Dienstag, 22. September 2015

Was bin ich wert? ebl

Losung: Die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Jesaja 58,7

Lehrtext: Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Matthäus 25,35-36

Predigtgedanken im Lichtblickgottesdienst am 20.09.2015 während der Flüchtlingsströme im September 2015 von Elfriede Bezold-Löhr zugleich eine Auslegung von Losung und Lehrtext am 22.9.2015

Gott, du wundervoller Herrscher!
Die ganze Welt spiegelt deine Herrlichkeit.
Wenn ich mir das endlose Universum ansehe,
das du geschaffen hast,
den Mond und die Sterne,
die du so sorgsam angeordnet hast,
dann frage ich mich:
Was ist der Mensch?
Wie kommt es, dass du gerade ihn so ins Herz geschlossen hast?
Warum kümmerst du dich so um ihn?
Du hast den Menschen fast so herrlich gemacht,
wie du selbst es bist,
und ihn mit Würde und Größe beschenkt.
Er darf über deine Schöpfung herrschen,
weil du ihm alles anvertraut hast:
Nicht nur die Schafe und die Rinder,
sondern auch die wilden Tiere,
die Vögel am Himmel,
die Fische im Meer
und alle Lebewesen,
die das Meer durchstreifen.
Gott, du wunderbarer Herrscher,
die ganze Welt spiegelt deine Herrlichkeit. (Psalm 8 nach Fabian Vogt)

Das Menschenbild der Bibel
Ich bin wertvoll. Du bist wertvoll. Sie sind es. Gott schenkt uns Würde, er überschüttet uns – jeden Menschen ohne Ausnahme – mit Aufmerksamkeit. Das lesen wir in der Bibel immer wieder, auch hier.

„Wie kann das sein?“ fragt sich David, der das auch entdeckt und ein Loblied darüber komponiert. Er hat vielleicht gerade eine Nacht hinter sich, wie wir sie in diesem August erleben konnten. Als der Perseidenstrom zahllose Sternschnuppen am Himmel hat aufleuchten lassen.
David hat sich gefragt, was ich mich auch gefragt habe: „Gott, was sind wir denn? Wir kleinen Menschen-Pünktchen, die wir da mitten in der Nacht auf dem noch sonnenwarmen Asphalt auf der Straße zwischen Sommersdorf und Winkel liegen und in den Himmel schauen? Wie kommt es, dass wir dir so wichtig sind? Warum kümmerst du dich so liebevoll um uns, dass du uns eine ganze Welt zu Füßen legst?
Eine Welt voller Wunder - und wir selber sind eigentlich auch eines. Du beschenkst uns mit einem phantastisch gestalteten Körper, dessen Geheimnissen und Fähigkeiten die Wissenschaft erst langsam auf die Spur kommt. Du beschenkst uns mit Herz und Verstand, so dass wir leben können mit allen Sinnen.

Gottes Liebe adelt uns
Warum tust du das, Herr? --- Es bleibt dein Geheimnis. So bist du eben, Gott. Das ist dein Wesen. Du liebst uns. Deine Liebe adelt uns. Aus dieser Liebe heraus sorgst du dich um uns. Und legst uns ans Herz, dass wir uns als deine Kinder auch um andere sorgen. Großzügig. Du sagst uns klar, was das konkret heißt, Herr, weil du selber diese Fürsorge in der Gestalt Jesu schon gebraucht hast:

„Als ich hungrig war, habt ihr mir zu essen gegeben.
Als ich Durst hatte, bekam ich von euch etwas zu trinken.
Ich war ein Fremder bei euch, und ihr habt mich aufgenommen.
Ich war nackt, ihr habt mir Kleidung gegeben.
Ich war krank, und ihr habt mich besucht.
Ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.“ (Matth. 25, 35 ff)

Plötzlich sind wir mitten drin in den Nachrichten und Bildern, die seit Wochen um die Welt gehen. Hunderttausende von flüchtenden Menschen, die sich in endlosen Zügen nach Europa auf den Weg machen. Menschen aus Somalia, aus Eritrea, aus Afghanistan, aus Irak, aus Syrien. Viele erschöpft, übermüdet, die Kleidung verdreckt, die Schuhe zerrissen. Manche schon halbnackt. Leute, die gelebt haben wie du und ich. Verheiratet, Kinder, ein geregeltes Auskommen. Das kleine Glück im eigenen Land, das ihnen gereicht hat. Sie haben sich auf den Weg gemacht, weil es daheim inzwischen unerträglich geworden ist. Weil sie Verwandte und Freunde haben sterben sehen. Sie kommen mit der Garnitur Kleider, mit der sie von daheim aufgebrochen sind. Viele von ihnen sind Männer. Denn das Geld, um einen Schlepper für die Reise nach Europa zu bezahlen, hat nur für einen gereicht. Aber es kommen auch Frauen. Manche hochschwanger. Die irgendwo unterwegs ihr Kind zur Welt bringen. Und dann für dieses Neugeborene nicht einmal eine Windel haben. Es kommen Kinder – manche im Gewühl getrennt von ihren Familien. Ahnungslos, wie sie sich jetzt verständlich machen sollen. Hilflos gegenüber uniformierten Menschen an den Grenzen und in den Lagern mit ihrem Mundschutz, ihren Handschuhen und Schlagstöcken.

Der Traum von einer anderen Welt
Oft ist es die blanke Verzweiflung, die die Leute dazu gebracht hat, daheim alles aufzugeben. Da gibt es den Traum von einem neuen Anfang, von einem anderen Leben in einer besseren Welt. Auf dem Handydisplay haben sie Bilder davon gesehen: die Strände von Italien mit fröhlichen Menschen. Die Lavendelfelder der Cote D’Azur. Die sanft gewellten grünen Wiesen der bayerischen Voralpenlandes. Die wunderschönen Städte mit ihrer Bäderkultur an der Ostsee. Nirgendwo auf diesen Bildern eine Spur von den furchtbaren Fässern, die in Syrien mit Metall und Sprengstoff gefüllt vom Himmel fallen und in Wohngebieten explodieren. Nirgendwo Kinder mit blutigen Verbänden, die durch zerbombte Viertel irren. Nirgendwo Menschen mit notdürftig amputierten Gliedmaßen.

Frieden. Einfach ohne Angst einen neuen Tag anfangen können – davon träumen viele dieser Flüchtlinge. Dafür nehmen sie nach einer strapaziösen Reise viel auf sich: Sie lernen eine fremde, schwere Sprache. Sie lassen sich auf eine völlig andere Kultur ein. Sie ertragen Langeweile, warten geduldig auf einen Deutschkurs. Sie warten auf eine Arbeitserlaubnis, damit ihr Leben wieder einen Sinn bekommt. Sie zittern der Prüfung ihres Asylantrags entgegen, die Jahre dauern kann. Die von einem Tag auf den anderen vielleicht alle Hoffnungen zerschlägt.

Was haben wir zu bieten?
Wir sind, gemessen an vielen anderen Menschen der Welt, schwer reich. Wir können teilen. Und das passiert auch. Ich habe mich so gefreut, als in den letzten Wochen Bilder und Berichte von Leuten – nicht nur aus München, sondern aus ganz Deutschland – um die Welt gegangen sind, die Hilfsbereitschaft gezeigt haben. Es wurde Essen verteilt und Wasser, es sind Hallen vorbereitet worden und Häuser und Zelte. Es sind Kleider für Babys, Kinder, Frauen und Männer gespendet worden. Es gab eine ärztliche Grundversorgung. Werke der Barmherzigkeit.

Wir dürfen damit in den nächsten Wochen und Monaten nicht aufhören. Ich bin weder naiv noch habe ich eine Lösung für diese hoch schwierige politische Lage parat. Was wir gegenwärtig erleben, hat eine epochale Dimension. Doch ich bin sicher: Wir sind mit unserer Hilfsbereitschaft noch lange nicht am Ende. Sie kann keine spontane Laune sein, sondern sie muss ihre Wurzeln in unserem Selbstverständnis haben. Gott macht uns heute neu klar: Wir sind wertvoll. Jeder einzelne Mensch ist es. Egal, wo er herkommt und wo er hinwill. Weil wir als Gottes Geschöpfe von ihm geadelt worden sind. Dieser Adel verpflichtet uns nicht, sondern er macht uns frei zu helfen. Amen.
Elfriede Bezold-Löhr 

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