Liebe Freunde,
das Thema der
Weihnachtspredigt heißt „Dornen und Rosen“. Heute Vormittag habe ich deswegen
meine Tochter gebeten, in einem Blumengeschäft eine langstielige, rote Rose zu
besorgen. Ich wollte sie für diese Predigt haben. Doch sie sagte mir: „Papa, es
ist doch Lockdown. Die Geschäfte sind zu, auch die Blumenläden.“ Mir fällt es
immer noch schwer, mich an diese Ausnahmesituation zu gewöhnen.
Wenigstens Gott kennt keinen Lockdown mit Ausgangssperre. Er
ist Tag und Nacht für dich da so wie es in der Bibel heißt: "Siehe, unser
Hüter schläft noch schlummert nicht." Für ihn gelten auch keine
Abstandsregeln. Er ist dir nah, ob du gesund bist oder krank. Er ist jetzt
auf den Intensivstationen, in den Heimen, in den Gefängnissen. Er ist jetzt
hier bei uns, wenn wir die Geburt seines Sohnes Jesus Christus feiern. Und er
ist auch dann noch bei dir, wenn du nachher zu Hause bist.
Heuer können wir nicht einmal mehr am Heiligen Abend in der Kirche
Weihnachten feiern. Und selbst hier im Freien dürfen wir nicht gemeinsam unsere
alten, geliebten Weihnachtslieder laut singen. So also stehen wir hier, wo es
dunkel, feucht und kalt ist. So also feiern wir, dass Gott in Jesus Mensch
geworden ist, dort, wo es dunkel, feucht und kalt war, in der Nacht von
Bethlehem, in einem Viehstall.
Und
wie ist Gott Mensch geworden? So wie jeder von uns geboren wurde: mit einem
Schrei. So wie ein Neugeborenes schreit, so auch Jesus als er auf die Welt
kam. Ich habe diesen Schrei gehört, nicht mit meinen Ohren, sondern ganz
tief in mir. Ich habe gehört, was Gott aus dem Mund des Kindes in der
Futterkrippe gesagt hat und was er heute wieder sagt. Das sind seine Worte:
„Höre,
du Menschenkind, ich bringe dir gute Nachricht. Niemand soll mehr
hoffnungslos sein. Kein Mensch wird verloren sein. Ich rette jeden einzelnen
aus seiner Lebensangst, aus seiner Todesangst, auch dich. Denn ich bin dein
Gott. Und du bist mein Kind. Ich schenke dir meine bedingungslose Liebe, nicht
weil du sie verdienst, sondern weil du sie brauchst. Mit ihr heile ich deine
Wunden und lindere deine Schmerzen. Dir bleibe ich treu.“ Das sagt Gott aus dem
Mund des Jesuskindes.
Und
die Engel stimmen ein und singen: „Ehre sei Gott in der Höhe
und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. Friede ihren
Herzen! Friede ihren Hütten! Friede den Völkern!“
Und
der Weihnachtsengel sagt zu denen in Kälte und Finsternis, zu dir und
zu mir:
„Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkündige euch große
Freude für alle. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus,
der Herr.“ Fürchtet euch nicht in euren Städten und Dörfern. Fürchtet euch
nicht vor den Problemen der Gegenwart und nicht vor dem, was die Zukunft
bringt. Glaubt, was ihr singt: „Christ, der Retter ist da!“
Und
als dieses Kind im Stall zum ersten Mal die Augen öffnet, wird es hell mitten
in der Nacht von Bethlehem, und die Finsternis weicht dem Licht.
Was
für ein Geheimnis, liebe Freunde: Gott selbst kam in Jesus mit dem Schrei eines
winzigen, schutzbedürftigen Kindes auf die Welt. Unsere Menschenbabys sagen mit
ihrem Schreien: „Hilf mir, liebe mich, schütze mich!“ Doch das Jesuskind sagt
damit: „Ich liebe dich. Ich schütze dich. Ich helfe dir auch.“
Aus diesem Geheimnis
ist ein altes Weihnachtslied entstanden. Es heißt:
„Maria durch ein
Dornwald ging, Kyrieleison,
der hat in sieben Jahrn kein Laub getragen. Jesus und Maria.
Was trug Maria unter
ihrem Herzen? Kyrieleison
Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen, das trug Maria unter ihrem Herzen. Jesus
und Maria.
Da haben die Dornen
Rosen getragen. Kyrieleison.
Als das Kindlein durch den Wald getragen, da haben die Dornen
Rosen getragen. Jesus und Maria.“
[Einspielung Klick: „Maria durch ein Dornwald ging“]
Was das Lied sagt,
klingt wie ein Märchen. Ich sehe Maria vor mir, wie sie durch ihren Dornwald
geht.
· Ich fühle ihre Scham
vor den Menschen, dass sie ein uneheliches Kind zur Welt bringen würde.
· Ich fühle ihre Sorge
auf dem Weg nach Bethlehem, wo sie denn mit dem Kind niederkommen könnte.
· Ich fühle ihre
Bedenken, ob das Kind wohl gesund auf die Welt kommen werde.
· Ich spüre ihre Angst,
was wohl werden wird mit ihr und diesem Kind.
Diese Dornen können so tief verletzen: die Scham, die Sorgen, die Bedenken, die Angst. Und der Dornwald kann so finster sein. Er wächst in einer Welt, die neben ihren schönen Seiten auch Hunger, Krieg und Seuchen kennt. Durch diese Welt geht Maria, durch eine Welt, in der Menschen einsam sind und krank, Not leiden und Gewalt.
Und du hier, du hast deinen eigenen Dornwald. Du
kennst die Dornen, die dich verletzen und dir wehtun, auch und gerade in dieser
ungewissen Zeit.
Sieben
Jahre, so sagt das Lied, hat der Dornwald kein Laub getragen. Sieben Jahre, das
meint eine lange Zeit. „Über sieben Brücken musst du gehen“, singt Peter
Maffay, „sieben dunkle Jahre überstehn. Siebenmal musst du die Asche sein, aber
einmal auch der helle Schein.“
Niemandem,
liebe Freunde, bleiben solche dunklen Erfahrungen erspart. Unsere Wege, dein
und mein Lebensweg, sind mal gerade und eben, doch manchmal auch steinig und
dornenreich. Und dann heißt es: „Da musst du durch“. Und wenn du auch noch so
nach einem Ausweg suchst, manchmal gibt es ihn einfach nicht. Dann musst du
allen Mut zusammen nehmen und einen Schritt vor den anderen setzen.
Maria
ging nicht allein durch den Dornwald. Unter ihrem Herzen trug sie „ein kleines
Kindlein“, wie es in Vers zwei heißt. So hatte sie in sich eine Kraft und ein
Licht. Sie trug das Kind in ihrem Leib, von dem sie schon wusste, dass es Jesus
heißen würde, auf Deutsch: „Gott hilft!“ Mit diesem Gotthilft ging
sie tapfer ihren schweren Weg. So trug sie das Kind durch unsere Welt und
ahnte, dass Jesus selbst einmal diese Welt mit ihren Dornen tragen würde, er,
der König mit der Dornenkrone.
Und
da geschah es: Die Dornen trieben aus und begannen zu blühen. Ja, der Wald
war noch immer ein Dornwald. Die Dornen noch immer Dornen. Zeichen für
alles, was in diesem Leben schmerzt. Aber nun blühten rote Rosen, Zeichen
göttlicher Liebe. Da wurde es Maria leicht ums Herz und sie
setzte zuversichtlich ihren Weg fort.
Kannst auch du dieses Bild vor dir sehen, wie das
Weihnachtslicht durch die verschneiten Ranken bricht und plötzlich Rosen
aufblühen, überall und über und über? Wie sie ihren Duft verströmen und das
Herz erfreuen? Ja, dieses Bild kannst auch du sehen. Du kannst es dir
vorstellen. Präge es dir ein, damit es in dir bleibt.
Und
nun wisse: So dornenreich dein Weg auch sein mag, immer blühen auch Rosen für
dich. Der Glaube lässt sie aufblühen, die Hoffnung in deinem Herzen und das
Gottvertrauen:
Du kannst glauben, dass Gott mit diesem Jesuskind in unsere
Welt gekommen ist, damit niemand einsam und verloren sein muss. Bei ihm gibt es
keine Verlorenen und keine Verlierer.
Du kannst darauf vertrauen, dass in der Krippe seine
bedingungslose Liebe für dich liegt, die dich trägt und froh macht.
Und du kannst hoffen, dass es noch eine Zukunft für dich
gibt, eine gute Zeit, einen hellen Schein.
Das, liebe Freunde, das ist dein Weihnachtsgeschenk. Nimm es an und mach es dir zu eigen. Nimm es mit nach Hause und hinüber in das neue Jahr. Und vergiss nicht: Gott lässt aus Dornen Rosen blühen - für dich. Amen
Frohe und gesegnete Weihnachten!
Ihr / dein Hans Löhr
(Predigt in den Christvespern am Heiligen Abend)
Danke für diese wunderschöne, berührende und auch beruhigende Predigt. Marion
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