Dienstag, 16. Mai 2017

Die andere Seite von Weihnachten hl

LosungWeil die Elenden Gewalt leiden und die Armen seufzen, will ich jetzt aufstehen, spricht der HERR, ich will Hilfe schaffen dem, der sich danach sehnt. Psalm 12,6 

LehrtextSollte Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen? Lukas 18,7 


Liebe Leserin, lieber Leser,

»Es rettet uns kein höh'res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen,
können wir nur selber tun!«

So sangen die ausgebeuteten Arbeiter um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Damals sprach dieser Text aus dem Lied „Die Internationale“ zahllosen sogenannten Proletariern in vielen Ländern aus dem Herzen. Als dann in Russland und in China die Kommunisten an die Macht gekommen und aus den ehemaligen Befreiern die neuen Unterdrücker geworden waren, wurde aus dem Lied der Freiheit das Gebrüll neuer staatlicher Gewalt.
     Das ist das Schicksal so vieler Lieder, die sich nicht dagegen wehren können, wer sie in den Mund nimmt und gegebenenfalls missbraucht. So war das auch mit Kirchenliedern, die gesungen wurden, während die sogenannten Ketzer brannten. So war das mit den Liedern der Jugendbewegung in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die danach von den Nazis vergewaltigt wurden.
     Damals, als der deutsche Text der „Internationalen“ gedichtet wurde, fühlten sich die Ausgebeuteten, die Erniedrigten, Beleidigten und Elenden von der Kirche im Stich gelassen. Und so meinten sie, dass auch Gott sie im Stich gelassen hätte. Sie glaubten nicht, was in der heutigen Losung steht. Viele glauben das heute noch nicht angesichts des andauernden Elends der Armen.
     Aber ich glaube das, weil ich glaube, dass Gott auf eine Weise handelt, die wir Menschen, wenn überhaupt, oft erst im Nachhinein verstehen. Ich glaube zum Beispiel, dass die atheistischen Kommunisten und Sozialisten im 19. Jahrhundert und anschließend die Gewerkschaften und die oppositionellen Arbeiterparteien Werkzeuge Gottes waren, um die Arbeitssklaven des Kapitalismus zu befreien. Die Kirchen waren sich, bis auf Ausnahmen, damals zu fein, sich mit den ungebildeten und verelendeten Arbeitern abzugeben. Sie paktierten lieber mit den Mächtigen, mit dem Kaiser und den Königen, mit den Fabrikbesitzern und Großgrundbesitzern. 
     Kein Wunder, dass bis heute viele Arbeiter auf Distanz zur Kirche gehen, weil sie sich da weder verstanden noch heimisch fühlen. Inzwischen haben viele vergessen, welche Kämpfe und Leiden es ihre Vorfahren gekostet hat, um soziale Leistungen wie den 8-Stunden-Tag, den Arbeitsschutz im Krankheitsfall, Arbeitslosengeld und Urlaub zu erringen, Leistungen, die heute selbstverständlich zu sein scheinen.
     Nein, Gott gibt sich keineswegs nur mit den Frommen ab. Auch die Atheisten sind seine Kinder. Alle, die sich bis heute für soziale Gerechtigkeit in unserem Land und weltweit einsetzen, handeln in seinem Sinn und werden von ihm gebraucht.
     Ja, „Gott wird seinen Auserwählten Recht schaffen, die zu ihm Tag und Nacht rufen“, wie Jesus im Lehrtext sagt. Seine Auserwählten sind zuerst die Sünder und nicht die Heiligen. Seine Auserwählten sind zuerst die Unterdrückten und nicht die Unterdrücker. Seine Auserwählten sind die Ausgebeuteten und nicht die Ausbeuter. Seine Auserwählten sind alle, die leiden und Unrecht erfahren. Und ihre Gebete sind ihre Seufzer, ihre Schreie, ihre Tränen. Sie haben nicht umsonst geseufzt, geschrien und geweint. Gott hört und sieht sie und sorgt dafür, dass diejenigen, die jetzt mächtig und sicher sind, nicht mächtig und sicher bleiben werden.
     Davon hat bereits Maria, die Mutter Jesu, ein Lied gesungen, in dem es heißt:
»Der Herr stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer.« (Lukas 1,51+ 52)
Mit dieser Kampfansage auf den Lippen hat sie Jesus in einem Viehstall geboren und in einen Futtertrog gelegt. Das, liebe Leserin, lieber Leser, ist die andere Seite von Weihnachten.

Gebet mit Psalm 146:
Halleluja – lobt den HERRN! Ich will den HERRN loben mit ganzer Hingabe, solange ich bin!
Setzt euer Vertrauen nicht auf Leute, die Einfluss haben und Macht ausüben! Sie sind doch bloß vergängliche Menschen und können euch nicht retten. Sie werden sterben und zu Staub zerfallen; und wenn ihr Lebensgeist sie verlässt, dann vergehen auch all ihre Pläne.
Glücklich aber ist der Mensch, der seine Hilfe von Gott erwartet! Glücklich ist, wer seine Hoffnung auf den HERRN setzt! Denn er hat Himmel und Erde geschaffen, das Meer und alles, was es dort gibt. Für immer wird er zu seinem Wort stehen!
Den Unterdrückten verschafft er Recht, den Hungernden gibt er zu essen, und die Gefangenen befreit er. Der HERR macht die Blinden wieder sehend und richtet die Niedergeschlagenen auf. Er bietet den Ausländern Schutz und sorgt für die Witwen und Waisen. Er liebt alle, die seinen Willen tun, aber diejenigen, die ihn missachten, führt er in die Irre. Der HERR regiert für immer und ewig! Amen

Herzliche Grüße allen, die ein Herz haben für die "Verdammten dieser Erde", für die Geknechteten und Gequälten, die Rechtlosen und Getretenen, die für sie zu Gott beten und vor den Menschen nicht schweigen.

Hans Löhr

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