du und ich.“
Eine der
besten ‚Nachhilfemethoden‘ für uns sind dabei Bibeltexte. Selber gelesene Bibeltexte. Tut
mir leid, euch das am Ende dieser Predigt noch zumuten zu müssen. Aber es ist
allzu offensichtlich: Jeder sollte sich wieder selber an die Bibel heranwagen.
Sie ist das ursprünglichste Gotteszeugnis. Also: Selber lesen. Und am Besten
das eine oder andere auswendig lernen. Damit es parat ist, wenn wir es brauchen.
Nicht immer haben wir ja eine Bibel dabei. Geschweige denn, dass wir sofort
wüssten, wo wir nachschlagen müssen, wenn wir einen Rat oder Trost oder eine
Ermutigung aus Gottes Wort brauchen.
Vor einigen
Tagen bin ich gebeten worden, in der Nachbargemeinde eine Aussegnung zu
übernehmen. Da standen wir um den Sarg. Die Familie betroffen und in Trauer,
die Angehörigen und andere Gemeindeglieder stumm und reglos. Was haben wir
getan? Nach dem Valetsegen gemeinsam einen Psalm gesprochen. Wir haben alle
zusammen auswendig den Psalm 23 gebetet. Und mit dem Beten hat sich etwas dort
in der Aussegnungshalle verändert. Zu
dem ganzen Schmerz kam etwas Neues: Trost. Und das Vertrauen, dass Gott uns
hält und führt, auch im finsteren Tal. Plötzliche lebt das Wort und die Kraft
Gottes unter uns. Amen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen