Sonntag, 16. Juni 2019

Was es ist (Predigt) hl

Liebe Leserin, lieber Leser,

hast du ein Lebensmotto, einen Spruch, der zum Ausdruck bringt, wie du leben möchtest und was dir wichtig ist? Als Student hatte ich ein solches Lebensmotto. Nein, das war kein Bibelwort. Das war ein Satz der Rolling Stones und zugleich der Titel einer ihrer Songs. Der Song, den ich meine und damit das Motto, dass ich in jungen Jahren hatte, lautet: „I know it’s only Rock ‚n‘ Roll, but I like it.“ Auf Deutsch: „Ich weiß, es ist alles nur Rock ‚n‘ Roll. Aber ich mag es.“    
     Was das bedeutet? Nun, ich sagte mir damals: „Es ist doch eh alles nur Show: die Gefühle, die Musik, das Studium, die Partys, die Mädchen, die Politiker, die Pfarrer und die Kirche, all das Gedöhns in der Zeitung. Alles ist nur Rock ‚n‘ Roll. Also nur ein großer Zirkus. Nimm das Leben nicht zu ernst und singe mit Mick Jagger „I like it“, „ich mag’s halt“. Na ja. So kann man als junger Mensch schon denken und damit andere ein bisschen provozieren.
     Nun, inzwischen ist mir klar, was ich damals auch schon geahnt habe: So ganz auf die leichte Schulter nehmen kann man das Leben nicht. Je älter ich wurde, desto mehr Verantwortung hatte ich zu übernehmen für meine eigene Familie, in meinem Beruf, in der Öffentlichkeit. Und vor allem das viele Leid, das es in meiner nächsten Umgebung und auch in den fernsten Ländern gibt, hat mich nicht ungerührt gelassen. Und darum habe ich seit einigen Jahren ein anderes Lebensmotto. Es stammt aus einem Gedicht des Schriftstellers Erich Fried und heißt: »Es ist, was es ist - sagt die Liebe."
 Hier nun das ganze Gedicht:

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe.

     Dieses Gedicht kannst du auf verschiedene Weise verstehen. Zum Beispiel so, dass eine Mutter Einwände gegen die Liebe ihrer Tochter zu einem bestimmten jungen Mann hat. Und dann sagt sie zu ihr: ‚Diese Beziehung ist doch aussichtslos, leichtsinnig, unmöglich. Lass die Finger von ihm!‘ Und die Tochter erwidert: „Es ist, was es ist‚ Mama, es ist Liebe“.
     Du kannst dieses Gedicht aber auch so verstehen, dass man gegen Gott selbst Einwände vorbringt wegen seiner Liebe zu den Menschen. Wer sollte das tun? Vielleicht der Teufel Mephisto aus dem Theaterstück „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe. Dann würde Mephisto zu Gott sagen: ‚Herr, dass du dieses Menschengewimmel liebst, kann ich weder verstehen noch billigen. Mit Verlaub und bei allem Respekt, das ist doch Unsinn, leichtsinnig und lächerlich. Schau sie dir doch an, jeden einzelnen, wie wenig er deinem Bild gleicht, nach dem du ihn geschaffen hast. Schau sie doch an, die sich was einbilden auf ihre Moral und Frömmigkeit, auf ihr Wissen und ihren Verstand, auf ihre Stellung unter ihresgleichen und auf ihre vermeintliche Tüchtigkeit. Schau sie doch an, wie sie anderen und sich selbst etwas vormachen. Wie sie lügen und betrügen und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Wie sie bereit sind, in ihrem Wahn auch über Leichen zu gehen. Wie sie den Ast absägen, auf dem sie sitzen und die Welt zerstören, von der sie leben. Diese Kreaturen, Herr, die liebst du? Ausgerechnet die? Sind sie nicht schlimmer als Tiere?‘
     Soweit Mephisto, der Teufel. Doch Gott erwidert ihm: ‚Vielleicht hast du ja recht. Aber ich liebe nun mal die Menschen. Jeden einzelnen von ihnen. Egal, wie er versagt und gesündigt hat. Diese Liebe hat auch Jesus nicht verraten, als er von ihnen gequält und gekreuzigt wurde. Es ist meine göttliche Liebe, die auch die Sünder und die Feinde liebt. Denn bei mir geht es nicht nach menschlicher oder teuflischer Vernunft, nicht nach Berechnung, Angst und Stolz. Ich begegne den Menschen auch nicht mit Vorsicht aufgrund meiner schlechten Erfahrung. Ich, Gott, der Schöpfer der Welt und der Menschen, kann nicht anders und will nicht anders als lieben. Doch du, Mephisto, verstehst das nicht, weil der Teufel nicht lieben kann.‘
     So könnte Gott zum Teufel sprechen, wenn es ihn denn gäbe. So aber spricht er diese Sätze zu dir und zu mir. Denn auch ich könnte gegenüber Gott meine Einwände vorbringen und sagen, was in dieser Menschenwelt alles schrecklich, verkehrt, böse, gemein und grausam ist. Könnte von Kriegen reden, von der Zerstörung der Schöpfung, von Krankheit und Tod. Aber was würde das nützen? Was würde damit besser? Habe ich denn nichts anderes zu sagen, als was ohnehin gesagt wird, als zu schimpfen, zu verurteilen, zu fluchen, zu jammern? Ist es nicht meine Aufgabe als Christ, gerade auch auf das Negative mit den Augen der Liebe zu schauen, mit den Augen Gottes? Was auch immer geschieht, es ist, was es ist – nicht mehr und nicht weniger, nicht schlimmer und nicht besser. Ich muss ersteinmal zur Kenntnis nehmen, was ist, es mit den Augen der Liebe betrachten und mich dann entscheiden, wie ich mich dazu verhalten will.
     Viele Muslime, orthodoxe Juden und evangelikale Christen sind homophob, verurteilen Homosexualität als Sünde und Krankheit. Aber nun kommt es gar nicht so selten vor, dass ein junger Mann zu seinem strenggläubigen Vater sagt: „Papa, ich bin schwul.“ Was jetzt? Der Vater kann nun sagen: „Das ist ja ekelhaft, eine Katastrophe, eine schwere Sünde. Du beschmutzt die Familienehre. Geh mir aus den Augen! Ich will dich nie wieder sehen!“
     Ja, das kann er sagen. Und das sagen viele solcher Väter bis heute. Aus ihren Sätzen spricht verletzter Stolz, Scham vor den anderen Leuten, persönliche Enttäuschung und Wut. Sie denken dabei nur an sich, was das für sie Negatives bedeutet.
     Ein solcher Vater kann aber auch denken: „Es ist, was es ist. Es ist nunmal eine Tatsache, dass mein Sohn oder meine Tochter homosexuell ist. Das darf meine Beziehung zu ihm / zu ihr nicht zerstören.“ Und dann kann er sein Kind in die Arme nehmen und sagen: „Du bist, was du bist. Ich wünsche dir, dass es dir damit gut geht.“ Wenn ein Vater so denkt, dann spricht aus ihm kein negatives, egoistisches Gefühl, sondern die Liebe zu seinem Kind. Davon hat auch Jesus erzählt in seiner Geschichte vom verlorenen Sohn.
     Es ist, was es ist. Diese Einstellung gibt mir die Freiheit, den unterschiedlichen Dingen auf je angemessene Weise zu begegnen: Dem Tod mit einer angemessenen Zeit der Trauer. Der Schuld eines anderen mit einer langsam wachsenden Bereitschaft zur Vergebung. Meinen seelischen Verletzungen mit dem Wunsch und Willen, sie heilen zu lassen.
     Und was ist bei einem Verbrechen? Einem Unfall? Bei einer schweren gesundheitlichen Krise? Ich möchte solchen negativen Ereignissen keine bleibende Macht über meine Seele und mein Leben einräumen. Vielmehr will ich immer wieder meine innere Freiheit zurückgewinnen und um die äußere mit angemessenen Mitteln kämpfen. Allein schaffe ich das nicht. Doch ich vertraue darauf, dass Gott mir hilft.
     Das letzte Wort zu allem aber hat nicht die Vernunft und nicht die Angst. Nicht die Berechnung und nicht die Erfahrung. Nicht die Vorsicht und nicht der Stolz. Sie alle haben kein Recht das Urteil zu fällen und den Stab zu brechen über diese Welt, über dich und mich. Das letzte Wort hat Gott. Und er sagt nicht „Es ist alles nur Rock ‚n‘ Roll“ noch sagt er „Es ist alles eine Katastrophe.“ Das letzte Wort zu allem, was uns bewegt und umtreibt, schmerzt und freut, heißt: „Es ist, was es ist, sagt – (die Zuhörer antworten) die Liebe“. Amen

Herzliche Grüße

Hans Löhr


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