Predigt zum Volkstrauertag 2012
von
Hans Löhr
Liebe
Freunde,
Ende
der Sommerferien wollte sich mein Sohn mal den Spitzboden über der Garage des
Sommersdorfer Pfarrhauses ansehen. Man kommt dort nur hinauf, wenn man eine
Leiter holt und dann eine Falltür öffnet. Ich weiß nicht, wie viele Jahre dieser Raum schon nicht mehr betreten worden war. Man findet dort oben altes Heu,
ein paar Dachziegeln, alte Säcke und Bretter. Als er wieder herunter kam, hatte
er so etwas Ähnliches wie einen Gürtel in der Hand und fragte mich, was das
sei. Es war dieses Koppel einer Soldatenuniform aus dem zweiten Weltkrieg mit einem
verrosteten Koppelschloss [Koppel zeigen].
Interessant
ist das Koppelschloss. Nur Marine und Heer der Wehrmacht hatten darauf über dem obligatorischen Adler mit Hakenkreuz die Inschrift: „Gott mit uns“. Offensichtlich wurde das Koppel noch nach Kriegsende einige Zeit
getragen, denn der Adler mit dem Hakenkreuz ist
weggefeilt. Übrig geblieben ist nur noch die Inschrift. Mit den Nazis und ihrem
Hakenkreuz wollte man nun nichts mehr zu tun haben. Aber die Inschrift „Gott
mit uns“ scheint ungefährlich gewesen zu sein. Die hat man gelassen.
Schon
im ersten Weltkrieg haben deutsche Soldaten mit dieser Inschrift auf dem
Koppelschloss gekämpft – und verloren. Und dann im zweiten Weltkrieg noch
einmal. Offenbar lässt sich Gott für kriegerische Zwecke nicht einspannen, waren
doch auf beiden Seiten der Front auch gläubige Menschen, die in ihrer Not und
Angst „Vater unser im Himmel“ gebetet haben. Für wen, mit wem sollte er da sein?
Bei
den Nationalsozialisten war das mit der Inschrift »Gott mit uns« nur ein gemeiner Trick. Man ging davon aus, dass in der Wehrmacht viele Christen waren,
denen Gott und und ihr Glaube etwas bedeuteten. Ihre Kampfmoral sollte mit dieser
Inschrift gestärkt werden. Anders bei der atheistischen SS. Die hatte ein
eigenes Koppelschloss. Da brauchte und wollte man Gott nicht. Er hätte auch bei
den Gräueltaten dieser Mörderbande mit dem Totenkopf an der Uniformmütze
gestört. Also stand auf ihrem Koppelschloss unter dem Hakenkreuz: »Meine Ehre
ist meine Treue«, aber gerade nicht die Treue zu Gott, sondern zu Hitler. Ihm sind
viele fanatische SS-Angehörige bis zum Untergang treu gefolgt und haben dabei
noch zahllose Unschuldige mit in den Tod gerissen wie beispielsweise in den
letzten Kriegstagen drüben in Merkendorf.
Auch
im Predigttext für diesen Sonntag ist von Treue die Rede. »Sei getreu bis in
den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben«, heißt es im Buch der
Offenbarung.
Das
sagt der auferstandene Christus. Er krönt, wer anderen Menschen, gerade den
Schwachen und Kindern, in Liebe begegnet ist. Wer Kranke gepflegt, Hungrige
gespeist, Durstige getränkt, Nackte gekleidet, Gefangene besucht, Fremde
beherbergt und Tote begraben hat. Darin soll ihm jeder treu sein, der getauft
ist und sich Christ nennt. Und darin, dass er Jesus vertraut im Leben wie im Sterben.
Er ist ja auch Dir treu. Er hat sich nicht, wie Adolf Hitler, am Ende selbst feige weggeräumt Er hat am Kreuz ausgehalten bis zum bitteren Ende. Er hätte
seine Feinde bekämpfen können, doch er hat ihnen vergeben. Er hätte sie töten
können, doch er hat sie geliebt.
Heute
gedenken wir der Opfer des Zweiten Weltkrieges, der in unserem Land, in unseren
Dörfern und in den Herzen der Angehörigen der Opfer bis heute Spuren
hinterlassen hat. Wir gedenken der Gefallenen, Vermissten und in Gefangenschaft
Gestorbenen. Wir denken aber auch daran, was hier bei uns passiert ist, während
die Soldaten an der Front waren. Da sind zum einen die Opfer des Bombenkrieges vor
allem in den Städten. Aber da sind auch noch andere Opfer, die im Schatten des
Krieges ihr Leben lassen mussten. Ein solcher schwarzer Schatten lag auch über
unserer Region.
Heute
in einer Woche, am 25. November, wird im Bezirksklinikum in Ansbach eine
Gedenktafel enthüllt. Auf ihr sind über 2000 Striche eingraviert. Jeder Strich
steht für einen Menschen, der dort in der damaligen „Heil- und Pflegeanstalt“,
von Ärzten und Pflegern umgebracht worden ist, darunter mindestens 150 Kinder.
Diese Menschen waren entweder behindert oder psychisch krank. Vor allem aber wehrlos. Man hat sie mit
Medikamenten vergiftet, zumeist aber qualvoll verhungern lassen. Die
Angehörigen hat man angelogen, dass die Patienten eines natürlichen Todes
gestorben seien. Auch damals waren in der so genannten „Heil- und Pflegeanstalt“
Menschen aus unseren Dörfern beschäftigt. Es ist schwer erträglich, sich vorzustellen,
dass sie an den Mordaktionen beteiligt waren. Und diejenigen, die umgebracht
worden sind, waren teilweise ebenfalls Bewohner unserer Dörfer gewesen. Etliche kamen aus kirchlichen Heimen wie Neuendettelsau, wo man sie nicht geschützt hat. Auch wenn ich keine Schuld daran habe, so schäme ich mich doch.
Am
Volkstrauertag ist es unsere Pflicht, auch an diese Opfer zu erinnern. Für uns,
die wir fast alle erst nach der Nazi-Zeit und dem Krieg geboren sind
oder damals noch Kinder waren, scheint das alles weit weg zu sein. Nun, es sind
gerade mal 67 Jahre, was die Zeit betrifft. Und was die Entfernung betrifft,
sind es von hier bis zum Bezirksklinikum nur wenige Kilometer. Ist das wirklich
so weit weg? Und wie sieht es in uns aus? Ist die Überheblichkeit, ist der
Gedanke, dass wir besser sind als Ausländer, Neger, Zigeuner, Geisteskranke wirklich
so weit weg? Die Tendenz, andere herabzusetzen, um selber etwas größer zu
erscheinen ist doch nach wie vor da. Die Tendenz, über andere schlecht zu reden,
um selber besser dazustehen ebenso. Der Krieg und die nationalsozialistische
Rassendiktatur sind vorbei. Aber das Böse in uns lebt versteckt hinter unseren
guten Seiten. Dagegen müssen wir uns täglich mit den Waffen des Glaubens wehren.
Tief
in Russland gibt es bei Kirowograd einen deutschen Soldatenfriedhof mit einem
Mahnmal. Auf ihm steht in englischer und deutscher Sprache: »Gott vergisst
nicht.« Das ist Mahnung und Trost zugleich. Mahnung, dass Gott nicht vergisst,
was der Mensch dem Menschen angetan hat und noch immer antut wie auch jetzt
wieder in Syrien oder in den Kämpfen zwischen Israelis und Palästinensern.
Im
Bibelwort für diesen Sonntag und die neue Woche heißt es: »Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit
jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut
oder böse.« Die deutsche Justiz hat viele der Mörder von damals laufen
lassen. Nicht wenige haben in der Bundesrepublik wieder eine große Karriere
gemacht. Einige wurden mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Viele sind
als ehrbare Bürger gestorben. Der eine oder andere auch in unserer Region. Doch Gott vergisst nicht. Nicht was sie damals
getan haben und auch nicht, was wir heute tun, auch wenn es nur die kleinen
alltäglichen Bosheiten sind.
Aber
diese Inschrift auf dem Soldatenfriedhof von Kirowograd hat auch etwas Tröstliches. Unser
menschliches Gedächtnis ist kurz. Viele von denen, die damals an der Front, in
den Lagern und in den Tötungsanstalten wie in Ansbach ums Leben gekommen sind,
sind vergessen. Von vielen hundert tausend Soldaten weiß man nicht, was aus
ihnen geworden ist. Viele Kriegsgräber tragen keinen Namen. In Ansbach steht für
jeden der über 2000 Ermordeten nur noch ein Strich auf einer Gedenktafel. Doch Gott
sagt: »Fürchte Dich nicht, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist
mein.« Vor ihm leben sie alle noch, Täter wie Opfer. Er kennt jeden von ihnen
mit Namen sowie auch Dich und mich. Bei ihm ist keiner vergessen.
»Gott
mit uns« steht auf diesem Koppelschloss. Ja, Gott ist mit uns, mit Dir und mit
mir, aber nicht, wenn es darum geht anderen zu schaden, sondern ihnen zu
helfen.
Amen
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