Sonntag, 22. September 2019

Schutz in Anfeindung und Leid (Predigt) hl

Predigt von Hans Löhr am 14. Sonntag nach Trinitatis in Thann und Sommersdorf.
Predigttext = Wochenspruch:
»Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.« (Psalm 103,2)

Liebe Gemeinde,

wenn du im Winter ins Freie gehst, ziehst du einen warmen Mantel an, um dich gegen die Kälte zu schützen. Und auf der Baustelle setzten Bauarbeiter einen Helm auf, um ihren Kopf zu schützen. Doch was ziehst du an, um deine Seele zu schützen? 
     Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, will ich mit euch in die Bibel schauen. Da heißt es im Psalm 103, über den ich heute predige:
1 Von David. Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! 2 Lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: 
3 der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, 
4 der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, 5 der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler. 
8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. 
     Diese Worte sind ein Gespräch, das David mit sich selbst führt. Er spricht sozusagen zu seiner Seele, zu sich, wie er in seinem Innersten fühlt, wo kein Mensch hineinschauen kann.
     Ich schätze mal, dass auch dir Selbstgespräche nicht fremd sind. Natürlich möchte man dabei nicht von anderen belauscht werden und deshalb finden solche Gespräche meistens in der Stille statt. Aber manchmal, wenn man sich allein wähnt, spricht man auch schon mal laut aus, was einen gerade bewegt und umtreibt.
     Auch David scheint in einer schwierigen Lage gewesen zu sein, als er diesen Psalm sprach. Er ruft sich selbst dazu auf, Gott zu loben und ja nicht zu vergessen, was er ihm früher schon Gutes getan hat. So soll seine Seele wieder ins Lot kommen. Denn wenn in der einen Waagschale die Dinge sind, die ihm zur Zeit schwer auf der Seele liegen, so soll als Ausgleich in der anderen Waagschale alles das sein, was bisher in seinem Leben gut war und was er Gott zu verdanken weiß.
     Und genau das lege ich auch dir und mir ans Herz, wenn in der Waagschale die schweren Stunden liegen und sich die Seelenwaage bedenklich nach unten neigt. Das, liebe Freunde, zieht uns runter und raubt uns den letzten Rest von Lebensfreude. Aber muss das so sein und bleiben? David sagt nein. Und deshalb soll, sozusagen als Gegengewicht, seine Seele nicht vergessen, was Gott ihm Gutes getan hat.
Und wie geht das am besten?
     Ich schaue dann zum Beispiel auf Fotografien meiner gesunden Kinder und Enkelkinder. Das macht mich schon mal dankbar und ist ein dickes, sozusagen positives Pfund, das die Seelenwaage wieder mehr ins Gleichgewicht bringt. Oder ich suche mir Erinnerungsstücke, die mich an glücklichere Zeiten erinnern. Oder ich gehe in den Garten zu den Astern mit den vielen Schmetterlingen in der Herbstsonne und esse die letzten reifen Brombeeren am Strauch. Und dann mache ich mir bewusst, das alles ist nicht einfach so, sondern von Gott geschenkt.
     Und auch das mache ich mir bewusst, dass Gott mich meine Fehler und falschen Entscheidungen in der Vergangenheit nicht hat büßen lassen, sondern mir immer wieder aus meinen Sackgassen heraus geholfen hat. Er hat die Wunden geheilt, die mir das Leben geschlagen hat, wovon die Narben an meiner Seele zeugen. Und auch das, was mich jetzt schmerzt, wird eines Tages wieder vergangen sein und nur noch eine Narbe wird davon erzählen, was einmal war.
     Ja, »lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht was er dir Gutes getan hat: Der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst und – der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit.«
     Erinnern wir uns, das ist ein Selbstgespräch, das sagt David zu sich selbst und darum sollen auch wir das zu uns selbst sagen. Aber traust du dich das? Traust du dich vor den Spiegel zu treten gerade auch in schweren Stunden und zu dir zu sagen: ‚Gott krönt mich mit Gnade und Barmherzigkeit‘? Du hier in der Kirchenbank hast genauso eine solche Krone auf dem Kopf wie David und ich. Leider vergessen wir das allzu oft. Leider vergessen wir, wer wir in Gottes Augen sind und denken nur daran, was wir in den Augen anderer sind.  
     Und schließlich heißt es noch in unserem Psalm: »Lobe den Herrn, meine Seele, der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler.« Wenn es uns seelisch nicht gut geht, sieht man uns das an. Dann ist der Blick stumpf und die Mundwinkel hängen nach unten. Dann ist alles Fröhliche aus unserem Gesicht weggewischt. Aber so hat uns Gott nicht gemacht. Er will keine Trauerminen. Seine Kinder sollen fröhlich sein und sich des Lebens freuen können, das er ihnen geschenkt hat. Und darum macht er unseren Mund wieder fröhlich, zaubert uns wieder ein Lächeln ins Gesicht, ohne dass uns das bewusst wird. Plötzlich kann man wieder unbeschwert lachen, auch wenn einem dazu gar nicht zumute war.
    Aber jung wie ein Adler? Macht Gott uns tatsächlich wieder jung?
In unserer Küche steht ein Basilikum-Topf. Wenn man das Gießen vergisst, sieht die Pflanze ziemlich verwelkt aus. Doch genügt ein kräftiger Schluck aus der Gießkanne und nach ein paar Stunden ist sie wieder frisch und lebendig. Nur allzu lang sollte man mit dem Gießen nicht warten, sonst ist das Basilikum verdorrt und kein Wasser der Welt bringt es ins Leben zurück. Wenn du also in deiner Trauer, in deiner Enttäuschung und in deinem Selbstmitleid vor dich hinwelkst, sieh zu, dass deine Seele nicht verdorrt wie eine Mumie. Gut sieht das nicht aus. Mumien haben nichts Lebendiges mehr an sich.
     Vor vielen Jahren war ich in Ägypten im Tal der Könige. Dort war ein Großteil der Pharaonen des alten Ägyptens bestattet worden. Die Grabhöhlen und Wandmalereien kann man noch heute sehen. Die Mumien der Könige und ihrer Familien aber sind längst verschwunden.
     Eine Frau aus unserer Reisegruppe musste dringend austreten und ging in den Eingang einer Höhle, die nicht mehr fertiggestellt worden ist und deshalb auch nicht besichtigt wird. Als sie wieder herauskam, sagte sie, dass da irgendetwas Gruseliges auf dem Boden liegen würde. Ich bin hingegangen und fand den Torso einer Mumie. Füße, Hände und Kopf waren nicht mehr vorhanden. Vermutlich sind sie von Grabräubern abgetrennt und verkauft worden. Aber Brustkorb und Becken, ein Arm- und ein Beinknochen waren noch da. Die Mumie war schwarz wie die Nacht und leicht wie Papier. Ich habe sie wieder hingelegt. Als ich in der Gruppe davon erzählte, wollte mir in den nächsten Stunden niemand mehr die Hand geben, mit der ich die Mumie angefasst hatte.
     Nein, meine Seele soll keine so vertrocknete Mumie sein. Sie soll erfüllt sein von Gottes Geist, vom Geist seiner Barmherzigkeit und Liebe, vom Geist der Freude, der Vergebung und der Kraft. Sie soll frisch und gesund sein wie Basilikum, das regelmäßig gegossen wird. Paulus sagt dazu: »Wir verlieren nicht den Mut. Denn wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.« (2. Korinther 4,16)
     Doch was heißt das nun konkret? Wie ist das, wenn es dir so richtig schlecht geht, weil dich deiner Meinung nach andere schlecht behandeln? Hast du dann die Kraft, dich mit deinem Glauben gegen sie zu wehren oder ergibst du dich in dein Schicksal?
    Eine der stärksten Waffen, die dir hilft, dich von anderen nicht fertig machen zu lassen, ist, dass du deine Fäuste öffnest und für sie betest. So wie auch Jesus, kurz bevor er am Kreuz starb, für seine Feinde gebetet hat: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“
    So zu beten ist natürlich alles andere als leicht. Da musst du dich schon sehr überwinden. Aber zugleich überwindest du damit auch jene, die dir feindlich gesinnt sind. Auch wenn sie selbst nicht wissen, dass sie von dir überwunden sind, du weißt es. Du weißt, dass du über ihre Gemeinheit und deine ohnmächtige Wut, über ihre Rücksichtslosigkeit und deine Depression gesiegt hast. Denn wer für seine Feinde beten kann, dass Gott ihnen vergebe und sie segne, - wer das kann, der ist nicht mehr Opfer. Der überwindet und siegt. So hat auch Jesus seine Feinde überwunden und über ihre Bosheit gesiegt.
     Ja, so zu beten ist alles andere als leicht. Und seinen Feinden zu vergeben, ist alles andere als einfach. Und das funktioniert ja auch nicht von jetzt auf gleich. Wer anderen vergeben will, die ihn tief verletzt haben, der muss das immer wieder tun. Einmal reicht nicht. Nach kurzer Zeit kommen all die negativen Erinnerungen wieder hoch und dann fühlst du die Bitterkeit und den Schmerz. Und dann? Dann beginnt dieser innere Kampf aufs Neue. Dann musst du dich aufs Neue überwinden und wieder für die beten, die dir so wehgetan haben. Dann musst du ihnen wieder vergeben. Und weil das oft nicht erreicht, musst du dich ein drittes und fünftes und zehntes Mal überwinden.
     Denn wenn du das nicht tust, macht dich die Bitterkeit bitter, zerfrisst dich die Wut, zerstört dich die Depression. Doch du bist nicht dazu bestimmt, Opfer zu sein und dein Leben von anderen kaputtmachen zu lassen. Deine Bestimmung, die Gott dir gegeben hat, ist, dass du dich deines Lebens freuen kannst, dass du seelisch gesund bleibst und dich dem Leben öffnest, statt dich zu verschließen.
     Wenn du im Winter ins Freie gehst, ziehst du einen warmen Mantel an, um dich gegen die Kälte zu schützen. Doch wenn dich andere verletzen, was ziehst du an, um deine Seele zu schützen?
    Fünf Antworten hat mir der Psalm 103 darauf gegeben:
  1. Lege auf deine Seelenwaage ein Gegengewicht gegen die schweren Stunden. Lobe Gott und erinnere dich, was er dir bisher Gutes getan hat.
  2. Denke daran, dass Gott dir vergeben hat, als du falsche Entscheidungen getroffen hast und schuldig geworden bist.
  3. Mach dir bewusst, dass du von ihm mit Gnade und Barmherzigkeit gekrönt bist.
  4. Wickle dich nicht wie eine Mumie in Selbstmitleid ein, sondern öffne dich seinem Geist, damit deine Seele wieder jung und frisch wird.
  5. Wehre dich gegen die, die dir wehgetan haben. Bete für sie und vergib ihnen, damit die Verletzungen heilen können und du an deinem Leid nicht zu Grunde gehst.
So kannst du dich schützen. So kannst du genesen. So kannst du dich deines Lebens wieder freuen. Und darauf kommt es doch an. 
Amen

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