Sonntag, 4. Februar 2024

Barmherzigkeit vor Gesetz. Gnade vor Recht. hl

Losung: Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Jesaja 50,8 

Lehrtext: Jesus sagte zu ihr: Frau, wo sind sie? Hat keiner dich verurteilt? Sie sagte: Keiner, Herr. Da sprach Jesus: Auch ich verurteile dich nicht. Geh, und sündige von jetzt an nicht mehr! Johannes 8,10-11 

Liebe Leserin, lieber Leser, 

warum brechen Frauen die Ehe? Da gibt es viele Gründe. Einen legt der Philosoph Friedrich Nietzsche dem persischen Weisen Zarathustra in den Mund: »So sprach mir ein Weib: "Wohl brach ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe mich!" *. Warum jene Frau in Jerusalem (Lehrtext) die Ehe gebrochen hatte, wissen wir nicht. Vielleicht war es so, wie Nietzsche schrieb, vielleicht anders. Doch lies selbst die Geschichte aus dem Johannesevangelium, Kapitel 8:

Jesus und die Ehebrecherin

Schon früh am nächsten Morgen war Jesus wieder im Tempel. Viele Menschen drängten sich um ihn. Er setzte sich und lehrte sie. Da schleppten die Schriftgelehrten (Theologieprofessoren) und Pharisäer (Morallehrer) eine Frau heran, die beim Ehebruch überrascht worden war. Sie stellten sie in die Mitte, wo sie von allen gesehen werden konnte, und sagten zu Jesus:
»Lehrer, diese Frau wurde auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt. Im Gesetz hat Mose uns befohlen, eine solche Frau zu steinigen. Was meinst du dazu?« Sie fragten dies, um Jesus auf die Probe zu stellen und ihn dann anklagen zu können.
Aber Jesus bückte sich nur und schrieb mit dem Finger in den Sand. Als sie nicht lockerließen, richtete er sich auf und sagte: »Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.«
Dann bückte er sich wieder und schrieb weiter in den Sand. Als die Ankläger das hörten, gingen sie einer nach dem anderen davon – die älteren zuerst. Schließlich war Jesus mit der Frau allein. Sie stand immer noch an der gleichen Stelle.
Da richtete er sich erneut auf und fragte sie: »Wo sind jetzt deine Ankläger? Hat dich denn niemand verurteilt?« »Nein, Herr«, antwortete sie, »keiner«. »Ich verurteile dich auch nicht«, entgegnete ihr Jesus. »Du kannst gehen, aber sündige nun nicht mehr!«

Gegen den Strich gebürstet

Bei dieser Geschichte kann ich Jesus ins Herz schauen. Sie prägt entscheidend mein Bild von ihm. Ob auch der letzte Satz von ihm selbst stammt, ist zweifelhaft. Im Grunde genommen ist er überflüssig, weil die Frau, die er vom Tod errettet, dankbar genug ist, um selbst zu wissen, was sie tut. Sie braucht nicht noch extra eine moralische Ermahnung obendrauf. Aber solche moralischen „Ergänzungen“ zu Geschichten von ihm und seinen Gleichnissen kommen in den Evangelien öfter vor. Auch die Evangelisten waren Kinder ihrer Zeit. Wie dem auch sei, wieder einmal bürstet Jesus die Erwartungen der Menschen, insbesondere der Autoritäten, gegen den Strich. Gott hat ihn nicht dazu Mensch werden lassen, um unsere Vorurteile und Gesetze zu bestätigen, sondern zu korrigieren.

Christen sind Anarchisten der Barmherzigkeit

Gestern habe ich den bedeutendsten Theologen des letzten Jahrhunderts, Karl Barth, mit dem Satz zitiert: »Christen sind Partisanen des lieben Gottes«, sie stellen die bestehenden Verhältnisse infrage, wenn Menschen unter ihnen leiden müssen.
Heute ergänze ich: »Christen sind Anarchisten der Barmherzigkeit«. Sie beugen sich nicht unter staatliche und kirchliche Vorschriften, wenn diese unbarmherzig sind. Ihnen geht es nicht um politische Parteien und deren Programme, nicht um staatliche Verfassungen und Gesetze. Sie erkennen nur eine einzige Autorität über sich an, der sie verpflichtet sind und nach der sie sich richten: Gott. Darum heißt es auch in der Bibel: »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen« (Apostelgeschichte 5,29). Selbstverständlich achten Christen auch staatliche Vorschriften und Gesetze und respektieren als Mitglieder einer Kirche deren Regelungen. Aber die Grenze des Gehorsams ist da erreicht, wo die Unbarmherzigkeit, die Gnadenlosigkeit, die Willkür, die Ausgrenzung** und die Missachtung der Menschenwürde beginnt.

Mein Vorbild

Dass wir „Anarchisten der Barmherzigkeit“ sind, scheint zunächst starker Toback zu sein, eine Provokation, die auf vorschnelle Ablehnung stößt. Aber genau genommen ist Jesus auch in dieser Hinsicht mein Vorbild. Und das ist er nicht zuletzt dadurch, wie er mit jener Ehebrecherin umgegangen ist.

Er ist es, »der auch mich gerecht spricht«, unabhängig von den Meinungen und Gesetzen der Menschen, auch meinen eigenen. »Wer will schon mit mir rechten?« (Losung)

Gebet: Herr, woran soll ich mich schon orientieren, um mich in dieser Zeit und Welt zurechtzufinden? Ich brauche dazu keine Medien mehr und keine Meinungsmacher, die sich selbst für gerecht und unfehlbar halten. Ich schaue auf dich. Du bist mein Maß und mein Ziel, meine Hoffnung und meine Freude, mein Licht und meine Zuversicht. Amen

Herzliche Grüße

Ihr / dein Hans Löhr 

* Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, III, Von alten und neuen Tafeln 24, 1874
** Ausgrenzung ist das deutsche Wort für Remigration 

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»Die Bibel ist so voller Gehalt, dass sie mehr als jedes andere Buch Stoff zum Nachdenken und Gelegenheit zu Betrachtungen über die menschlichen Dinge bietet.« J.W. von Goethe aus: „Dichtung und Wahrheit“
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1728 erschien in Herrnhut die erste Tageslosung, ein Bibelwort aus dem Alten Testament, das für jeden Tag des Jahres ausgelost wird. Dazu wird der Lehrtext, ein passendes Bibelwort aus dem Neuen Testament, ausgesucht. Inzwischen erscheinen die täglichen „Losungen“ in etwa 50 Sprachen.
Ich lege Losung und Lehrtext aus, weil einer Untersuchung zufolge das Nachdenken über Bibelworte den Glauben am stärksten wachsen lässt.
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