Predigt am 1. Sonntag nach
Epiphanias, 12. Januar 2014 von Hans Löhr
Liebe Freunde,
an Gott glaubt nur, wer Zeit
für ihn hat“ . Dieser Satz eines Kollegen ist bei mir hängen geblieben und gibt
mir seitdem zu denken. Ein Satz, der sich von selbst versteht, weil er etwas
Selbstverständliches zur Sprache bringt: Alles braucht seine Zeit, auch der
Glaube. Und trotzdem, sich Zeit für seinen Glauben, sich Zeit für Gott zu
nehmen, das versteht sich eben nicht von selbst.
Zeit für Gott, das heißt, ich
unterbreche mich selbst im Tageslauf, besinne mich auf den Anfang, die Mitte
und das Ziel meines Lebens. Lege eine Atempause ein für die Seele, um
auszuatmen, Atem zu holen, ruhig zu werden, Frieden zu finden.
· Zeit für Gott
das ist, ich nehme meine Gefühle wahr, achte auf die innere Stimme,
komme zu mir.
· Zeit für Gott
heißt, ich halte Zwiesprache mit ihm, sage ihm, wie mir zumute ist, bitte
ihn um Hilfe, danke ihm.
· Zeit für Gott heißt
endlich, ich lasse mir sein Wort sagen, lasse mir von ihm vergeben, lasse mich
von ihm stärken mit dem Brot des Lebens und dem Kelch des Heils, lasse mich von
ihm segnen.
Mir scheint, wer sich Zeit
für Gott nimmt, hat anderen etwas zu geben: ein gutes Wort, eine Gefälligkeit, vor
allem aber Zeit, weil er sensibler geworden ist dafür, wie es ihnen geht. An
Gott glaubt nur, wer Zeit für ihn hat. Jetzt ist Zeit für Gott. Ihr hier habt
euch die Zeit genommen, habt euch aufgemacht, seid in die Kirche gekommen. Ihr
habt Zeit für ihn und er für euch. Jetzt müsst ihr einmal nichts tun, könnt
eure Sorgen loslassen, müsst euch nicht beschäftigen, müsst euch nicht unterhalten
lassen, könnt einfach nur da sein. Zeit für Gott ist Zeit für mich. Da lasse
ich ihn wirken und lasse selbst los.
Das klingt gut. Doch sieht
die Wirklichkeit anders aus. Ich denke, viele wünschen sich insgeheim einen
starken Glauben und sind mit sich nicht recht zufrieden, weil da vielleicht nur
so ein unbestimmtes Gefühl ist. Ja, ein Glaube, der Berge versetzen kann, das
wär’s. Ein Glaube, wie die Morgensonne, die nach kalter Nacht die Welt in ein
warmes Licht taucht. Ein Glaube, stark wie ein Baum. Dann wäre es eine Lust
sich Zeit für Gott zu nehmen. Aber so? Doch höret, welche Bilder die Bibel vom
Glauben malt.
Ich lese das Wort für die
Predigt aus dem Buch des Propheten Jesaja: »Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht
wird er nicht auslöschen.« Nicht Sonne und nicht Baum, sondern geknicktes
Rohr und glimmender Docht, das sind nicht gerade Bilder voll Saft und Kraft.
Auf den ersten Blick sind sie geradezu hoffnungslos: Ein Docht, der nur noch
glimmt, ein Rohr, das schon geknickt ist,
da ist nicht mehr viel zu erwarten. Das kann man vergessen. Vielleicht erlebst
du derzeit deinen Glauben so, dass das Feuer der Begeisterung ausgegangen ist
und nur noch etwas nachglimmt oder dass es irgendwann in deinem Glaubensleben
einen deutlichen Knick gegeben hat und du jetzt damit nicht mehr so recht auf
die Beine kommst.
Ich denke, niemandem, der glaubt,
sind solche Erfahrungen fremd, solche Zeiten der Glaubensdürre. ‘Anfechtung’
hat Martin Luther sie genannt. Bei manchen von uns war das schon einmal anders.
Da bist du als Kind ganz selbstverständlich in den Glauben deiner Eltern und
Großeltern hineingewachsen. Da war die Welt noch voller Wunder, da flogen die
Engel, bescherte das Christkind und wohnte Gott über den Wolken. Oder du hast
dich als junger Mensch für den Glauben begeistert, in der Jugendgruppe oder bei
anderen Gelegenheiten.
Aber dann hat dir das Leben
Wunden geschlagen, bist du schwer enttäuscht worden oder hast verloren, was dir
lieb und teuer war. Oder der ganz normale Alltag hat dich beansprucht, die
Ausbildung, der Beruf, die Familie. Und plötzlich hattest du keine Zeit mehr
für Gott. Hast es vielleicht gar nicht mal gemerkt, wie er allmählich aus
deinem Leben verschwand, wie dir der Glaube abhanden kam. Doch dann war er weg.
Nur im hintersten Winkel deines Herzens glimmt noch ein Funke, wo einstmals ein
Feuer brannte. Und du spürst, wie mit dem Glauben noch anderes zu verblassen
droht: Das Grundvertrauen, dass es sich in dieser Welt und mit deinen
Mitmenschen schon leben lässt und du mit deinen Mitmenschen schon auskommen
wirst. Die Zuversicht, dass du die Zeiten der Krisen schon durchstehen wirst
und es mit dir schon irgendwie werden wird. Die ganz normale Lebensfreude auch
an den eher unscheinbaren Dingen des Alltags. Aber es droht auch das Mitgefühl
für Leidende zu schwinden und die Bereitschaft, anderen zu helfen.
Damit das nicht passiert, kommen
wir ja hier im Gottesdienst immer wieder zusammen, nehmen wir uns die Zeit, um
uns gemeinsam unseres Glaubens zu vergewissern. Hier hören wir, was wir uns
nicht selber sagen können. Und heute sind es diese Wort: »Das geknickte Rohr
wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.«
(Jes. 42,3) Wer ist das, von dem hier die Rede ist? Oder anders herum gefragt:
Von wem ist hier nicht die Rede? Jedenfalls nicht von einem, der herrisch und
gebieterisch auftritt und der mir vorschreibt, wie ich zu glauben habe. Nein,
wir brauchen keinen, der unseren Glauben wie ein Schulmeister zensiert.
Wen wir aber brauchen, das
ist einer, der rücksichtsvoll und behutsam ist. Der uns so achtet, wie wir
sind. Einer der sanft und zart mit uns umgeht, der uns mit Takt, Liebe und
Respekt begegnet. Und das alles, weil wir ihm wichtig und kostbar sind. Einen
wie den brauchen wir. Einen, wie ihn die Kinder und die Frauen lieben. Von
einem solchen ist die Rede in jenem Wort vom glimmenden Docht und vom geknickten
Rohr.
Christen haben schon bald
diese Weissagung des Propheten Jesaja aus dem Alten Testament auf Jesus
Christus bezogen. Für uns ist klar, das kann nur er sein. Er ist es, der auf
dem oft so kümmerlichen Glauben der Leute nicht herumtrampelt, sondern den
glimmenden Docht sacht anbläst, bis sie von neuem Vertrauen zu Gott fassen, bis
sie wieder zum Leben ermutigt sind. Er ist es, der das geknickte Rohr behutsam
aufrichtet, bis wieder aufrecht gehen, die unter ihrer Schuld gebeugt sind. Bis
die Hoffnungen heilen, die zerbrochen sind. Er ist es, der die Menschen lehrt,
sich wieder neu zu sehen, der ihnen sagt: Der glimmende Docht, das zerbrochene
geknickte Rohr, das sind Bilder der Hoffnung. Aus dem Unscheinbaren kann Großes
werden: Aus dem Samen ein Baum. Aus der Glut soll wieder ein Feuer werden. Was geknickt ist, kann wieder
emporwachsen. Und was zerbrochen ist, soll wieder heil werden. Das hilft uns,
das Leben zu wagen.
An Gott glaubt nur, wer Zeit
für ihn hat. Geben wir ihm Zeit gerade dann, wenn der Docht nur noch glimmt. So
kann er geduldig in die Glut blasen, bis das Feuer des Glaubens wieder
erwacht. Amen
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