Predigt am Ewigkeitssonntag 2012
in Sommersdorf und in Thann von Hans Löhr
in Sommersdorf und in Thann von Hans Löhr
Liebe Angehörige der Verstorbenen, liebe Gemeinde,
im Frühjahr werden es drei Jahre, dass meine beiden Eltern kurz hintereinander
verstorben sind. Sie waren hochbetagt. Mutter war zuletzt pflegebedürftig. Wir
waren also vorbereitet, und ich war im Grunde meines Herzens auch
einverstanden, dass sie nun nach einem langen Leben gehen konnten. Trotzdem
bleibt der endgültige Abschied schmerzvoll. Und noch immer denke ich, wenn ich
mir ihre Fotos anschaue: „Das kann doch nicht sein, dass sie wirklich tot sind,
dass ich sie nie wieder besuchen, nie wieder sprechen kann." Immer noch
finde ich ihre Spuren. Das Elternhaus erinnert an sie, der Garten, den sie
solange liebevoll gepflegt haben und ab und zu fällt mir ein Zettel in die Hand
mit der Schrift von Vater oder Mutter. Das gibt mir dann immer einen kleinen
Stich ins Herz.
Bei Euch, die ihr heute am Ewigkeitssonntag in den Gottesdienst gekommen
seid, sind es erst Wochen oder Monate her, dass Ihr von einem lieben Menschen
habt Abschied nehmen müssen. Alles ist noch ziemlich frisch, auch der Schmerz.
Und, so denke ich mir, auch Ihr werdet immer wieder einmal ungläubig den Kopf
schütteln und sagen: »Das kann doch nicht sein!«. Aber es ist so. Gott hat das
Leben gegeben. Er nimmt es auch wieder. Das gilt für unsere Toten und auch für
uns. Unter seinen Willen müssen wir uns beugen, auch wenn wir ihn vielleicht
nicht verstehen, auch wenn es manchmal weh tut.
Unsere Aufgabe ist es, in der Zeit der Trauer den Verstorbenen
loszulassen und wieder herzugeben. Dazu gehört auch, dass wir manch quälenden Gedanken
an Gott abgeben. Alles »Ach hätte ich doch noch dies und das gesagt oder getan,
ach wäre ich doch so und so gewesen«, jedes schlechte Gewissen oder
Schuldgefühl – all das nützt jetzt nichts mehr. Darum bringt es auch nichts,
wenn Ihr Euch weiter damit belastet. Gebt es ab. Gebt es Gott. Er hat auch da
noch Möglichkeiten, wo unsere zu Ende sind. Er kann alles zu einem guten Ende
bringen, auch das, was offen geblieben ist, wo wir gescheitert sind, wo etwas
zerbrochen war. Vertraut darauf und zweifelt nicht.
Jetzt im Gottesdienst können wir ihn um Seelenfrieden und Trost bitten.
Hier vergewissern wir uns gemeinsam im Glauben, dass unsere Toten in seiner
Hand geborgen sind. Draußen, auf dem Friedhof, liegt die sterbliche Hülle
derer, die wir dort bestattet haben. Aber, so ist es unser Glaube, Gott wird
vollenden, was er im Leben begonnen hat. Er wird durch Christus vergeben, was
an Versagen und Schuld übrig geblieben ist. Das einzige, was Du dazu beitragen
kannst und sollst, ist, dass Du Deinem Gott vertraust.
Hier, in der Kirche, gedenken wir heute in Frieden und Dankbarkeit der
Verstorbenen. Die Bilder der letzten Zeit, die Ihr vielleicht noch vor Augen habt,
das Leiden und Sterben des Verschiedenen, sie sollen allmählich verblassen zu
Gunsten der Erinnerung an das gemeinsame Leben. Nicht das Ende macht einen
Menschen aus, sondern all die Jahre, die er zuvor gelebt hat. Die meisten von
Euch werden Fotos von dem Angehörigen aufgestellt haben, so wie er früher war.
Und das ist gut so. Erinnert Euch an sein Leben und nicht so sehr an sein
Sterben, auch wenn es Euch vielleicht noch so gegenwärtig ist, als sei es erst
gestern gewesen. Und seid dankbar. Seid dankbar, dass ihr diesen Menschen
gehabt habt. Und wenn der Schmerz des Abschieds immer noch brennt, so denkt
daran, dass er ein Zeichen dafür ist, wie lieb ihr ihn gehabt habt.
Hier, im Gottesdienst, fragen wir auch nach den Glauben: Wie können wir
das Leben und Sterben – auch das eigene – im Licht des Glaubens verstehen? Was
hilft uns bei der Erinnerung an die Toten und was beim Gedanken an den eigenen
Tod?
Hören wir dazu, was uns Gott in der Bibel sagt. Da heißt es im Buch des
Propheten Jesaja: »Fürchte Dich nicht,
ich bin mit Dir. Weiche nicht, denn ich bin Dein Gott. Ich stärke Dich, ich
helfe Dir auch. Ich halte Dich mit starker Hand«.
Zum Verständnis dieses Wortes möchte ich Euch eine kleine Begebenheit
erzählen:
Thomas und Jochen wollten den Gipfel der Weißspitze in den Schweizer
Bergen besteigen. Sie waren gut ausgerüstet. Beide hatten schon etwas
Bergerfahrung. Und so machten sie sich guten Mutes auf den Weg. Am Anfang ging
es auch leicht dahin. Doch je länger sie liefen, desto steiler und
anstrengender wurde der Weg. Bald mussten sie ihre Hände zu Hilfe nehmen und
richtig klettern. Etwa eine Viertelstunde unterhalb des Gipfels zogen plötzlich
Wolken auf. Nun konnten sie nichts mehr sehen. Was sollten sie machen?
Umkehren? Aber sowohl der Weg nach unten wie auch nach oben war in dem
Wolken-Nebel nicht zu erkennen. Da entdeckte Thomas ein Seil, das vor ihnen die
steile Felswand hinauf führte. Sie überlegten: können wir dem Seil trauen? Wird
es fest genug sein? Wird es uns beide halten? Und wird es uns auch bis zum
Gipfel führen? Oder sollen wir hier im Nebel ausharren und auf eigene Faust
versuchen irgendwie weiterzukommen? Und was ist, wenn es darüber Nacht wird? Sie
entschieden sich, an dem Seil weiter zu klettern. Es war mühsam, aber sie kamen
voran. Nach einiger Zeit wurde der Nebel immer lichter und die Sonne kam heraus.
Bald hatten sie den Gipfel erreicht. Es bot sich ihnen ein wunderbarer Anblick:
Aus dem Wolkenmeer unter ihnen ragten die Spitzen der Schweizer Berge. Es
durchströmte sie ein Glücksgefühl, und sie waren dem Unbekannten dankbar, der
Ihnen vorausgestiegen und das Seil gelassen hatte.
Diese Geschichte, liebe Freunde, spricht für sich. Sie ist ein Gleichnis
für unser Leben. Jeder von uns steht immer wieder mal vor der Frage: Was gibt
mir Halt? Und vielleicht fragt auch der eine oder der andere: Soll ich das Seil
des Glaubens ergreifen? Ist da einer für mich vorausgegangen, auch durch
Sterben und Tod, auf den Gipfel der Ewigkeit? Kann ich diesem Jesus trauen?
Kann ich, will ich ihm mein Leben anvertrauen? Werde ich mit seiner Hilfe auch
die schweren Wegstrecken bewältigen?
Diese Fragen muss jeder hier für sich selbst beantworten. Wir können
zwar stellvertretend für einander beten, aber nicht stellvertretend glauben. Da
bist du selbst gefragt. Aber ich möchte Dir Mut machen und sagen: Ja, halte
Dich fest am Seil des Glaubens. An ihm kommst Du sicher durchs Leben, durch
gute und durch schlechte Zeiten. An ihm kommst Du zum Ziel. Gott selbst hält
das andere Ende fest und sichert Deinen Weg. Hab keine Angst, er ist mit Dir verbunden
und hilft Dir mit starker Hand.
Wie war das noch? „Das kann doch nicht sein, dass die, von denen wir
Abschied genommen haben tatsächlich tot sind!" – So sagen wir beim Gedenken
an unsere Verstorbenen. Doch, es ist so. Aber was heißt schon tot? Ja, ihre
sterblichen Überreste haben wir bestattet. Aber was da im Grab liegt, das sind
sie nicht wirklich. Ich glaube vielmehr, dass sie uns vorausgegangen sind und
das Ziel erreicht haben. Mit Gottes Hilfe haben sie den letzten steilen Anstieg
geschafft. Nun leben sie in seinem Licht.
Amen
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