Predigt von Hans Löhr am 14. Sonntag
nach Trinitatis in Thann und Sommersdorf.
Predigttext = Wochenspruch:
»Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.« (Psalm 103,2)
»Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.« (Psalm 103,2)
Liebe Gemeinde,
wenn du im Winter ins Freie gehst,
ziehst du einen warmen Mantel an, um dich gegen die Kälte zu schützen. Und auf
der Baustelle setzten Bauarbeiter einen Helm auf, um ihren Kopf zu schützen. Doch
was ziehst du an, um deine Seele zu schützen?
Um eine Antwort auf diese Frage zu
finden, will ich mit euch in die Bibel schauen. Da heißt es im Psalm 103, über
den ich heute predige:
1 Von David. Lobe den HERRN,
meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! 2 Lobe den HERRN, meine Seele, und
vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:
3 der dir alle deine
Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen,
4 der dein Leben vom
Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, 5 der deinen Mund fröhlich macht und
du wieder jung wirst wie ein Adler.
8 Barmherzig und
gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.
Diese Worte sind ein Gespräch, das David
mit sich selbst führt. Er spricht sozusagen zu seiner Seele, zu sich, wie er in
seinem Innersten fühlt, wo kein Mensch hineinschauen kann.
Ich schätze mal, dass auch dir
Selbstgespräche nicht fremd sind. Natürlich möchte man dabei nicht von anderen
belauscht werden und deshalb finden solche Gespräche meistens in der Stille
statt. Aber manchmal, wenn man sich allein wähnt, spricht man auch schon mal
laut aus, was einen gerade bewegt und umtreibt.
Auch David scheint in einer schwierigen
Lage gewesen zu sein, als er diesen Psalm sprach. Er ruft sich selbst dazu auf,
Gott zu loben und ja nicht zu vergessen, was er ihm früher schon Gutes getan
hat. So soll seine Seele wieder ins Lot kommen. Denn wenn in der einen
Waagschale die Dinge sind, die ihm zur Zeit schwer auf der Seele liegen, so
soll als Ausgleich in der anderen Waagschale alles das sein, was bisher in
seinem Leben gut war und was er Gott zu verdanken weiß.
Und genau das lege ich auch dir und mir
ans Herz, wenn in der Waagschale die schweren Stunden liegen und sich die
Seelenwaage bedenklich nach unten neigt. Das, liebe Freunde, zieht uns runter
und raubt uns den letzten Rest von Lebensfreude. Aber muss das so sein und
bleiben? David sagt nein. Und deshalb soll, sozusagen als Gegengewicht, seine
Seele nicht vergessen, was Gott ihm Gutes getan hat.
Und wie geht das am besten?
Ich schaue dann zum Beispiel auf Fotografien
meiner gesunden Kinder und Enkelkinder. Das macht mich schon mal dankbar und
ist ein dickes, sozusagen positives Pfund, das die Seelenwaage wieder mehr ins
Gleichgewicht bringt. Oder ich suche mir Erinnerungsstücke, die mich an
glücklichere Zeiten erinnern. Oder ich gehe in den Garten zu den Astern mit den
vielen Schmetterlingen in der Herbstsonne und esse die letzten reifen
Brombeeren am Strauch. Und dann mache ich mir bewusst, das alles ist nicht
einfach so, sondern von Gott geschenkt.
Und auch das mache ich mir bewusst, dass
Gott mich meine Fehler und falschen Entscheidungen in der Vergangenheit nicht
hat büßen lassen, sondern mir immer wieder aus meinen Sackgassen heraus
geholfen hat. Er hat die Wunden geheilt, die mir das Leben geschlagen hat,
wovon die Narben an meiner Seele zeugen. Und auch das, was mich jetzt schmerzt,
wird eines Tages wieder vergangen sein und nur noch eine Narbe wird davon
erzählen, was einmal war.
Ja, »lobe den Herrn meine Seele und
vergiss nicht was er dir Gutes getan hat: Der dir alle deine Sünden vergibt und
heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst und – der dich
krönt mit Gnade und Barmherzigkeit.«
Erinnern wir uns, das ist ein
Selbstgespräch, das sagt David zu sich selbst und darum sollen auch wir das zu
uns selbst sagen. Aber traust du dich das? Traust du dich vor den Spiegel zu
treten gerade auch in schweren Stunden und zu dir zu sagen: ‚Gott krönt mich
mit Gnade und Barmherzigkeit‘? Du hier in der Kirchenbank hast genauso eine solche
Krone auf dem Kopf wie David und ich. Leider vergessen wir das allzu oft.
Leider vergessen wir, wer wir in Gottes Augen sind und denken nur daran, was
wir in den Augen anderer sind.
Und schließlich heißt es noch in unserem
Psalm: »Lobe den Herrn, meine Seele, der deinen Mund fröhlich macht und du
wieder jung wirst wie ein Adler.« Wenn es uns seelisch nicht gut geht, sieht
man uns das an. Dann ist der Blick stumpf und die Mundwinkel hängen nach unten.
Dann ist alles Fröhliche aus unserem Gesicht weggewischt. Aber so hat uns Gott
nicht gemacht. Er will keine Trauerminen. Seine Kinder sollen fröhlich sein und
sich des Lebens freuen können, das er ihnen geschenkt hat. Und darum macht er
unseren Mund wieder fröhlich, zaubert uns wieder ein Lächeln ins Gesicht, ohne
dass uns das bewusst wird. Plötzlich kann man wieder unbeschwert lachen, auch
wenn einem dazu gar nicht zumute war.
Aber jung wie ein Adler? Macht Gott uns tatsächlich wieder jung?
In unserer Küche steht ein
Basilikum-Topf. Wenn man das Gießen vergisst, sieht die Pflanze ziemlich
verwelkt aus. Doch genügt ein kräftiger Schluck aus der Gießkanne und nach ein
paar Stunden ist sie wieder frisch und lebendig. Nur allzu lang sollte man mit
dem Gießen nicht warten, sonst ist das Basilikum verdorrt und kein Wasser der
Welt bringt es ins Leben zurück. Wenn du also in deiner Trauer, in deiner
Enttäuschung und in deinem Selbstmitleid vor dich hinwelkst, sieh zu, dass
deine Seele nicht verdorrt wie eine Mumie. Gut sieht das nicht aus. Mumien
haben nichts Lebendiges mehr an sich.
Vor vielen Jahren war ich in Ägypten im
Tal der Könige. Dort war ein Großteil der Pharaonen des alten Ägyptens
bestattet worden. Die Grabhöhlen und Wandmalereien kann man noch heute sehen.
Die Mumien der Könige und ihrer Familien aber sind längst verschwunden.
Eine Frau aus unserer Reisegruppe musste
dringend austreten und ging in den Eingang einer Höhle, die nicht mehr
fertiggestellt worden ist und deshalb auch nicht besichtigt wird. Als sie
wieder herauskam, sagte sie, dass da irgendetwas Gruseliges auf dem Boden
liegen würde. Ich bin hingegangen und fand den Torso einer Mumie. Füße, Hände
und Kopf waren nicht mehr vorhanden. Vermutlich sind sie von Grabräubern
abgetrennt und verkauft worden. Aber Brustkorb und Becken, ein Arm- und ein
Beinknochen waren noch da. Die Mumie war schwarz wie die Nacht und leicht wie
Papier. Ich habe sie wieder hingelegt. Als ich in der Gruppe davon erzählte,
wollte mir in den nächsten Stunden niemand mehr die Hand geben, mit der ich die
Mumie angefasst hatte.
Nein, meine Seele soll keine so
vertrocknete Mumie sein. Sie soll erfüllt sein von Gottes Geist, vom Geist
seiner Barmherzigkeit und Liebe, vom Geist der Freude, der Vergebung und der
Kraft. Sie soll frisch und gesund sein wie Basilikum, das regelmäßig gegossen
wird. Paulus sagt dazu: »Wir verlieren nicht den Mut. Denn wenn auch unser
äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.« (2. Korinther 4,16)
Doch was heißt das nun konkret? Wie ist
das, wenn es dir so richtig schlecht geht, weil dich deiner Meinung nach andere
schlecht behandeln? Hast du dann die Kraft, dich mit deinem Glauben gegen sie
zu wehren oder ergibst du dich in dein Schicksal?
Eine der stärksten Waffen, die dir hilft, dich von anderen nicht fertig
machen zu lassen, ist, dass du deine Fäuste öffnest und für sie betest. So wie
auch Jesus, kurz bevor er am Kreuz starb, für seine Feinde gebetet hat: „Vater
vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“
So zu beten ist natürlich alles andere als leicht. Da musst du dich
schon sehr überwinden. Aber zugleich überwindest du damit auch jene, die dir
feindlich gesinnt sind. Auch wenn sie selbst nicht wissen, dass sie von dir
überwunden sind, du weißt es. Du
weißt, dass du über ihre Gemeinheit und deine ohnmächtige Wut, über ihre
Rücksichtslosigkeit und deine Depression gesiegt hast. Denn wer für seine
Feinde beten kann, dass Gott ihnen vergebe und sie segne, - wer das kann, der
ist nicht mehr Opfer. Der überwindet und siegt. So hat auch Jesus seine Feinde
überwunden und über ihre Bosheit gesiegt.
Ja, so zu beten ist alles andere als
leicht. Und seinen Feinden zu vergeben, ist alles andere als einfach. Und das
funktioniert ja auch nicht von jetzt auf gleich. Wer anderen vergeben will, die
ihn tief verletzt haben, der muss das immer wieder tun. Einmal reicht nicht.
Nach kurzer Zeit kommen all die negativen Erinnerungen wieder hoch und dann
fühlst du die Bitterkeit und den Schmerz. Und dann? Dann beginnt dieser innere
Kampf aufs Neue. Dann musst du dich aufs Neue überwinden und wieder für die
beten, die dir so wehgetan haben. Dann musst du ihnen wieder vergeben. Und weil
das oft nicht erreicht, musst du dich ein drittes und fünftes und zehntes Mal
überwinden.
Denn wenn du das nicht tust, macht dich
die Bitterkeit bitter, zerfrisst dich die Wut, zerstört dich die Depression.
Doch du bist nicht dazu bestimmt, Opfer zu sein und dein Leben von anderen
kaputtmachen zu lassen. Deine Bestimmung, die Gott dir gegeben hat, ist, dass
du dich deines Lebens freuen kannst, dass du seelisch gesund bleibst und dich
dem Leben öffnest, statt dich zu verschließen.
Wenn du im Winter ins Freie gehst, ziehst
du einen warmen Mantel an, um dich gegen die Kälte zu schützen. Doch wenn dich
andere verletzen, was ziehst du an, um deine Seele zu schützen?
Fünf Antworten hat mir der Psalm 103 darauf gegeben:
- Lege
auf deine Seelenwaage ein Gegengewicht gegen die schweren Stunden. Lobe
Gott und erinnere dich, was er dir bisher Gutes getan hat.
- Denke
daran, dass Gott dir vergeben hat, als du falsche Entscheidungen getroffen
hast und schuldig geworden bist.
- Mach
dir bewusst, dass du von ihm mit Gnade und Barmherzigkeit gekrönt bist.
- Wickle
dich nicht wie eine Mumie in Selbstmitleid ein, sondern öffne dich seinem
Geist, damit deine Seele wieder jung und frisch wird.
- Wehre
dich gegen die, die dir wehgetan haben. Bete für sie und vergib ihnen,
damit die Verletzungen heilen können und du an deinem Leid nicht zu Grunde
gehst.
So kannst du dich schützen. So kannst
du genesen. So kannst du dich deines Lebens wieder freuen. Und darauf kommt es
doch an.
Amen
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