Liebe Gemeinde,
der Johanni-Gottesdienst hier auf dem Reisachfriedhof bewegt mich immer wieder auf besondere Weise. Meine Gedanken wandern zurück zu den Beerdigungen, die wir hier gehabt haben. Ich sehe vor mir die Angehörigen, wie sie verstört und schweren Herzens am offenen Grab stehen. Ich denke an die Menschen, die ich zu ihren Lebzeiten gekannt habe und die nun hier unter der Erde ruhen.
Und jetzt seh ich euch, die ihr bei so mancher Beerdigung hier dabei gewesen wart, sei es als Gäste, sei es als Angehörige. Nicht wenige von euch kommen oft hierher, um die Gräber zu pflegen und damit ihre Toten zu ehren. Einst war der Gang auf den Friedhof vielleicht bitter und schwer. Aber im Lauf der Zeit kann sich das ändern. Dann tut es gut, ein paar Augenblicke hier zu sein, weg vom Alltag und seinen Sorgen, weg vom Getriebe und der Unruhe unserer Tage.
Hier ist der Ort, wo du dir Zeit nehmen kannst das, was vergangen ist, noch einmal zu bedenken. Hier ist aber auch der Ort, wo ein Hauch von Ewigkeit zu spüren ist. Auf dem Friedhof gelten andere Maßstäbe als sonst. Da verliert manches, was sonst so wichtig zu sein scheint, an Bedeutung. Und der Glaube, der in deinem Leben eher eine Nebenrolle gespielt hat, gewinnt an Gewicht.
Es hat schon seine besondere Bewandtnis, dass wir diesen Gottesdienst an Johanni feiern, um den Zeitpunkt, von dem an die Tage wieder kürzer und die Nächte wieder länger werden. Johanni - dieser Tag hat seinen Namen von Johannes dem Täufer, an dessen Geburtstag wir am 24. Juni denken. Nach der Bibel ist Johannes ein Vetter von Jesus, ein halbes Jahr älter als dieser. Er gilt als Vorläufer und Wegbereiter unseres Herrn. Sein Name wurde seinem Vater Zacharias durch einen Engel offenbart und heißt auf Deutsch: Gott ist gnädig. Alle, die Johann oder Johannes heißen, Hans oder Hannes, oder John, Jan, Ivan, Giovanni, Juan oder Jean – sie alle haben ihren Namen von diesem Johannes dem Täufer und tragen damit die Botschaft in die Welt: Gott ist gnädig! Sie tun das, ob sie es wissen oder nicht.
"Gott ist gnädig" - das ist die Botschaft dieses Tages. Aber das war nicht immer so. In vorchristlicher Zeit wurden zur Sonnenwende Feuer angezündet, um böse Dämonen zu vertreiben. Menschen hatten Angst vor zornigen Göttern und Geistern, hatten Angst vor den Mächten der Finsternis die an Macht und Kraft zu nehmen würden je kürzer nun die Tage und je länger die Nächte werden.
Heute heißt die Botschaft "Hab keine Angst, denn unser Gott ist ein gnädiger Gott": Nicht die Mächte der Finsternis regieren, sondern das Licht, von dem Johannes der Täufer kündet. Am dunkelsten Tag des Jahres, wenn die Nacht am tiefsten und der Tag am kürzesten ist, am Heiligen Abend, wird Christus geboren, das Licht der Welt. Die finsterste Nacht des Jahres, ist für uns Christen die heilige Nacht, in der der Stern der Gottesliebe über dem Stall steht und am Christbaum die Kerzen brennen.
Gestern vor einer Woche war ich noch in Palästina und habe an der Stelle, an der Johannes Jesus getauft hat, selbst einen Mann im Jordan getauft. Das war für alle, die dabei waren, ein bewegendes Erlebnis. Mitten durch den Jordan geht die Grenze zwischen den vom israelischen Militär besetzten Palästinensergebieten und Jordanien. Gegenüber am jordanischen Ufer und somit für uns nicht erreichbar, war eine orthodoxe Kirche, die an Jesu Taufe erinnerte. Ich dachte mir: Was für eine zerrissene Welt, in der wir leben, zerrissen durch Politik und Religion, durch Gewalt und Unterdrückung, durch Vorurteile und Fanatismus.
Wir, die Menschen, zerreißen diese Welt, die doch Gott für alle geschaffen hat, die er allen geschenkt hat als den Lebensort, an dem wir im Frieden miteinander auskommen sollen. Er ist gnädig zu allen. Und wir? Wir Menschen sind oft so gnadenlos. Er ist barmherzig zu allen. Und wir? Wir Menschen sind oft so unbarmherzig. Er liebt alle seine Geschöpfe. Und wir? Wir machen uns das Leben schwer mit Streit und Hass.
Jesus hat uns diesen gnädigen Gott gezeigt und hat zum Zeichen dafür Kranke geheilt, Schuldigen vergeben, Hungernde gespeist und die Menschen mit Gottes Liebe getröstet. Und zum Dank dafür hat man ihn ans Kreuz geschlagen, weil er damit die Interessen der Machtgierigen und Habgierigen gestört hat.
Ja, Gott ist gnädig. Das ist die Botschaft des Johannitages, das ist die Botschaft, die der Name Johannes, Johann, Hans oder Hannes enthält. Ihm, unserem Schöpfer, verdanken wir alles, was wir sind und haben, alles! Denn ohne ihn würden wir nicht leben. Ohne ihn gäbe es diese Welt nicht, die wir alle hier trotz ihrer dunklen Seiten lieben und die wir nicht verlassen möchten.
Und so rufe ich euch zu: Liebt nicht nur die Gabe, liebt auch den Geber. Liebt nicht nur die Welt, liebt auch ihren Schöpfer. Liebt nicht nur das Leben, sondern auch den, der euch am Leben erhält bis zu diesem Augenblick. Und fürchtet euch nicht vor dem Tod, sondern vertraut dem, der euch daraus erretten wird.
Und jetzt schaut auf die Gräber, die euch umgeben. Bedenkt, wie kurz unser Leben ist. Und seid darum selber gnädig mit anderen und mit euch selbst. Überfordert niemanden und macht euch nicht schuldig. Vergebt einander, wie auch Gott euch vergeben hat. Seid großzügig und freundlich. Helft auch den Unsympathischen. Vor allem aber seid dankbar, dass ihr in dieser Zeit und in diesem Land leben dürft, in Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand. Denn Dankbarkeit wird euch zufrieden machen und Gottvertrauen gibt euch Zuversicht. Die größte Gnade aber ist Gottes Liebe. Die sollen wir annehmen und einander weitergeben und sollen ihn wieder lieben wie uns selbst. Amen
Herzliche Grüße
Hans Löhr
Hinweis: Bis 6. Juli bin ich mit dem Motorrad in den französischen Alpen und an der Coté d'Azur unterwegs. Die nächsten Losungsauslegungen erscheinen, wenn alles gut geht, ab 7. Juli. Danach bin ich erst mal wieder längere Zeit sesshaft - vielleicht 😉
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