Dienstag, 15. Juni 2010

Freiheit und Verantwortung

Gegen die Bevormundung der Ortsgemeinden 

durch die Kirchenleitung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern.

März 2010. Der Landesbischof von Bayern teilt den Pfarrerinnen und Pfarrern mit, dass weitere Pfarrstellen abgebaut, die Mitgliederzahlen weiter sinken und die Kirchensteuereinnahmen noch stärker zurück gehen werden. Sie erfahren, dass man sich in der Kirchenleitung darum sorgt, wie die Gemeinden trotz des Personalrückgangs so gut wie möglich versorgt und die rückläufigen Einnahmen gerecht verteilt werden können. Das klingt verantwortungsbewusst, offenbart aber zugleich ein Grundsatzproblem, das künftig immer schärfer zu Tage treten wird. Kurz gesagt: Es geht um die Finanz- und Personalhoheit in unserer evangelischen Kirche und damit auch um die Macht.
Wer ist denn für die Pfarrerinnen und Pfarrer, deren Anstellung und Besoldung zuständig? Eigentlich ist diese Frage in der Kirche der Reformation seit fast 500 Jahren beantwortet: Zuständig ist die Ortsgemeinde, sind die Gläubigen, von deren Priestertum in Sonntagsreden gerne gesprochen wird, die in Wahrheit aber unmündig gehalten werden. Sie werden von den Organen der Kirchenleitung nach katholischem Vorbild schlichtweg bevormundet. Man nimmt ihnen ihr Geld, leitet ihre Kirchensteuern auf ein zentrales Konto der Landeskirche, um dann einen Teil davon großzügig als „Zuwendung“ zu erstatten. Man nimmt ihnen das Recht, Pfarrerinnen oder Pfarrer selbst anzustellen und zu bezahlen.
Wer sagt denn, wie viele Pfarrerinnen und Pfarrer unsere Landeskirche braucht? Nach welchen Maßstäben wird die Zahl festgelegt? Wer befindet über die sogenannte pastorale Grundversorgung? Entscheidend muss doch sein, was die Gläubigen selbst wollen, ob sie unabhängig von der Größe ihrer Kirchengemeinde selbst einen Pfarrer/eine Pfarrerin ihrer Wahl anstellen und finanzieren möchten oder nicht.
Misstrauen gegen Gemeindeglieder
Die direkte finanzielle Beteiligung der Gemeindeglieder an den Personalkosten und Kosten für die Gemeindeimmobilien würde von selbst zu einer stärkeren Identifikation mit der Kirchengemeinde führen. Die Gläubigen sollen mit ihren Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorstehern selbst entscheiden können, was mit ihrem Geld geschehen soll, welche Gebäude sie zu welchem Preis bauen und unterhalten wollen, welche Mitarbeitenden sie anstellen wollen, welche Bereiche der Gemeindearbeit sie finanzieren wollen, ob sie sich noch eine Orgel leisten möchten oder nicht, welche Schwerpunkte in der Gemeindearbeit gebildet werden sollen, wie viel Geld sie für eine übergemeindliche Organisationsform erübrigen wollen und so weiter.
Ein häufig zu hörendes Argument dagegen ist das Misstrauen gegenüber den eigenen Gemeindegliedern. Man unterstellt ihnen, dass sie dann ihre Pfarrerin / ihren Pfarrer in finanzieller Abhängigkeit hielten und ihr / ihm nicht mehr die Freiheit ließen, das zu sagen, was von Schrift und Bekenntnis geboten ist. Da ist es dann plötzlich mit dem „Priestertum aller Getauften“, der Gleichberechtigung unter evangelischen Christen, nicht mehr so weit her. Da unterscheiden sich dann die Kompetenzen eines Kirchenvorstands nicht mehr bedeutsam von denen einer Schülermitverwaltung.
Überflüssiger Landesstellenplan
Wenn die Gläubigen in den Gemeinden selbst entscheiden, wie viele Pfarrer und Pfarrerinnen sie brauchen, wird jeder Landesstellenplan überflüssig. Dann denken, planen und bestimmen nicht mehr die Mitglieder einer Kirchenleitung nach Gutsherrnart für die Mitglieder einer Ortsgemeinde, sondern diese nehmen ihr Anliegen gut biblisch und gut reformatorisch selbst in die Hand. Damit wird dann nicht nur ein Landesstellenplan überflüssig, sondern noch einiges mehr an Kirchenverwaltung, das jetzt noch teuer bezahlt werden muss. Wenn die Kirchenbasis erst einmal selbst entscheidet, steht viel, sehr viel auf dem Prüfstand. Kein Wunder, dass das heftigen Widerstand provoziert.
Aber, so könnte man jetzt einwenden, sind nicht die Laien über die Landessynode an der Kirchenleitung beteiligt? Wird dort nicht im Interesse der Gläubigen und stellvertretend für sie zum Wohl der Kirche und der Gemeinden gearbeitet? In der Theorie ist das wohl so, in der Praxis nicht. Die Landessynode leiset nicht das, was ihre Mitglieder selbst gern leisten möchten. Das hat verschiedene Ursachen, die auch damit zusammenhängen, dass über den Landeskirchenrat und den Landessynodalausschuss bereits viele Vorgaben gemacht werden, die das einzelne Synodenmitglied kaum mehr infrage stellen kann, ohne sich zu isolieren. Der Wissensvorsprung ist oft schon zu groß und Wissen ist Macht.
Das System hat sich überlebt
Das System Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern hat sich in der bestehenden Form überlebt. Die Landeskirche ist zu einer juristisch überregulierten Verwaltungseinheit geworden, mit der sich die Gläubigen in den Gemeinden kaum noch identifizieren können. Sie hat keine gestaltende und zukunftsweisende Kraft mehr. Es gelingt ihr nicht, den Auftrag Jesu für seine Kirche zu erfüllen. Statt Menschen für den Glauben zu gewinnen, verliert sie viele. Statt auf die Qualität des Glaubens bei ihren Mitgliedern zu achten (weniger als 20 % der Kirchenmitglieder glauben bibel- und bekenntnisgemäß), ist sie auf Quantitäten fixiert: Wie viele Kirchenaustritte werden es im nächsten Jahr sein? Wie stark werden die Kirchensteuereinnahmen zurückgehen? Wie viele Pfarrerinnen und Pfarrern können wir uns noch leisten? Wie viel Geld steht noch zur Verfügung? Und so weiter.
Hilflos gegenüber Negativtrend
Es hat keinen Sinn, die Schuld für den Zustand unserer Kirche einzelnen Personen zuzuweisen. Viele engagieren sich auch in der Kirchenleitung in hohem Maß und sind der subjektiven Überzeugung, dass sie der Kirche einen guten Dienst erweisen. Aber es hätte Sinn, wenn zum Beispiel der Landeskirchenrat von sich aus zu der Einsicht käme, dass es ihm weder in der Vergangenheit gelungen ist noch in der Gegenwart gelingt, den Negativtrend in der Kirche aufzuhalten oder gar umzukehren. Er sollte als faktischer „Vorstand“ dafür die Verantwortung übernehmen, wie das auch sonst in unserer Gesellschaft bei Misserfolg der Fall ist. Vielleicht würde so der Weg frei für eine grundsätzliche und gründliche Neubesinnung. Vielleicht könnte die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern sich auf diese Weise noch einmal reorganisieren und die entscheidenden Prioritäten setzen: ihren Mitgliedern in den Kirchengemeinden die Verantwortung für die Verkündigung von Jesus Christus zu überlassen und ihnen für das Gemeindeleben wieder die Freiheit und Macht zu geben, die sie dafür brauchen.
Hans Löhr, Pfarrer
Sommersdorf, März 2010
hansloehr@yahoo.de
Anhang: 

Prof. Dr. Michael Herbst, Greifswald: "Kirchensteuer ist aufgebbar": http://www.ead.de/nachrichten/nachrichten/einzelansicht/article/willow-creek-leitungskongress-kirche-kann-auf-kirchensteuer-verzichten.html
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Meldung von tagesschau online vom 25.09.2011:
Papst Benedikt XVI. hat zum Abschluss seines Besuches in Deutschland vor 1500 geladenen Gästen im Konzerthaus von Freiburg eine Rede gehalten. Darin forderte er die "Entweltlichung" der katholischen Kirche. Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, müsse die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, "sich von ihrer Verweltlichung zu lösen".
Überraschend forderte Benedikt in diesem Zusammenhang auch, die katholische Kirche solle auf staatliche Privilegien verzichten. "Die von materiellen und politischen Lasten und Privilegien befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden." Dann könne sie ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Welche staatlichen Vorrechte der Papst meinte, sagte er nicht. Zu den Privilegien gehören in Deutschland die staatliche Einziehung der Kirchensteuer, die finanziellen Staatsleistungen an die Kirchen, der Religionsunterricht an staatlichen Schulen und die theologischen Fakultäten an den Universitäten.
Benedikt betonte: "Eine vom Weltlichen entlastete Kirche vermag gerade auch im sozial-karitativen Bereich den Menschen, den Leidenden wie ihren Helfern, die besondere Lebenskraft des christlichen Glaubens vermitteln." Sie öffne sich der Welt, nicht um die Menschen für eine Institution mit eigenen Machtansprüchen zu gewinnen, sondern um sie zu sich selbst zu führen.
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