Sonntag, 4. Juni 2017

achten, lieben und vertrauen hl

  
Liebe Freunde,

gestern Morgen bin ich mit dem Motorrad von München zurückgefahren. Ich suche mir dann immer Nebenstrecken mit möglichst kleinen Straßen und wenig Verkehr. Die Fahrt dauert dann zwar etwas länger, aber ich komme durch Gegenden, die ich sonst nicht kennen lernen würde. Und was soll ich sagen? Unser Land, liebe Freunde, unsere bayerische, schwäbische und fränkische Heimat – sie ist wunderschön.
     Wenn ich dann so dahinfahre, durchaus ambitioniert, denn es soll ja auch Spaß machen, sich in die Kurven zu legen, wenn ich auf schattigen Waldwegen fahre oder durch sonnenüberflutete Täler, durch kleine Dörfer in denen Menschen die Straße kehren, vorbei an fruchtbaren Feldern, an uralten Dorfkirchen und zahllosen Maibäumen, wenn ich dann über die Donau fahre bei Marxheim oder die breite Donaustaustufe bei Bertoldsheim und schließlich den Hahnenkamm erreiche, Hechlingen am See, Kloster Heidenheim, den Spielberg und zuletzt die Altmühl bevor ich daheim bin, wenn ich diese herrliche Strecke fahre, dann geschieht es, dass ich unwillkürlich laut in meinen Helm hinein sage: „Herr, ich liebe mein Leben, das du mir geschenkt hast und diese Welt, die du geschaffen hast und ich liebe dich. Du bist ein wunderbarer Gott!“
     Warum sage ich das? Niemand schreibt mir das vor. Niemand fordert mich dazu auf. Ich kriege nichts dafür und ich verfolge damit auch keine bestimmte Absicht. Ich sage das einfach so. Es kommt unwillkürlich, spontan aus mir heraus. All die Sinneseindrücke, wenn man durch die Landschaft fährt, verwandeln sich in mir zu einem Lob Gottes.
     Und dabei ist es nicht so, dass in meinem Leben alles in Ordnung wäre und ich keinerlei Sorgen oder Enttäuschungen hätte. Aber ich bin so froh und dankbar, dass die Freude, die ich an meinem Leben habe und an dieser Welt und auch die Freude an Gott stärker und größer ist als das Negative, das es leider auch gibt.
     Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich bei so einer Fahrt durch den Frühsommer nicht ständig in mich hineinschaue oder hineinhöre, mich nicht ständig mit mir selbst beschäftige und dem, was vielleicht anders sein könnte. Vielleicht hat das damit zu tun, dass, wenn ich mit offenen Augen durchs Land fahre, ich mal nicht nur immer „ich“ sage und denke, sondern „du“: Du, mein Gott.
     Das, liebe Freunde, was ich jetzt gesagt habe, ist für mich Glaube, diese unwillkürliche Freude an Gott, die spontane Begeisterung für seine Schöpfung, das in mir aufsteigende Gefühl, geliebt zu sein und Gott wieder lieben zu können.
     Das hat so gar nichts mit dem zu tun, was man oft unter Religion und Kirche versteht. Da geht es nicht um Gebote und Verbote. Nicht um Vorschriften, die befolgt werden müssen. Nicht um die Angst, etwas falsch zu machen. Nicht um die Furcht, Gott vielleicht nicht recht zu sein. Um das alles geht es nicht. Das hat meines Erachtens auch mit dem Glauben nichts zu tun. Denn der Glaube, so empfinde ich das, ist nur dann echt, wenn ich gern und von Herzen glaube, wenn es mir ein Bedürfnis ist, zu Gott zu beten, ihm ein Lied zu singen, über ein Bibelwort nachzudenken, einen Gottesdienst zu besuchen.
     Wir Menschen machen uns das Leben doch so schon schwer genug, in dem wir ständig meinen, irgendetwas machen zu müssen, um vor uns selbst oder anderen zu bestehen. Wir setzen uns selbst und andere unter Druck, damit wir die Dinge so hinbiegen, wie wir meinen, dass sie sein sollen. Wir überfordern uns gegenseitig mit Ansprüchen aller Art. Und darüber hinaus machen wir uns Sorgen über Dinge, die entweder schon vergangen sind oder von denen wir gar nicht wissen können, ob sie jemals eintreten.
     Gott aber überfordert niemanden. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Nicht umsonst sagt Jesus: „Ihr Menschen, die ihr euch so abplagt, kommt zu mir. Gebt mir eure Last. Ich will es euch leicht machen.“
     Aber verlangt denn Gott gar nichts von mir? Gibt es denn gar kein Gebot, das ich befolgen sollte?
     Martin Luther hat die Zehn Gebote der Bibel erklärt. Das erste Gebot heißt bekanntlich: »Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben neben mir.« Und dazu schreibt Luther: „Was ist das? Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.“
Ich hab mich mit dieser Erklärung immer ein bisschen schwer getan, weil ich nicht damit klar gekommen bin, dass ich Gott fürchten soll. Inzwischen weiß ich, dass es dabei nicht um Angst vor Gott geht, sondern um Ehrfurcht vor Gott. Wir sagen heute Respekt oder Achtung. Und deshalb kann man heute so sagen: „Wir sollen Gott über alle Dinge achten, lieben und vertrauen.“
     Ja, das ist es, was er von uns erwartet. Das ist sein Gebot, das uns auch Jesus ans Herz gelegt hat. Natürlich geht so etwas nicht auf Kommando. Aber dieses Gebot zeigt die Richtung, in die sich mein Glaube entwickeln, in die er wachsen kann. Alles andere, was Religion oder Kirche fordert, ist demgegenüber nachrangig und von geringer Bedeutung. Die Religionen erkennt man ja zunächst an den Forderungen, die sie stellen.
     Der Islam zum Beispiel fordert von den Gläubigen, dass sie fünfmal am Tag beten, im Fastenmonat Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts essen und trinken, dass sie für Bedürftige Almosen geben, einmal im Leben eine Wallfahrt nach Mekka unternehmen und laut und öffentlich bekennen: „Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet.“.
     Die Juden wiederum haben genau 365 Verbote und 248 Gebote. Darunter fällt das Gebot, dass ein männliches Baby beschnitten wird. Auch Juden dürfen kein Schweinefleisch essen, mehr noch, für sie gibt es genaue Speise- und Kochvorschriften. Am Sabbat dürfen sie nicht arbeiten, nicht einmal spazieren gehen. Bei Juden wie bei Muslimen greift die Religion tief in das alltägliche Leben der Menschen ein.
     Und bei Christen? Für Katholiken gibt es exakt 245 unverrückbare Wahrheiten, auch Dogmen genannt, die geglaubt werden müssen. Dazu kommt zum Beispiel die Pflicht, am Wochenende eine Messe zu besuchen, zu beichten oder das Verbot der Empfängnisverhütung.
Und die Evangelischen? Da kommt es wiederum darauf an, zu welcher Kirche oder Glaubensgemeinschaft man gehört. In unserer Volkskirche gibt es im Grunde nur die Pflicht, dass man getauft ist und seine Kirchensteuer bezahlt. Aber dann gibt es eben auch andere Gruppierungen, die strenge Moralvorschriften haben, die zum Beispiel jungen Leuten Sex vor der Ehe verbieten.
     Ich werde mich hüten, all diese Vorschriften, Gebote und Verbote der Religionen und Glaubensgemeinschaften lächerlich zu machen. Ich weiß ja, dass es viele Menschen gibt, auch unter uns hier, die sich feste Regeln wünschen, die wissen wollen, was sie tun dürfen und was nicht, die sich gerne an jemandem orientieren, der ihnen sagt, wie man glauben und leben soll. Wenn jemand dieses Bedürfnis hat, dann will ich es ihm nicht ausreden.
     Ich will mir aber umgekehrt auch nicht einreden lassen, dass ich auch dieses Bedürfnis haben müsse. Auch in solchen Dingen sind wir Menschen unterschiedlich. Und das müssen wir akzeptieren.
     Wer also Freude daran hat, zu beichten und zu fasten, sich an moralische Vorschriften zu halten, regelmäßig Gottesdienste zu besuchen, auf Wallfahrten zu gehen oder sonstige religiösen und kirchlichen Gebote zu beachten, der möge das tun.
     Solange ein solcher Mensch wirklich Freude an diesen Dingen hat, solange er es freiwillig tut und solange er das alles nicht auch von anderen fordert, so lange ist das in Ordnung. Aber er soll auch wissen, dass er das für sich selbst macht. Gott kann er damit nicht beeinflussen und wenn er noch so viele Bibelseiten liest und Gebete spricht. Gott verlangt alle diese Dinge nicht. Es sind Menschen, die sich das ausgedacht, die daraus Gebote und Gesetze gemacht haben, Vorschriften und Regeln. Gott aber will nur das Eine, dass wir ihn über alle Dinge achten, lieben und vertrauen. Oder mit den Worten Jesu gesagt:
»›Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe und mit deinem ganzen Verstand!‹ Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Ein zweites ist ebenso wichtig: ›Liebe deine Mitmenschen wie dich selbst!‹ Mit diesen beiden Geboten ist alles gesagt, was das Gesetz des Mose und die Propheten fordern.« 
     Das war‘s schon. Mehr verlangt er nicht. Keine weiteren Vorschriften oder Gesetze. So einfach ist der Wille Gottes. Und doch ist dieses Einfache alles andere als leicht. Denn wer liebt schon Gott von ganzem Herzen und mit ganzer Hingabe und auch noch mit ganzen Verstand? Und wer liebt schon seine Mitmenschen wie sich selbst?
     Wie soll das auch gehen, dass ich Gott liebe? Ich glaube, entscheidend ist, dass ich mir von der Bibel wieder und wieder sagen lasse, dass Gott mich zuerst liebt und zwar bedingungslos und voraussetzungslos. Und er tut das nicht, weil ich liebenswürdig wäre, sondern weil ich seine Liebe brauche. Nein, ich brauche keine Vorschriften, Gesetze und Pflichten. Ich brauche zuallererst Liebe. Ich habe sie als Baby und Kleinkind gebraucht. Ich brauche sie auch jetzt. Schön, wenn es Menschen gibt, die mich lieben. Das tut mir richtig gut. Doch die Liebe von Menschen kann sich ändern und sterben. Gottes Liebe bleibt. Sie ist Quelle und Grund, weshalb ich ihn wieder lieben kann.
Das ist es. Mehr wird nicht verlangt, aber auch nicht weniger.

Amen

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