Sonntag, 18. November 2012

Gott vergisst nicht hl

Predigt zum Volkstrauertag 2012 von Hans Löhr


Liebe Freunde,
Ende der Sommerferien wollte sich mein Sohn mal den Spitzboden über der Garage des Sommersdorfer Pfarrhauses ansehen. Man kommt dort nur hinauf, wenn man eine Leiter holt und dann eine Falltür öffnet. Ich weiß nicht, wie viele Jahre dieser Raum schon nicht mehr betreten worden war. Man findet dort oben altes Heu, ein paar Dachziegeln, alte Säcke und Bretter. Als er wieder herunter kam, hatte er so etwas Ähnliches wie einen Gürtel in der Hand und fragte mich, was das sei. Es war dieses Koppel einer Soldatenuniform aus dem zweiten Weltkrieg mit einem verrosteten Koppelschloss [Koppel zeigen].
Interessant ist das Koppelschloss. Nur Marine und Heer der Wehrmacht hatten darauf über dem obligatorischen Adler mit Hakenkreuz die Inschrift: „Gott mit uns“. Offensichtlich wurde das Koppel noch nach Kriegsende einige Zeit getragen, denn der Adler mit dem Hakenkreuz ist weggefeilt. Übrig geblieben ist nur noch die Inschrift. Mit den Nazis und ihrem Hakenkreuz wollte man nun nichts mehr zu tun haben. Aber die Inschrift „Gott mit uns“ scheint ungefährlich gewesen zu sein. Die hat man gelassen.
Schon im ersten Weltkrieg haben deutsche Soldaten mit dieser Inschrift auf dem Koppelschloss gekämpft – und verloren. Und dann im zweiten Weltkrieg noch einmal. Offenbar lässt sich Gott für kriegerische Zwecke nicht einspannen, waren doch auf beiden Seiten der Front auch gläubige Menschen, die in ihrer Not und Angst „Vater unser im Himmel“ gebetet haben. Für wen, mit wem sollte er da sein?
Bei den Nationalsozialisten war das mit der Inschrift »Gott mit uns« nur ein gemeiner Trick. Man ging davon aus, dass in der Wehrmacht viele Christen waren, denen Gott und und ihr Glaube etwas bedeuteten. Ihre Kampfmoral sollte mit dieser Inschrift gestärkt werden. Anders bei der atheistischen SS. Die hatte ein eigenes Koppelschloss. Da brauchte und wollte man Gott nicht. Er hätte auch bei den Gräueltaten dieser Mörderbande mit dem Totenkopf an der Uniformmütze gestört. Also stand auf ihrem Koppelschloss unter dem Hakenkreuz: »Meine Ehre ist meine Treue«, aber gerade nicht die Treue zu Gott, sondern zu Hitler. Ihm sind viele fanatische SS-Angehörige bis zum Untergang treu gefolgt und haben dabei noch zahllose Unschuldige mit in den Tod gerissen wie beispielsweise in den letzten Kriegstagen drüben in Merkendorf.
Auch im Predigttext für diesen Sonntag ist von Treue die Rede. »Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben«, heißt es im Buch der Offenbarung.
Das sagt der auferstandene Christus. Er krönt, wer anderen Menschen, gerade den Schwachen und Kindern, in Liebe begegnet ist. Wer Kranke gepflegt, Hungrige gespeist, Durstige getränkt, Nackte gekleidet, Gefangene besucht, Fremde beherbergt und Tote begraben hat. Darin soll ihm jeder treu sein, der getauft ist und sich Christ nennt. Und darin, dass er Jesus vertraut im Leben wie im Sterben. Er ist ja auch Dir treu. Er hat sich nicht, wie Adolf Hitler, am Ende selbst feige weggeräumt Er hat am Kreuz ausgehalten bis zum bitteren Ende. Er hätte seine Feinde bekämpfen können, doch er hat ihnen vergeben. Er hätte sie töten können, doch er hat sie geliebt.
Heute gedenken wir der Opfer des Zweiten Weltkrieges, der in unserem Land, in unseren Dörfern und in den Herzen der Angehörigen der Opfer bis heute Spuren hinterlassen hat. Wir gedenken der Gefallenen, Vermissten und in Gefangenschaft Gestorbenen. Wir denken aber auch daran, was hier bei uns passiert ist, während die Soldaten an der Front waren. Da sind zum einen die Opfer des Bombenkrieges vor allem in den Städten. Aber da sind auch noch andere Opfer, die im Schatten des Krieges ihr Leben lassen mussten. Ein solcher schwarzer Schatten lag auch über unserer Region.
Heute in einer Woche, am 25. November, wird im Bezirksklinikum in Ansbach eine Gedenktafel enthüllt. Auf ihr sind über 2000 Striche eingraviert. Jeder Strich steht für einen Menschen, der dort in der damaligen „Heil- und Pflegeanstalt“, von Ärzten und Pflegern umgebracht worden ist, darunter mindestens 150 Kinder. Diese Menschen waren entweder behindert oder psychisch krank. Vor allem aber wehrlos. Man hat sie mit Medikamenten vergiftet, zumeist aber qualvoll verhungern lassen. Die Angehörigen hat man angelogen, dass die Patienten eines natürlichen Todes gestorben seien. Auch damals waren in der so genannten „Heil- und Pflegeanstalt“ Menschen aus unseren Dörfern beschäftigt. Es ist schwer erträglich, sich vorzustellen, dass sie an den Mordaktionen beteiligt waren. Und diejenigen, die umgebracht worden sind, waren teilweise ebenfalls Bewohner unserer Dörfer gewesen. Etliche kamen aus kirchlichen Heimen wie Neuendettelsau, wo man sie nicht geschützt hat. Auch wenn ich keine Schuld daran habe, so schäme ich mich doch.
Am Volkstrauertag ist es unsere Pflicht, auch an diese Opfer zu erinnern. Für uns, die wir fast alle erst nach der Nazi-Zeit und dem Krieg geboren sind oder damals noch Kinder waren, scheint das alles weit weg zu sein. Nun, es sind gerade mal 67 Jahre, was die Zeit betrifft. Und was die Entfernung betrifft, sind es von hier bis zum Bezirksklinikum nur wenige Kilometer. Ist das wirklich so weit weg? Und wie sieht es in uns aus? Ist die Überheblichkeit, ist der Gedanke, dass wir besser sind als Ausländer, Neger, Zigeuner, Geisteskranke wirklich so weit weg? Die Tendenz, andere herabzusetzen, um selber etwas größer zu erscheinen ist doch nach wie vor da. Die Tendenz, über andere schlecht zu reden, um selber besser dazustehen ebenso. Der Krieg und die nationalsozialistische Rassendiktatur sind vorbei. Aber das Böse in uns lebt versteckt hinter unseren guten Seiten. Dagegen müssen wir uns täglich mit den Waffen des Glaubens wehren.
Tief in Russland gibt es bei Kirowograd einen deutschen Soldatenfriedhof mit einem Mahnmal. Auf ihm steht in englischer und deutscher Sprache: »Gott vergisst nicht.« Das ist Mahnung und Trost zugleich. Mahnung, dass Gott nicht vergisst, was der Mensch dem Menschen angetan hat und noch immer antut wie auch jetzt wieder in Syrien oder in den Kämpfen zwischen Israelis und Palästinensern.
Im Bibelwort für diesen Sonntag und die neue Woche heißt es: »Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse.« Die deutsche Justiz hat viele der Mörder von damals laufen lassen. Nicht wenige haben in der Bundesrepublik wieder eine große Karriere gemacht. Einige wurden mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Viele sind als ehrbare Bürger gestorben. Der eine oder andere auch in unserer Region. Doch Gott vergisst nicht. Nicht was sie damals getan haben und auch nicht, was wir heute tun, auch wenn es nur die kleinen alltäglichen Bosheiten sind.
Aber diese Inschrift auf dem Soldatenfriedhof von Kirowograd hat auch etwas Tröstliches. Unser menschliches Gedächtnis ist kurz. Viele von denen, die damals an der Front, in den Lagern und in den Tötungsanstalten wie in Ansbach ums Leben gekommen sind, sind vergessen. Von vielen hundert tausend Soldaten weiß man nicht, was aus ihnen geworden ist. Viele Kriegsgräber tragen keinen Namen. In Ansbach steht für jeden der über 2000 Ermordeten nur noch ein Strich auf einer Gedenktafel. Doch Gott sagt: »Fürchte Dich nicht, ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein.« Vor ihm leben sie alle noch, Täter wie Opfer. Er kennt jeden von ihnen mit Namen sowie auch Dich und mich. Bei ihm ist keiner vergessen.
»Gott mit uns« steht auf diesem Koppelschloss. Ja, Gott ist mit uns, mit Dir und mit mir, aber nicht, wenn es darum geht anderen zu schaden, sondern ihnen zu helfen.
Amen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen