Predigt zu den Seligpreisungen
Liebe Freunde,
Liebe Freunde,
im Juni war ich mit einer Gruppe von 16 Personen in Israel und Palästina. Und wieder hat mich dieses Land fasziniert wie schon zuvor, besonders der Berg der Seligpreisungen am Nordufer des Sees Genezareth. Oben steht eine Kirche, die vom katholischen Orden der Franziskanermönche gebaut worden ist. Drumherum hat man einen schönen Park angelegt mit Palmen und blühenden Sträuchern. Trotz der vielen Touristen ist das immer noch eine Oase des Friedens, wenn man von oben auf den See hinunterblickt und die Dörfer, die an seinem Ufer liegen.
Hier oben also soll es gewesen sein. Hier soll Jesus seine berühmte Bergpredigt gehalten haben. Am Anfang seiner Predigt stehen die acht Seligpreisungen. Für mich sind sie Worte aus einer anderen Welt und doch alles andere als weltfremd. Jesu Zuhörer damals waren einfache Leute aus den Dörfern: Fischer, Bauern, Arbeitslose, Handwerker, Bettler, Gesunde und viele Kranke, Junge und Alte, Traurige und Fröhliche. Solche, die keinen Einfluss hatten auf das Weltgeschehen, die eher am Rand der Gesellschaft standen. Für sie war Jesus da. Und er sagte ihnen, wer nach seinen Maßstäben glücklich und selig genannt werden kann.
Seine Worte wirken bis heute nach. Wenn ich mir zum Beispiel einen Kaffee mache, frage ich normalerweise meine Frau, ob sie auch eine Tasse will. Aber vor kurzem habe ich mich über sie geärgert – ja, das soll‘s geben –, und nur so viel Kaffeepulver in den Filter gegeben, wie für meine Tasse nötig war. ‚Soll sie sich doch ihren Kaffee selber machen‘, dachte ich mir. Aber dann dachte ich mir auch, dass ich doch am Sonntag über die Seligpreisungen predigen würde und damit auch über die innere Einstellung, von der Jesus spricht. Da habe ich mich ein bisschen geschämt und schnell noch weiteres Kaffeepulver hinzugetan, damit es wieder für zwei Tassen reicht. Gut, das ist nur eine Kleinigkeit. Und auch das, woran ich mich bei der Vorbereitung erinnert habe, ist eine Kleinigkeit: Als ich Pfarrer in Röthenbach an der Pegnitz war, sagte mir ein junger Mann, dass diese Worte von Jesus seinen Vater so sehr berühren, dass er Tränen in den Augen hat, sooft er sie hört. Doch, die Seligpreisungen wirken bis heute, oft nur im Kleinen, aber sie wirken.
Auch für mich sind es Worte aus einer anderen Welt. Sie sind das Gegenprogramm dazu, was sonst hier gilt. Sie stellen die herrschende Meinung infrage, dass alles immer noch schöner, schneller, reicher, größer und attraktiver sein muss. Dass nur der etwas gilt, der leistungsstark und durchsetzungsfähig ist. Die Seligpreisungen sind Sand im Getriebe unserer Zeit.
Gleich die erste Seligpreisung ist die wichtigste, wenn Jesus sagt: »Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich« In diesem Wort geht es um den Kern des Glaubens. Aber wie ist das zu verstehen? In unsere heutigen Sprache heißt es: „Selig, ja glücklich zu preisen ist, wer mit leeren Händen vor Gott steht. Er bekommt alles von ihm.“
Ich werde zu diesem Wort gleich mehr sagen. Doch zuvor will ich die anderen sieben Seligpreisungen auslegen. Jesus spricht hier von der inneren Einstellung, die ein Mensch hat, der selig und glücklich zu nennen ist. Es geht ihm darum, dass ich eine Haltung habe, genauer, dass ich als ein Mensch lebe, der sich von Gott bedingungslos geliebt weiß und ihn und seine Mitmenschen wieder liebt.
Doch dazu bin ich nur ansatzweise in der Lage. Immer wieder kommen mir meine negativen Gefühle in die Quere und meine persönlichen Interessen. Jesus aber konnte das. Er ist der Mensch der Seligpreisungen. Auf ihn trifft in erster Linie zu, was sie sagen. Darum schaue ich auf ihn und nehme ich mir ihn als Beispiel, wenn er sagt:
»Selig sind, die Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden«. Damit sind gemeint, denen ein persönliches Leid das Herz beschwert, aber auch die, die unter dieser heillosen Welt leiden, unter Zerstörung und Krieg, Flucht und Unterdrückung. Nein, das Böse wird nicht das letzte Wort haben, sondern Gott.
»Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.« Im Umkehrschluss heißt das: Die werden die Erde verlieren und damit auch ihre Lebensgrundlage, die sie in maßloser Gier ausbeuten, sich ihrer mit Gewalt bemächtigen und rücksichtslos sind gegenüber Mensch und Tier. Doch die Sanftmütigen und Behutsamen sollen eine Zukunft haben.
»Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.« Gerecht, liebe Freunde, sind wir, wenn wir einander gerecht werden. Wenn wir verstehen, warum der andere so ist, wie er ist, ihn so annehmen wie er ist und ich ihn nicht gleich wieder so haben will, wie ich das möchte. Letztlich aber wird nur Gott dir und mir gerecht, weil nur er uns durch und durch kennt und versteht.
»Selig sind, die barmherzig sind; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.« Damit spricht Jesus von denen, die ein Herz haben für andere, für Menschen wie für Tiere. Die Mitleid spüren. Die warmherzig und nicht hartherzig sind. Gott hat auch für sie ein Herz.
»Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.« Als Kind habe ich gebetet: „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ Heute weiß ich, dass ich mich nicht selbst weißwaschen kann. Ich lebe von Gottes Vergebung, ständig. Das befreit mich, dass ich ohne schlechtes Gewissen in seiner Gegenwart sein und ihm unter die Augen treten kann.
»Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.« Zum Frieden fähig ist, wer selbst Frieden hat und mit Gott in Frieden lebt. Wer auf Gewalt verzichtet und sich für Versöhnung einsetzt. Ein solcher Mensch ist, so sagt es Jesus, ein Sohn oder eine Tochter des Höchsten.
»Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.« Hier geht es nicht um die Gerechtigkeit der Menschen und schon gar nicht um meine Selbstgerechtigkeit. Es geht darum, dass ich Gott recht bin. Und das bin ich, wenn ich alles von ihm erwarte und mich nicht mehr abhängig mache vom Willen der Menschen oder meiner Kraft. Dann hat niemand mehr Macht über mich, weder die Gesellschaft noch die Politik noch die Kirche oder sonst wer.
Dieser Glaube ist das Ende aller
Religion, aller Versuche, auf Gott in irgendeiner Weise einzuwirken, ihn für meine Zwecke einzuspannen. Ich kann
nichts tun, um Gott recht zu sein, weil er das längst für mich getan hat. Alles, was ich im Glauben tue wie Beten, Gottesdienste besuchen, in der Bibel lesen, Lobpreislieder
singen, Kerzen anzünden, wallfahren, beichten, Weihnachten und Ostern feiern dient nur dem Zweck, mich zu vergewissern, dass Gott in Bethlehem und auf Golgatha bereits alles für mich getan hat. Was auch immer man in der evangelischen und in der katholischen Kirche so tut, muss dazu dienen, mich
zu vergewissern, dass ich Gott recht bin, dass er mich liebt,
dass er mir gibt, was ich brauche und ich ihm dafür danke.
Jesus hat mit dieser Seligpreisung den ganzen Religionsbetrieb infrage gestellt. Seitdem sind die Hohenpriester und Bischöfe, die Theologen und Pfarrer nicht mehr nötig, um zwischen Gott und den Menschen zu vermitteln. Sie haben keine Macht mehr über die Seelen, sondern sollen den Menschen auf ihrem Glaubensweg dienen und sie begleiten. Diese Entmachtung des Tempels und der Kirche hat Jesus das Leben gekostet. Wer gibt schon kampflos seine Privilegien auf und seine Macht ab? Darum hat man ihn gekreuzigt und die bekämpft, die ihm darin gefolgt sind und folgen.
Und damit zurück zur ersten Seligpreisungen, der wichtigsten von allen: »Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.« Ja sie sind glücklich und selig zu preisen. Und warum?
[HL stützt sich auf ein Paar Krücken]
Wie, liebe Freunde, kann ich mit leeren Händen vor Gott stehen, wie also kann ich Jesus zufolge glücklich und selig sein, wenn ich mich an Krücken festhalten muss und mich so durchs Leben schleppe? Aber muss ich das wirklich? Sind es nicht meine Angst und mein Stolz, woran ich mich klammere?
Die Antwort auf diese Fragen gibt mir Gott selbst durch die Bibel. Er sagt: „Lass alles los, wenn du zu mir kommst. Unter den Menschen magst du erfolgreich sein mit deinen Leistungen, mit deiner Frömmigkeit, mit deinem Lebenswandel. Mich beeindruckst du damit nicht. Was wolltest du mir denn geben, das ich dir nicht ohnehin gegeben habe? Du hast nichts in diese Welt gebracht. Darum wirst du auch nichts hinausbringen. Nackt bist du aus dem Leib deiner Mutter gekommen. Nackt wirst du wieder dahinfahren. Nackt stehst du vor mir. Und wenn du das schönste Kleid dieser Welt anziehst, ich beachte es nicht. Ich bin es, der dich kleidet mit meiner Freundlichkeit und Güte. Ich bin es, der deine leeren Hände füllt mit allem, was du brauchst. Ich bin es, der dich führt und trägt, der dich segnet und behütet, der dir vergibt und dich rettet. Ich bin so, weil ich Gott bin. Ich rechne nicht auf und rechne nicht ab und rechne dir nicht deine Versäumnisse vor wie Menschen tun. Ich liebe dich, bedingungslos, ohne dass du etwas dafür tun könntest.“
So, liebe Freunde, so kann ich, so kannst du deine religiösen und moralischen Krücken wegwerfen [HL wirft die Krücken weg] und aufrecht vor Gott stehen, mit leeren Händen und einem leeren Herzen. Er wird deine Hände mit Segen füllen und dein Herz mit Liebe. Damit dies geschehen kann, glaube ihm, was er sagt und vertraue, dass er‘s auch tut.
Und dann sage ihm:
Gebet: „Ja, Herr, so ist es. Ich lasse los, was mir in dieser Welt Sicherheit verspricht und halte mich an dich, denn du hältst mich. Du hältst mich in meinen guten und in meinen schlechten Zeiten. Ich weiß ja, dass ich in einer Welt voll Schatten und Licht lebe zu der auch das Leiden gehört. Darum lasse ich meine falschen Sicherheiten los und hänge ich mich an dich. So bin ich frei und unbeschwert und lebe die Zeit, die du mir gibst, voll Zuversicht. Du bist mein Licht. Wovor sollte ich mich fürchten? Du bist die Kraft meines Lebens. Wovor sollte ich Angst haben? Ich bin dein und du bist mein. Das bleibt, was immer auch kommen mag.“
Das, liebe Freunde, ist aus meiner Sicht evangelischer Glaube. Er gipfelt in dem Satz, den Martin Luther am Ende seines Lebens sagte: »Wir sind Bettler, das ist wahr.« Ja, vor Gott sind wir Bettler. Vor ihm stehen wir mit leeren Händen. Ihm können wir nichts geben. Denn alles, was wir sind und haben, kommt von ihm. Amen
Musik
Liebe Freunde, ich möchte mit euch auf die Seligpreisungen antworten, indem wir gemeinsam das Glaubensbekenntnis von Martin Luther sprechen:
»Ich glaube an Gott, den Vater, den allmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde.
Ich setze mein Vertrauen in keinen Menschen auf Erden, auch nicht in mich selbst,
auch nicht in meine Kraft, Können, Besitz, Frömmigkeit oder was ich sonst habe.
Ich wage und setze mein Vertrauen allein in den unsichtbaren, unbegreiflichen, einzigen Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat und allein über alles Geschaffene herrscht.
Ich wage und setze mein Vertrauen allein in den unsichtbaren, unbegreiflichen, einzigen Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat und allein über alles Geschaffene herrscht.
Ich glaube nichtsdestoweniger an Gott,
ob ich auch von allen Menschen verlassen oder verfolgt wäre.
ob ich auch von allen Menschen verlassen oder verfolgt wäre.
Ich glaube nichtsdestoweniger an Gott,
ob ich auch arm, unverständig, ungebildet und verachtet bin oder nichts besitze.
ob ich auch arm, unverständig, ungebildet und verachtet bin oder nichts besitze.
Ich glaube nichtsdestoweniger an Gott, ob ich auch ein Sünder bin.
Ich vertraue beständig auf ihn, wie lange er auch auf sich warten lässt.
Weil er denn Gott ist, so weiß er, wie er's mit mir aufs Beste machen soll.
Weil er denn Gott ist, so weiß er, wie er's mit mir aufs Beste machen soll.
Und weil ich daran nicht zweifle und setze mein Vertrauen auf ihn, so bin ich gewiss sein Kind und mir wird geschehen, wie ich glaube.« Amen
Revidiert und gekürzt von Hans Löhr, Weimarer Ausgabe
Band 6 S.215, 23-216, 29
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