Predigt von Hans Löhr im Lichtblickgottesdienst
Liebe Freunde,
„Mach aus, ich kann es nicht mehr sehen“, sagte vor kurzem die Frau eines Freundes, als sie gemeinsam die Tagesschau anschauten. Ehrlich gesagt, ich kann sie gut verstehen. Manchmal denke ich mir auch: ‚Warum nur soll ich mir das antun und mich durch die vielen schlechten Nachrichten deprimierend lassen? Jetzt bestellst du die Zeitungen ab, schaltest keine Nachrichtensendungen mehr ein und löscht auch die Nachrichten-Apps auf deinem Smartphone.‘ Aber deswegen bleibt doch die Wirklichkeit wie sie ist, auch wenn ich mir die Ohren und die Augen zuhalten würde. Und ich weiß ja, dass es die schlechten Nachrichten trotzdem gibt.
So wie es in der Welt zugeht, habe ich eigentlich keinen Grund zur Zuversicht. Andererseits, hat es denn schon mal eine Zeit ohne schlechte Nachrichten gegeben? Und trotzdem bin ich mein Leben lang hier in Deutschland gut davongekommen. Das muss nicht so bleiben. Aber warum soll ich jetzt schon pessimistisch sein, wenn ich doch in einem Land lebe, um das uns die meisten anderen Länder beneiden. Nun gut, pessimistisch muss ich nicht sein. Aber Sorgen mache ich mir doch, weil die Welt um uns zerrissen ist in Arm und Reich. Weil im eigenen Land die politischen Gräben immer tiefer werden und sich Menschen mit unterschiedlicher Meinung immer unversöhnlicher gegenüberstehen.
Und dann ist in Washington, im Machtzentrum des Westens, zu dem doch auch Deutschland gehört, die politische Kultur auf einen Tiefpunkt gesunken, was ich mir bisher nicht vorstellen konnte. Da prahlt der amerikanische Präsident, dass sein Atomknopf größer sei als der des Diktators aus Nordkorea. Geht‘s noch? Nein, so geht‘s nicht. Zumindest geht‘s so nicht gut, sondern schief.
Ich will und ich kann gegen diese schlechten Nachrichten etwas Positives dagegen setzen. Und das werde ich jetzt in dieser Predigt tun. Statt mich mit der Wirklichkeit abzufinden und zu resignieren, frage ich nach einer Vision von einer anderen, einer besseren Welt. Wie könnte denn die Welt sein, dass man sich keine Sorgen mehr machen und keine Angst mehr haben muss?
Der Prophet Micha hatte eine solche Vision. Sie steht in der Bibel, im Alten Testament. Da heißt es:
»Am Ende der Zeit wird der Berg, auf dem der Tempel des HERRN steht, alle anderen Berge und Hügel weit überragen. Menschen aller Nationen strömen dann herbei. Viele Völker ziehen los und rufen einander zu: »Kommt, wir wollen auf den Berg des HERRN steigen, zum Tempel des Gottes Israels! Dort wird er uns seinen Weg zeigen, und wir werden lernen, so zu leben, wie er es will.« Denn vom Berg Zion aus wird der HERR seine Weisungen geben, dort in Jerusalem wird er der ganzen Welt seinen Willen verkünden.
Gott selbst schlichtet den Streit zwischen den Völkern, und den mächtigen Nationen in weiter Ferne spricht er Recht. Dann schmieden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen um und ihre Speere zu Winzermessern. Kein Volk wird mehr das andere angreifen; niemand lernt mehr, Krieg zu führen. Jeder kann ungestört unter seinem Feigenbaum und in seinem Weingarten sitzen, ohne dass ihn jemand aufschreckt. Das verspricht der HERR, der allmächtige Gott!« (Micha 4,1-4)
Es gibt Worte, die sind nicht von dieser Welt. Sie sind der Gegensatz von allem, was wir kennen. Aber sie sind der Inbegriff von allem, was wir hoffen. Dieses Bibelwort aus dem Buch des Propheten Micha gehört dazu.
„Am Ende der Zeit …“ – so beginnt diese Vision. Auch dem Propheten Micha und den Menschen, denen er damals zuerst diese Vision verkündet hatte, war klar: „So etwas geschieht nicht in unserer Zeit, nicht jetzt.“ Und genauso können wir das heute auch sagen. Aber deshalb ist diese Vision nicht nutzlos. Im Gegenteil. Sie ist wie der Polarstern, weit weg, aber doch nah genug, dass man sich daran orientieren kann. Denn dass die Wirklichkeit diese Hoffnungen nicht einlöst, ist kein Grund, auf sie zu verzichten. Im Gegenteil.
Diese Vision spricht davon, dass alle Völker dasselbe Ziel haben, nämlich so zu leben wie Gott es will und das heißt: nicht mehr aufrüsten, niemand mehr angreifen, das Militär abschaffen, das Kriegshandwerk aufgeben und im Frieden leben können. Das ist die große Vision der Bibel. Und Jesus führt sie fort und sagt: »Aus der ganzen Welt, aus Ost und West, aus Nord und Süd, werden die Menschen kommen und in Gottes Reich das Freudenfest feiern. Ihr werdet sehen: Viele, die jetzt einen großen Namen haben, werden dann unbedeutend sein. Und andere, die heute die Letzten sind, werden dort zu den Ersten gehören.«
Das, liebe Freunde, ist die positive Vision, die wir den schlechten Nachrichten heute entgegensetzen können. Sie soll uns helfen, nicht zu resignieren, sondern über die Probleme unserer Zeit hinauszuschauen, hinein in eine Zukunft, die Gott selbst verspricht. Ja, so soll es am Ende der Zeit sein, nicht jetzt. Aber dieses gute Ende ist der Stern, an dem wir uns orientieren, der uns in Gottes Welt führt so wie der Stern von Bethlehem die drei Könige zum Jesuskind.
Gestern erst haben sie wieder in unserem Haus geklingelt, die drei Könige, die Sternsinger, die Jahr für Jahr kommen, um Gottes Segen zu wünschen und eine Spende für die Armen zu sammeln. Und in dem Gedicht, das sie vor unserer Haustür aufgesagt haben, hieß es:
Zu Jesus dürfen wir alle drei,
ob schwarz, gelb, weiß, ganz einerlei.
Denn vor ihm zählt der Mensch allein,
und das ist der Sinn der heiligen Drei.
Im Neuen Testament und in meinem Glauben ist es nicht der Tempel von Jerusalem, sondern Jesus, von dem alles ausging, auf den alles zuläuft. Durch ihn sind wir Menschen eine Gemeinschaft egal ob wir vom Osten oder Westen, vom Norden oder Süden kommen. Mit ihm sollen wir einmal das große Freudenfest in Gottes Reich feiern, das Fest der Erlösten, das Fest derer, die von ihren Vorurteilen erlöst sind, von ihren Ängsten vor allem, was fremd ist, von ihren Abneigungen gegen den Nachbarn, erlöst von ihrem Rassismus, von ihrer Furcht vor Flüchtlingen, von ihrem Hass auf sich selbst. Mit ihm sollen wir das Fest des Regenbogens feiern, in dem keine Farbe fehlen darf, sonst wäre er nicht mehr das göttliche Zeichen des Friedens.
Doch das alles müssen wir nicht in die Zukunft verschieben. Damit können wir heute schon beginnen, wenn wir aufeinander zugehen, uns für einander öffnen und das Gemeinsame in den Mittelpunkt stellen und dafür das zurückstellen, was uns trennt.
Damals, beim Turmbau zu Babel, so heißt es, hat Gott die Sprache der Menschen verwirrt, dass sie nicht an ihrer Überheblichkeit zugrunde gingen. Seitdem gilt, wer keine Fremdsprachen gelernt hat, versteht nicht die Menschen in Frankreich oder in Polen oder in Russland oder in Italien. Und doch sprechen wir alle aus allen Völkern eine gemeinsame Sprache, in der wir uns verständigen können. Da ist zum einen die Sprache der Wissenschaft. Auf der ganzen Erde gibt es nur eine Mathematik, überall rechnen Menschen gleich. Da ist zum anderen die Sprache der Liebe. Auf der ganzen Erde lieben Menschen einander und überall sind sie hilfsbereit, gerade auch Fremden gegenüber. Wenn ein Mensch in Not ist, kann er sich zu 99 Prozent darauf verlassen, dass ihm ein anderer hilft, egal welche Weltanschauung oder Religion er hat, egal ob er schwarz oder weiß ist. Da ist zum dritten die Sprache der Kultur, insbesondere die Musik. Wie nichts sonst verbindet sie Menschen aus allen Kulturen, Religionen, Rassen und Ländern. Wenn meine Familie mit mir Gottesdienste in Tansania besucht hat, haben wir mit den schwarzen Christen dort gemeinsam gesungen. Die Texte haben wir nicht verstanden. Aber die Melodien haben uns verbunden.
Seit 2004 gibt es ein wunderbares Projekt „Playing for change“, auf Deutsch: Musik machen, um etwas zu verändern, genauer, „um Menschen zu inspirieren, zu verbinden und der Welt mittels Musik Frieden zu bringen“. Die Gründer Mark Johnson und Enzo Buono reisten um die Welt und suchten Orte wie New Orleans, Barcelona, Südafrika, Indien, den Kongo, Nepal und Irland auf. Mit Hilfe eines mobilen Tonstudios zeichneten sie die Interpretationen desselben Liedes von verschiedenen Straßen-Musikern auf. Die beiden reisten weiter um die Welt und nahmen die persönlichen Interpretationen von immer mehr Musikern dazu auf, auch von weltberühmten Künstlern. Schließlich wurden alle Aufzeichnungen für die Endversion zusammengeschnitten (Wikipedia).
Hier wird die Vision, von der der Prophet Micha sprach, in Ansätzen sichtbar, hörbar und erlebbar. Genau das ist der Weg, den Jesus uns weist und der uns wegführt von Gewalt und Krieg und hin zu mehr Freundschaft und Frieden.
Ich zeige euch jetzt eines von vielen Dutzend Musikvideos aus diesem Projekt. Es heißt „Everyday people“, zu Deutsch „Ganz normale Menschen“. Es geht darum, dass die Grünen die Blauen nicht mögen, weil sie blau sind und die Blauen die Roten, weil sie rot sind und die Roten mögen die Schwarzen nicht und diese die Weißen nicht und die Weißen mögen die Gelben nicht und diese nicht die Grünen und so weiter. Alle mögen sie sich nicht, weil die anderen eben anders sind. Und so heißt dann der Kehrvers:
Verschiedene Leute leben auf verschiedene Weise
scooby dooby ooh sha sha
Wir sollten zusammenleben.
Ich bin nicht besser und du auch nicht.
Wir sind alle gleich, egal, was wir tun. [VIDEO einspielen]
Das, was wir soeben gesehen haben, ist ein kleiner Ausschnitt aus der großen Vision des Propheten Micha und ein kleiner Ausschnitt aus der großen Verheißung von Jesus, dass Menschen aus allen Teilen der Welt zusammenkommen werden um miteinander das Freudenfest im Reich Gottes zu feiern.
Das, liebe Freunde, setze ich gegen die schlechten Nachrichten, die mir Tag für Tag die Freude nehmen wollen. Ich weiß, die Wirklichkeit sieht meistens anders aus. Aber ich weigere mich, vor dieser Wirklichkeit zu kapitulieren. Im Namen des Propheten Micha, im Namen Jesu, im Namen der Bibel und im Gedenken der zahllosen Opfer von Gewalt und Krieg will ich dieser Wirklichkeit die Stirn bieten. Will ich an der Hoffnung festhalten, dass durch Gott noch einmal alles gut wird. Ich will mich nicht der großen weltweiten traurigen Wirklichkeit beugen, keinem Donald Trump, keinem Kim Jong un, keinem Erdogan und keinem iranischen Mullah.
Ich will mich aber auch nicht der kleinen Wirklichkeit beugen in meinem Lebensumfeld, wenn über andere negativ gesprochen, wenn gestritten wird, wenn man sich aus dem Weg geht.
Ich will mich auch nicht meiner eigenen Wirklichkeit beugen, meinen negativen Gefühlen und Gedanken, meinen verletzenden Worten und meinen schlechten Angewohnheiten. Ich will mich nicht meinen Zweifeln beugen und nicht meiner Gleichgültigkeit, nicht meiner Angst und nicht meinen Sorgen.
Gegen all das setze ich die Vision des Micha, dass einmal alle Menschen, so unterschiedlich wir auch sind, zusammenkommen werden, um den einen Gott zu ehren und untereinander Frieden zu halten. Und ich will mit dir zusammen im Kleinen daran arbeiten, dass da, wo wir sind, jetzt schon ein bisschen was davon wirklich wird. Amen
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