Liebe Freunde,
heute geht es in der Predigt um das Thema „Verantwortung
übernehmen“. Dazu werfen wir zunächst einen Blick in die Geschichte und dann
erzähle ich noch von einem aktuellen Beispiel, von dem ich kürzlich in der
Zeitung gelesen habe. Ausgangspunkt ist ein Film, den ich vor einiger Zeit
gesehen habe. Er spielt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs und heißt
„Drei Tage im April“. Ich will ihn jetzt nicht erzählen, sondern beschränke
mich auf den Text, mit der er in einem Fernsehmagazin angekündigt wurde.
Vorab noch ein Hinweis: Es geht mir im Folgenden nicht in erster
Linie um die deutsche Vergangenheit, sondern um mich heute. Nicht um Schuld
damals, sondern um Verantwortung heute. Doch hört selbst, was in der
Programmvorschau stand:
“Überschrift: Verblendete Generation. Titel: Drei Tage im
April. Eckartshausen bei Crailsheim (Filmname „Nesselbühl“) in den letzten
Tagen des Zweiten Weltkriegs. Täglich wird mit dem Eintreffen der Amerikaner
gerechnet. In der Dorfschänke stößt man bereits auf das Ende des Krieges an. Da
rollt eines Tages ein Güterzug im Bahnhof ein. Aufgrund technischer Probleme
werden drei Viehwagen abgekoppelt. Hunderte von verhungernden KZ-Häftlingen
sind in den Waggons eingepfercht, bewacht von SS-Soldaten. Das Schreien und
Wimmern der Gefangenen dringt durch das ganze Dorf, doch niemand wagt es, den
Eingeschlossenen zu helfen. Ausgerechnet die Gastwirtstochter Anna, bislang ein
überzeugtes BDM-Mädel, findet schließlich den Mut, die Qual der Menschen zu
lindern. Die Wachmannschaft, mit Cognac bestochen, erlaubt, die Waggontüren für
zehn Minuten zu öffnen. Anna verteilt ein paar Lebensmittel. Dann werden die
Türen wieder geschlossen. Die Dorfbewohner diskutieren am Kneipentisch, wie man
sich das Elend am besten aus den Augen schaffen kann. Als die Wachmannschaften
vor den heranrückenden Amerikanern geflohen sind, schieben die Bewohner die
ungeöffneten Waggons mit den Verhungerten und Sterbenden auf das abschüssige
Gleis zum Nachbarort und lassen sie davon rollen.
“Drei Tage im April” beruht auf einer wahren Begebenheit. Der Regisseur entwirft ein erschütterndes Bild einer in zwölf Jahren Nazizeit durch Passivität, Ignoranz und Verblendung geprägten Generation.”
Soweit die Auszüge aus dem Fernsehmagazin.
“Drei Tage im April” beruht auf einer wahren Begebenheit. Der Regisseur entwirft ein erschütterndes Bild einer in zwölf Jahren Nazizeit durch Passivität, Ignoranz und Verblendung geprägten Generation.”
Soweit die Auszüge aus dem Fernsehmagazin.
Nein, liebe Freunde, in diesem Film geht es nicht nur um die
Generation meiner Eltern, hier geht es nicht um einen weiteren Schuldvorwurf,
nicht um nachträgliche Urteile über eine vergangene Zeit. Hier geht es um mich.
Ich meinte, in den Bildschirm des Fernsehers zu schauen und hab doch nur in den
Spiegel geblickt.
Denn weiß ich, wie ich anstelle der Menschen, die
in dem Film vorkommen, damals gehandelt hätte? Vielleicht ist es ja so, dass
ich sagen muss:
Ich könnte der schwäbische Bahnhofsvorsteher in dem Film sein, in dessen Dienstordnung ein solcher Fall wie mit diesen Waggons nicht vorgesehen ist und der deshalb mit der Situation nicht zurechtkommt.
Ich könnte der Bürgermeister damals sein, der sich als nicht zuständig erklärt und, als er niemanden erreichen kann, der zuständig wäre, auch nicht bereit ist, für diese Ungeheuerlichkeit auf dem Abstellgleis nebenan die Verantwortung zu übernehmen.
Ich könnte der Dorfpfarrer sein, der als einziger Mann des Dorfes etwas gegen das Elend zu unternehmen versucht, aber klein beigibt, als ihm sein Vorgesetzter am Telefon jede Einmischung in politische Angelegenheiten verbietet.
Ich könnte die verbitterte Mutter sein, deren Sohn im Krieg nach großen Qualen gestorben ist und die nun keine Augen und Ohren mehr hat für das Leiden anderer.
Ich könnte der sein, der am Eck des Stammtisches sitzt, nie eine eigene Meinung hat und sich immer an Macht und Mehrheit anpasst.
Ich könnte sein – nein, ich bin ein Mensch wie sie. Die Schwäche all der Menschen aus jenem schwäbischen Dorf ist auch meine Gefahr. Ich lebe wie sie auf demselben Stern, im selben Land. Warum sollte ausgerechnet ich anders sein? Niemand von uns, der damals nicht dabei war, kann heute sagen, wie er sich entschieden und verhalten hätte, niemand.
Ich könnte der schwäbische Bahnhofsvorsteher in dem Film sein, in dessen Dienstordnung ein solcher Fall wie mit diesen Waggons nicht vorgesehen ist und der deshalb mit der Situation nicht zurechtkommt.
Ich könnte der Bürgermeister damals sein, der sich als nicht zuständig erklärt und, als er niemanden erreichen kann, der zuständig wäre, auch nicht bereit ist, für diese Ungeheuerlichkeit auf dem Abstellgleis nebenan die Verantwortung zu übernehmen.
Ich könnte der Dorfpfarrer sein, der als einziger Mann des Dorfes etwas gegen das Elend zu unternehmen versucht, aber klein beigibt, als ihm sein Vorgesetzter am Telefon jede Einmischung in politische Angelegenheiten verbietet.
Ich könnte die verbitterte Mutter sein, deren Sohn im Krieg nach großen Qualen gestorben ist und die nun keine Augen und Ohren mehr hat für das Leiden anderer.
Ich könnte der sein, der am Eck des Stammtisches sitzt, nie eine eigene Meinung hat und sich immer an Macht und Mehrheit anpasst.
Ich könnte sein – nein, ich bin ein Mensch wie sie. Die Schwäche all der Menschen aus jenem schwäbischen Dorf ist auch meine Gefahr. Ich lebe wie sie auf demselben Stern, im selben Land. Warum sollte ausgerechnet ich anders sein? Niemand von uns, der damals nicht dabei war, kann heute sagen, wie er sich entschieden und verhalten hätte, niemand.
Und leider liegt es nahe, dass ich und mit mir manch anderer hier
damals versagt hätte. Denn dieses Versagen liegt in der Natur des Menschen.
Davon spricht die Bibel schon ganz am Anfang.
Das erste Versagen, die erste Sünde war, dass sich Eva und Adam
nicht an das gehalten haben, was Gott ihnen gesagt hatte. Sie haben auf die
Schlange gehört und die verbotene Frucht vom Baum des Lebens gegessen. Das
zweite Versagen, die zweite Sünde folgte auf dem Fuß. Sie wiegt in meinen Augen
noch schwerer. Adam und Eva – und das heißt nichts anderes als der Mensch
schlechthin – sie übernehmen für ihre Tat keine Verantwortung. Stattdessen
schiebt einer die Schuld auf den anderen. Eva schiebt sie auf die Schlange. Und
Adam erst! Er schiebt sie auf Eva und erdreistet sich, die Schuld auch auf Gott
zu schieben als er zu ihm sagt: „Die Frau, die du mir
gegeben hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.“
„Du, Hans, du bist Adam“, sagt mir die Bibel mit dieser
Geschichte. Und euch sagt sie: „Ihr seid es auch. Ihr seid Adam und Eva, seid
Menschen wie sie.“
Die Geschichte von Adam und Eva ist die Geschichte vom Menschen
schlechthin, der wie ein Kind keine Verantwortung für sich und seine Taten
übernehmen will und deshalb die Schuld auf andere schiebt. Genauer, es ist die
Geschichte vom Erwachsenen, der nicht erwachsen sein will und es doch unter
Schmerzen lernen muss. Weiß der Himmel, warum es so schwer ist, in allem, was
ich tue und lasse und was mir widerfährt die Verantwortung für mich selbst zu
übernehmen. Weiß der Himmel, warum es so schwer ist zu erkennen, dass ich zuständig
bin, wenn mir jemand begegnet, der mich braucht.
In der Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies ist dem
Menschen zwar der Zugang zum Baum des Lebens verwehrt, nicht aber zum Baum der
Erkenntnis. Gott stellt es dem Menschen anheim zu entscheiden. Das macht meine
Freiheit und Würde aus, dass ich ein Wesen bin, das wählen und entscheiden
kann. Gott stellt es mir frei zu wählen. Damit traut er mir zu, dass ich
Verantwortung übernehmen kann – für mich und andere.
Seitdem gibt es
im Himmel und auf Erden keine Instanz, die mir die Verantwortung für mich
selbst abnimmt. Zur Selbstverantwortung gehört, dass ich aufhöre, die Schuld
auf andere zu schieben, auf Eva, auf Gott, auf die Schlange, auf dich.
Und zur
Selbstverantwortung gehört nun mal, dass ich auch immer zuständig bin, immer,
wenn Not am Mann ist und sonst kein offiziell Zuständiger da ist. Ich soll nach
meiner inneren Überzeugung, nach meinen Werten handeln. Ob das immer gelingt,
ist eine andere Frage.
Kennt
jemand von euch Manfred Kick? Am 13. Februar habe ich folgende Notiz von ihm in
der Zeitung gelesen:
Vor
einem Jahr wurde Manfred Kick plötzlich berühmt. Eigentlich war er nur auf der
A 9 unterwegs, als er vor sich ein Auto bemerkte, das merkwürdig schlingerte.
Kick sah den Fahrer bewusstlos im Gurt hängen, und wusste, was zu tun war. Er
gab Gas, setzte sich mit seinem Tesla vor
den VW Passat, ließ ihn auffahren und brachte ihn zum Stehen. Weil
Kick, 42, dem 57-Jährigen damit wohl das Leben rettete, berichteten
internationale Medien über ihn. Ein Jahr danach erwischt man Manfred Kick am
Telefon, er sitzt - natürlich - gerade im Auto.
SZ: So ein
teures Auto wie den Tesla würde wahrscheinlich nicht jeder opfern.
M. Kick: Klar,
das habe ich aber auch erst später begriffen. Ein Freund, der professionell mit
Autotuning zu tun hat, fing am Telefon an zu weinen und sagte, keiner seiner
Kunden hätte so etwas getan. Mir schien es normal.
SZ: Also haben
Sie einfach nicht so eine große Liebe für Autos wie andere?
M. Kick: Nein,
das würde ich nicht sagen! Aber ich weiß, dass ein Auto ein Gebrauchsgegenstand
ist. Ist doch nur Blech, man kann es reparieren. Das mag auch mit meinem Beruf
zu tun haben, ich bin Metallbauer. Aber dass ein Menschenleben vorgeht, sieht
wohl jeder so. Es war ja klar, dass man dem Mann sofort helfen muss.
Soweit
die Zeitung. Ja, dem Metallbauer Kick war klar, dass ein Menschenleben
wichtiger ist als ein neues, teures Auto. Und ihm war auch klar, dass er jetzt
Verantwortung übernehmen musste, als er den bewusstlosen Fahrer entdeckt hatte.
Hätte er erst die Polizei rufen sollen? Bis die eingetroffen wäre, wäre der
Fahrer vermutlich tot gewesen oder es hätte inzwischen einen Unfall mit
weiteren Beteiligten gegeben. Und so wurde Manfred Kick bewusst: „Ich bin
jetzt zuständig und muss etwas unternehmen und dafür auch mein neues Auto aufs
Spiel setzen. Ich bin jetzt verantwortlich und darf mich nicht
drücken.“
Was mit den Waggons und den Menschen geschehen ist, die damals aus
Eckartshausen in Richtung Sulzdorf bei Schwäbisch-Hall weggeschoben wurden,
bleibt unklar. Es scheint, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Doch das
Problem war damit nicht aus der Welt. In den Köpfen und im Gewissen der damals
Beteiligten existierten sie noch. Jahrzehnte später waren sie plötzlich wieder
da. Diesmal via Fernsehapparat mitten im Wohnzimmer, auch in meinem.
Niemand kommt aus der Verantwortung wieder heraus, der glaubt,
sich ihr entziehen zu können. Unsere Taten und Unterlassungen bleiben wirksam,
oft unmerklich, oft tief im Verborgenen. Doch was verdrängt wurde, kehrt
wieder. Was abgeschoben wurde, meldet sich zurück.
Ich lerne für mich, dass es besser ist, sich gleich der
Verantwortung zu stellen, sie anzunehmen und, wie Manfred Kick, das zu tun,
was getan werden muss. Auch wenn ich dafür Nachteile in Kauf nehmen muss. Dazu
helfe mir Gott. Amen
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Diese Predigt ist eine Fortführung
meiner Gedanken zu Losung und Lehrtext vom 14.2.2018 mit dem Titel
"Niemand hat das Recht zu gehorchen". Diese Losungsauslegung wurde
von mir nachträglich noch einmal überarbeitet. Bei Interesse kann man sie hier
nachlesen: http:// glaubenswachstum.blogspot.de/ 2018/02/niemand-hat-das-recht- zu-gehorchen-hl.html
Sehr gutes Beispiel, zentrales religiöses, moralisches Thema und Erläuterungen. Bin überzeugt, dass das Gebot der Nächstenliebe nur ganz oberflächlich wahrgenommen wird. ...Liebe Grüße Herr Löhr
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