Mittwoch, 1. Juni 2022

Der andere Richter hl

Losung: Der HERR wird richten die Völker. Psalm 7,9 

Lehrtext: Wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christi erscheinen, damit ein jeder empfange, was seinen Taten entspricht, die er zu Lebzeiten getan hat, seien sie gut oder böse. 2.Korinther 5,10

Liebe Leserin, lieber Leser,

um es kurz zu machen, beide Bibelworte heute bringe ich mit dem Evangelium, mit der guten Nachricht von Gottes Barmherzigkeit und Vergebung in Jesus Christus nicht zusammen. Es sei denn, ich halte daran fest, dass Gott seine eigene Gerechtigkeit hat und auch Jesus Christus ein anderer Richter ist als menschliche Richter sind.

Damit werde ich allerdings dem Verfasser von Psalm 7 genauso wenig gerecht wie dem Apostel Paulus. Beide haben ein antikes, jüdisches Verständnis von Gott bzw. von Christus als Richter. Paulus geht es offenkundig darum, dass diejenigen, die Böses getan haben, auch empfangen müssen, „was ihren Taten entspricht“. Das läuft dann, wie bei uns Menschen, entweder auf Belohnung oder Strafe hinaus.

Drohung mit Gericht

Im Mittelalter war über dem Eingang romanischer Kirchen demzufolge Christus als Richter abgebildet, der die Guten und Frommen belohnt und die Bösen und Gottlosen in die Hölle schickt. Diese Bilder haben den Glauben von Christen in ganz Europa jahrhundertelang geprägt. Ihr Zweck und auch der Zweck des Lehrtextes ist eindeutig: Christen sollten mit solchen Drohungen beim rechten Glauben gehalten und zu einem Leben im Sinn der Kirche verpflichtet werden. Nur hat das nicht funktioniert. Im Gegenteil. Solche Drohbilder und Drohsätze stoßen viele ab. Und diejenigen, die sich davon beeindrucken lassen, schleppen sich jahrelang mit einem schlechten Gewissen durchs Leben.

Nun gut, wenn man meint, von Gott und Christus als Richter sprechen zu müssen, dann muss auch das Besondere zur Sprache kommen, das beide ausmacht. So heißt es im Psalm 103: »Der Herr vergibt dir alle deine Sünde und heilt alle deine Gebrechen. Er erlöst dein Leben vom Verderben und krönt dich mit Gnade und Barmherzigkeit.«

Im Alten Testament gilt das für die, „die Gott fürchten“. Jesus aber ist gerade für die gekommen, die Gott nicht fürchten, die ihn vielmehr los geworden sind und ohne ihn leben müssen. Ihnen verkündigt er Gottes Liebe und Vergebung. Und sie gilt nicht nur den reuigen und bekehrten Sünder und Sünderinnen, sondern sogar seinen Feinden. Niemand also ist von Gottes Liebe und Vergebung ausgeschlossen. Niemand. Man schließt sich nur selbst davon aus, wenn man sie nicht annimmt und auf den barmherzigen Gott nicht vertraut.

Gebet: Herr, du kennst mich und weißt, was für ein Mensch ich bin. Du kennst meine Grenzen und meine Schwächen. Du weißt, dass ich versage und schuldig werde. Doch dafür bestrafst du mich nicht, sondern richtest mich auf und gibst mir im Glauben neue Kraft. Danke

Herzliche Grüße,

Ihr / dein Hans Löhr

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6 Kommentare:

  1. Danke, dass Sie den Psalm 103 noch einmal so hervorheben. Wir haben ihn entweder nicht gelernt oder falsch verstanden. Er gilt wirklich für uns alle!
    Gott sei Dank, Lob und Ehre
    Elisabeth

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  2. Nach meiner Kenntnis unterscheidet sich das hebräische Verständnis von „Richter“ im AT von dem des Paulus, das scheinbar mehr vom römischen Reich und der „Justitia“ geprägt war.
    Das Buch „Richter“ erzählt gerade nicht von Menschen, die über anderen zu Gericht saßen und unparteiisch Urteile sprachen, sondern von Gott Berufenen, die für das Volk Partei ergreifen, es retten und zurechtbringen.
    Auch die Aussage, dass Gott „ein Richter der Witwen und Waisen“ ist, kann ich nicht anders verstehen, als dass er für sie Partei ergreift, ihr Anwalt und Retter ist und nicht „Richter“ im Sinne der römischen Rechtsprechung.
    In diesem Sinne ist Jesus Christus für mich der Richter, der zugleich rettet und zurechtbringt.
    Das ist für mich kein Widerspruch zum Evangelium, sondern ist Evangelium.

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  3. Ich empfehle den Vortrag von Siegfried Zimmer auf worthaus.org: Gibt es einen strafenden Gott? Da werden vom historisch, antiken Hintergrund Begriffe erklärt und dass Gott immer ein Gott der Liebe bleibt, auch im Gericht....

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  4. In meiner schwäbischen Heimat sagt man oft statt "etwas reparieren" aucj "etwas richten".
    In diesem Sinne verstehe ich Christus als meinen Richter, der auch repariert, was ich vermasselt habe.
    Das ist für mich ein ganz wichtiger Gedanke, denn es würde mir sehr schwerfallen, darauf zu vertrauen, dass mir vergeben wird, wenn ich gleichzeitig befürchten müsste, dass sich nieman um diejenigen kümmert, denen ich leider etwas schuldig geblieben bin.

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  5. Vielen Dank für die aufschlussreichen Kommentare.

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  6. Das sieht nach einer offenen Stelle im heutigen Christentum aus. Der Richtergott und der Richter Christus passen nicht mehr ins moderne Bild, auf die eine oder andere Art.

    Ich habe gerade die Biografie von Esther Bejarano gelesen, einer KZ-Überlebenden, die wegen des Erlebten und der offenkundigen Ungerechtigkeit nicht mehr an Gott glaubt.

    Solange man auf eine göttliche Strafe für offensichtlich Schwerverbrecher, die offenbar ungeschoren davonkamen, hoffen durfte, hatte die Kirche noch einen wichtigen Trumpf, ein in gewisser Weise tröstliches Erklärungsmuster. Heute gibt es das nicht mehr, und es fehlt manchmal.

    Andererseits: was hieße das konkret? Unter einer Kollektivstrafe nach Psalm 7,9 kann ich mir noch etwas vorstellen, möchte sie aber als nach dem Krieg geborener Deutscher nicht erleben, fände sie auch nicht gerecht.

    2. Kor 5,10 dagegen droht eine Individualstrafe an. Die wäre gerecht und gäbe den Opfern eine gewisse Genugtuung, würde aber nicht zu den gängigen freundlichen Christusbildern passen. Außerdem ist damit in der Vergangenheit zu viel Schindluder getrieben worden. Ganz davon abgesehen hätte ich keine Vorstellung, wie bitteschön das denn gehen sollte.

    Das Thema bleibt also wohl offen und ungelöst.

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