Losung: Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der HERR nimmt
mich auf. Psalm 27,10
Lehrtext: Christus spricht: Siehe, ich bin
bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Matthäus 28,20
Liebe Leserin, lieber Leser,
es war im Vorfrühling 2010 als mich mein Vater und meine
Mutter innerhalb von sechs Wochen verlassen hatten. Gut, beide waren
hochbetagt. Ich war innerlich darauf eingestellt, und so war es auch keine
Katastrophe. Und trotzdem, es ist ein tiefer Einschnitt im Leben, wenn dich
Vater und Mutter für immer verlassen, auch wenn du selbst längst erwachsen bist
und auf eigenen Füßen stehst. Bis diese traurige Nachricht nicht nur im Kopf,
sondern auch in meiner Seele angekommen war, hatte es einige Zeit gedauert. Bis
dahin meinte ich, sie müssten doch noch da und für mich erreichbar sein. Eine
Art Schlusspunkt war dann, als ich nach ein paar Monaten noch einmal ihre
Telefonnummer gewählt habe und dann die Ansage zu hören bekam: »Kein Anschluss
unter dieser Nummer.«
Den Psalm 27 mit dem heutigen Losungswort habe ich oft bei
Trauerfeiern vorgelesen. Auch wenn es nichts Außergewöhnliches ist, dass Vater
und Mutter vor einem gehen müssen, ist es doch hilfreich, wenn den Angehörigen
das noch einmal von außen und mit der Autorität der Bibel gesagt wird. Es
hilft, den Verlust nicht nur hinzunehmen, sondern auch anzunehmen. Und
vielleicht tröstet es sie auch, wenn sie hören, dass Gott, dass Christus bleibt
(Lehrtext) und sie in ihrem Schmerz bei
sich aufnimmt.
Nun aber kann das heutige Losungswort auch noch anders
übersetzt und verstanden werden. Dann heißt es: »Wenn Vater und Mutter mich verstoßen, nimmst du, Herr, mich doch
auf.« Leider kommt so etwas ja nicht nur bei Hänsel und Gretel vor, sondern oft
genug auch in der Wirklichkeit. Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren
erwachsenen Kindern ist manchmal so zerrüttet, dass es keine Gemeinschaft mehr
gibt. Das schmerzt wohl noch mehr als der Tod.
Ich weiß von einem Mann, der es nicht mehr übers Herz
brachte, seinen sterbenden Vater zu besuchen. Zu viel war zwischen beiden
kaputt gegangen. Aber er hatte sich überwunden, ihm noch einen Brief zu
schreiben. Was genau darin stand, weiß ich nicht. Aber so viel ich weiß, war er
in einem versöhnlichen Ton gehalten. Das ist besser als nichts. Das tut nicht
nur dem Sterbenden gut, sondern auch dem, der zurückbleibt. Doch wenn das alles
nicht mehr geht, dann bleibt immer noch Gott, dem ich alles Versagen, alle
Schuld, alle Verzweiflung über den Bruch sagen und den ich bitten kann, mir zu
vergeben und meine verletzte Seele zu heilen ‚wie auch ich vergebe meinem
Schuldiger‘.
Gebet: Herr, du bist da, alle Tage, auch an den
bösen, wenn es mir mit mir selbst und mit anderen nicht gut geht. Du bist auch
dann da, wenn ich versage und schuldig werde. Du bist auch dann da, wenn ich
mich von aller Welt verlassen fühle. Du verlässt mich nicht. Du bleibst, du
öffnest deine Arme für mich und nimmst mich auf. Amen
Herzliche Grüße
Ihr / dein Hans Löhr
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