Predigt im Johanni-Gottesdienst auf dem
Reisach-Friedhof
Predigttext: Römer 12,18+21
Liebe Freunde,
471 Jahre ist es her, da standen hier zum ersten Mal
Bewohner aus unseren Dörfern, um mit Gottes Wort und einem Vaterunser Abschied
zu nehmen von einem Toten. Seitdem sind hier zahllose Verstorbene beerdigt
worden. Fast jeder von uns hat hier Angehörige liegen und für viele von uns
wird hier einmal die letzte Ruhestätte sein. Auch für mich. So wünsche ich mir
das jedenfalls.
Doch heute findet hier keine Beisetzungsfeier statt.
Wir feiern den traditionellen Johanni-Gottesdienst auf dem Reisach-Friedhof.
Dazu sind auch heuer wieder wie jedes Jahr Gäste von auswärts angereist, die
hier Gräber von Angehörigen haben. Sie darf ich besonders begrüßen.
Mit den Grabsteinen vor Augen wollen wir gemeinsam der
Toten ge-denken und unser Leben be-denken. Der Friedhof ist ein Ort, wo manche
Maßstäbe wieder zurecht gerückt werden. Hier, auf dem Gottesacker, wird uns am
ehesten bewusst, was in einem Menschenleben wichtig ist und was nicht, was
zählt und was nicht. - Gedenken und bedenken - darum geht es jetzt: Lasst uns
darauf besinnen, was das Leben und Zusammenleben unter uns, in unseren Häusern
und Dörfern erträglich macht. Lasst uns also hier auf dem Friedhof auch unser
eigenes Leben im Lichte von Gottes Wort bedenken.
Dazu hören wir das Predigtwort für den heutigen
Sonntag. Es steht im Brief des Apostels Paulus an die Christen in Rom, im
Kapitel 12 und heißt:
Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes
bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt
mit allen Menschen Frieden. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern
überwinde das Böse mit Gutem.
Der Johanni-Tag und die Gräber hier mahnen uns an die
eigene Vergänglichkeit. Sie rufen dir ins Gedächtnis, dass heute der erste Tag
vom Rest deines Lebens ist. Was werden wir, was willst du mit der Zeit
anfangen, die dir noch bleibt? Wirst du sie so füllen, dass du am Ende sagen
kannst: „Ja, ich hatte ein erfülltes Leben trotz aller Mühe und Plage, trotz
manchem Streit und Verdruss, trotz mancher Enttäuschung, manchem Schmerz und
manchem Leid.“ – Ist es vielleicht sogar so, dass auch diese schwierigen Dinge,
auch die dunklen Seiten dazu beitragen, dass sich ein Menschenleben erfüllt?
Oder müssen wir am Ende sagen: Mein Leben ist vergeudet, verloren, vertan?
Damit das Leben gelingt, gibt der Apostel Paulus
deutliche Hinweise. Zwei Sätze stechen hervor. Einmal: "Soweit es an euch
liegt, sollt ihr mit jedermann Frieden halten." Und zweitens: "Lass
dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem."
Im Deutschen haben wir das Sprichwort: "Es kann
der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht
gefällt." Wir nehmen es zu oft zum Vorwand, um die Schuld am Unfrieden in
unseren Familien und Dörfern auf andere zu schieben. Böse ist meistens immer
der andere, der Nachbar, die Schwägerin, die Schwiegereltern usw. Selten kommt
einer zur Einsicht, dass er selbst der böse Nachbar, die böse Schwägerin usw.
sein könnte.
Doch wenn wir ein erfülltes Leben führen möchten,
dürfen wir nicht darauf warten, dass es andere für uns füllen. Das müssen wir
schon selbst tun. In einem Gebet heißt es dazu: "Lieber Gott, hilf, dass
wir in der Familie weniger Streit haben und fange du bei mir damit an."
Im Herzen eines Menschen sammelt sich ja im Lauf eines
Lebens allerhand an. Jede Enttäuschung, jede Gemeinheit, jede Kränkung und
Verletzung, die uns einmal bereitet worden ist, ist darin sorgsam aufbewahrt
hinter einer Tür, auf der steht "Bitterkeit". Bei nächstbester
Gelegenheit holen wir das alles wieder hervor und sagen: Der oder die ist
damals so und so zu mir gewesen, das vergesse ich nie. Das mag sein, dass
manches nicht vergessen werden kann. Doch dann soll es wenigstens vergeben
werden, so wie Gott auch mir vergibt.
Ich bin überzeugt, wenn die Toten sprechen könnten,
würden sie sagen: „Macht euch die kurze Lebenszeit nicht selbst kaputt durch
euren Unfrieden, euren Streit, eure Unversöhnlichkeit. Seid gut zu euch selbst
und schließt Frieden, mit denen ihr euch schwer tut. Macht das rechtzeitig,
bevor es zu spät ist und das kann bald sein.“ Wie viele, auch hier, leiden
darunter, dass plötzlich der Tod einen Menschen geholt hat, ohne dass man sich
mit ihm aussprechen und aussöhnen konnte. Jeder Grabstein hier sagt: Es gibt
ein zu spät. Warte also nicht. Bring das Verhältnis zu deinen Mitmenschen in
Ordnung, versuch es wenigstens, damit du dir nichts vorzuwerfen hast.
Es gibt manche Dinge, die muss man auch mal so stehen
lassen ohne dass sie zu meiner Zufriedenheit geregelt werden können. Es gibt
manch alten Streit, den kann man nicht mehr schlichten, sondern nur noch
begraben. Wer im Recht ist und wer im Unrecht, das muss manchmal dahingestellt
bleiben - auch wenn's schmerzt. Und es gibt manche Dinge, die kann einer nicht
mehr vergeben, wenn die Verletzungen zu tief waren und die Folgen zu schwer. Da
bleibt einem als letzte Zuflucht nur noch Gottes Erbarmen, dass er selbst auch
heute das Böse mit Gutem überwindet wie er es in Jesus am Kreuz getan hat und
dass er vergibt, was ein Mensch nicht
vergeben kann.
Wir sind hier als Christen zum Gottesdienst
versammelt, weil wir glauben, dass da einer über uns ist, der uns Menschen ins
Herz sehen kann; der gerecht richtet und dafür sorgt, dass das Gute siegt und
die Gerechtigkeit triumphiert. Ihm kann ich geben, was mich kränkt und was mein
Herz vergiftet, damit ich wieder frei werde von diesem Ballast und mich des
Lebens freue.
Amen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen