Sonntag, 3. September 2017

Wer willst du sein? (Predigt) hl

Predigt von Hans Löhr anlässlich einer Beerdigung am 2.9.17

Liebe Frau Ringler, liebe Angehörige des Verstorbenen, liebe Trauergäste,

vor dem Haus vom Thanner Schmied steht eine Bank. An ihrer Rückenlehne ist ein kleines Messingsschild angebracht. „Lore und Hans“ steht darauf. Ich weiß nicht, wie oft beide darauf gesessen sind. Und wenn, dann hat Johann Ringler zumeist seine Pfeife geraucht. Ob er dann auch auf manche Begebenheit aus seinen 82 Lebensjahren zurückgeschaut hat? Auf seine Kindheit, die er im selben Haus verbracht hat zusammen mit seinem Bruder Erwin und seiner Schwester Luise? Er wird wohl auch an seine Schulzeit hier in Thann gedacht haben und an seine Gesellenjahre in Oberbayern. Ob er auch an seinen Vater gedacht hat, den alten Schmied von Thann, der die Schmiede wiederum von seinem Vater übernommen und sie später an seinen Sohn Johann weitervererbt hat? Vielleicht hat er sich, wenn er den Hof vor sich gesehen hat, der Pferde erinnert, die er da selbst noch beschlagen hat. Er war ja nicht nur Schmiedemeister, sondern auch gelernter Hufschmied, ja sogar Installateur. 
     Vielleicht hat er auch daran gedacht, wie vieltausendmal die Einwohner aus Thann und den Dörfern ringsum zu ihm gekommen sind, Erwachsene wie Kinder, um bei ihm etwas zu kaufen oder reparieren zu lassen, einen Traktor oder ein Fahrrad, einen Wasserhahn oder eine Sämaschine, einen Tacho oder einen Rasenmäher. Vermutlich hat er auch an die Zeit gedacht, als seine drei Kinder in diesem Hof gespielt haben, Bernhard, Karin und Jochen. Und wahrscheinlich hat er sich dann auch still über seine Enkelkinder Valentin und Annabell gefreut. Er wird sich der Familienfeiern erinnert haben, als man 1948 in der Stube seine Konfirmation feierte, als sich elf Jahre später vom Hof aus der Hochzeitszug zur Kirche in Gang setzte oder als er da viele Jahre später als Rauenzeller Schützenkönig gefeiert wurde. Und noch frisch in Erinnerung wird ihm sein 80. Geburtstag gewesen sein, als sein geliebter Posaunenchor für ihn gespielt hat. Das alles und vieles mehr mag ihm durch den Sinn gegangen sein, wenn er mit seiner Lore oder allein auf der Bank vor seinem Haus saß und an seiner Pfeife zog.
     Die Schmiede gibt es schon lange nicht mehr. Aber er ist bis zuletzt der Thanner Schmied geblieben. Und wenn etwas gerichtet werden musste in Haus oder Hof, dann konnte man nach wie vor zu ihm kommen, dann hieß es: „Johann, könntest du nicht mal dies oder das reparieren, ich krieg das nicht hin.“
Auch für unsere Kirchengemeinde war er immer wieder unentgeltlich tätig, wenn auf dem Friedhof oder in der Kirche oder im Gemeindehaus sein Geschick gebraucht wurde. Und geschickt war er, einer, der sein Handwerk verstand und der bis zum Ausbruch seiner Krankheit Freude daran hatte, sich in seiner alten Schmiede zu beschäftigen und zum Beispiel den Kramer-Traktor wieder tipp topp herzurichten. Ich sehe noch den Stolz in seinem Gesicht, als er mir das historische Schmuckstück zeigte.
Aber Johann Ringler hatte noch andere Qualitäten. Er war musikalisch, hat zu Hause auf seiner Heimorgel Choräle gespielt und 50 Jahre treu und zuverlässig im Posaunenchor mitgewirkt ob in den Gottesdiensten oder bei anderen Gelegenheiten und natürlich bei den Beerdigungen. Heute nun spielen seine Bläserkameraden ihm den letzten Gruß. Für sie hat er auch die Fische aus seinen Teichen geliefert für das jährliche Karpfenessen des Chores.
Johann Ringler war Ortssprecher von Thann, Wasserwart in Rauenzell, Kirchenvorsteher, Mitglied der Feuerwehr, im Taubenverein, im Schützenverein und hat regelmäßig seinen Stammtisch besucht. Er war gesellig und hilfsbereit, in der Öffentlichkeit präsent und weit über Thann hinaus bekannt. Der Johann, der Thanner Schmied, war in seinem Dorf eine Persönlichkeit, eine prägende Gestalt.

     Wenn mich jemand fragt, was denn das ist „Gottes Segen“, dann kann ich sagen: Schau dir das Leben von Johann Ringler an, die 82 Jahre, die 58 Jahre mit seiner Frau, seine drei Kinder, seine zwei Enkelkinder, sein Ansehen in unseren Dörfern, seine Begabungen und all das, was er geschafft hat und was ihm gelungen ist. Das alles zusammen ist Gottes Segen.
Aber etwas fehlt noch, und das ist sein Glaube. Johann Ringler ist Zeit seines Lebens Gott treu geblieben, weil er erlebt hat, dass Gott ihm treu war. Er hatte in der Kirche seinen Stammplatz oben auf der Empore direkt vor der Orgel. Für mich gehörte er sozusagen zum Inventar. Jedesmal, wenn ich auf der Kanzelstand, saß er mir gegenüber. Es gibt wohl keinen anderen Kirchenbesucher als ihn, den ich beim Predigen sooft angeschaut habe. Und jetzt fehlt er auch da.
     Weit über tausendmal war er in seiner Peterskirche. Hier wurde er getauft, konfirmiert, getraut. Hier hat er die Taufen seiner Kinder gefeiert und deren Konfirmationen. Hier hat er zahllose Male Weihnachten, Ostern und Erntedank gefeiert. Hier hat er in den Trauergottesdiensten von vielen Abschied genommen, die vor ihm gegangen sind, von Eltern, Nachbarn und Freunden. Und heute nehmen wir hier von ihm Abschied.

     Wir tun das mit dem Bibelwort, das er 1948 zu seiner Konfirmation bekommen hat. Es steht im Evangelium des Johannes Kapitel 14 Vers 6 und heißt: »Jesus spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“« Und er fügt hinzu: »Wenn ihr mich kennt, so kennt ihr auch meinen (und euren) Vater.«
Das, liebe Freunde, ist unser Glaube. Genau das. Denn wir glauben nicht an irgendeine dunkle Schicksalsmacht, die man Gott nennt. Nicht an eine höhere Idee, nicht an ein unbegreifliches geistiges Wesen, nicht an den Zufall, nicht an eine anonyme Kraft oder irgendetwas Geheimnisvolles, von dem wir nicht genau wissen, was es ist. 
     Als Christen glauben wir an den Gott, der sich uns in Jesus gezeigt hat, der uns in ihm nahegekommen ist, an den gnädigen und barmherzigen Gott, den Schöpfer aller Dinge und den Vater der Menschen. Er ist die Macht und die Kraft, die alles bewegt. Er ist es, der dich ins Leben gerufen hat, der dich durch gute und schlechte Zeiten bringt, der dein Leben bis heute erhält. Er sorgt dafür, dass dein Herz schlägt ob du wach bist oder schläfst. Er hält seine schützende und segnende Hand über dir bis zu diesem Augenblick in der Kirchenbank. Und noch etwas, das Wichtigste: Dieser einzige und einzigartige Gott, der das ganze unermessliche Universum regiert, er liebt dich, weil du sein Kind bist und bleibst. Und er tut das nicht, weil du so gut wärest, so brav, so tüchtig, so fromm. Er tut das nicht, weil du so liebenswürdig wärst, sondern weil du seine Liebe brauchst. Diesen Gott und nur diesen hat uns Jesus so gezeigt wie er zu den Menschen war: barmherzig und gütig, freundlich und voll Geduld.

Und nun liegt es an dir, wer du sein willst.
- Ob du ein Mensch sein willst, der halt so dahin lebt, weil er meint, dass sowieso alles nur Zufall sei. Der sich nach dem richtet, was andere von ihm halten und danach, wie sie leben.
- Oder ob du ein Mensch sein willst, der morgens die Augen aufschlägt und sagt: „Ich bin geliebt. Ich bin von Gott geliebt. Er schenkt mir diesen Tag und alles was ich bin und habe. Er vergibt mir mein Versagen und nimmt alles weg, was mich von ihm trennt. Er ist bei mir, auch wenn ich allein bin. Er geht mit mir in diesen Tag und alle Tage meines Lebens bis er mich wieder zu sich ruft dorthin, wo es mit mir begonnen hat und wo er mich vollenden wird.
     Es liegt an dir, wie du dich selbst sehen willst, was du von dir selbst hältst, wie du dich achtest und wie du anderen begegnest.
- Willst du der sein, der sich halt so durchschlägt durchs Leben, der auf Gedeih und Verderb anderen Menschen ausgeliefert ist, ihren Meinungen und Urteilen und so lange funktioniert, bis alles aus ist für immer.
- Oder willst du der sein, der ein Sohn, eine Tochter des Höchsten ist, der seine Menschenwürde von Gott hat, einer, der gesegnet ist, behütet und geliebt? Es liegt an dir, welcher von beiden du sein willst. Du hast die Wahl. Johann Ringler hatte seine Wahl getroffen. Er hat sein Leben im Licht der guten Nachricht von Gott gelebt. Aus dem Glauben hat er Freude und Energie geschöpft. Sein Glaube gab ihm die Kraft, die Herausforderungen dieses Lebens zu bestehen.

Ein Dorf, eine Gemeinschaft von Menschen braucht solche wie ihn, auf die man schauen, an denen man sich orientieren, die man sich zum Beispiel nehmen kann. Und damit meine ich nicht seine Leistungen, seine Erfolge und seinen Lebenswandel. Auch Menschen, die nicht glauben, auch Atheisten können Großes vollbringen und ein achtenswertes Leben führen. Und umgekehrt gilt, dass auch Johann Ringler keineswegs vollkommen war. Auch er hatte seine Schwächen und ist manchen etwas schuldig geblieben. Auch er hatte und hat es nötig, dass man ihm verzeiht so wie auch ich es nötig habe, dass mir verziehen wird. Nein, nicht der Mensch Johann Ringler ist ein Vorbild, sondern der Christ, der in zahllosen Gottesdiensten zahllose Male mit anderen zusammen gebetet hat: „Der allmächtige Gott erbarme sich unser, er vergebe uns unsere Sünde und führe uns zum ewigen Leben!“ Denn jeder, der bewusst Christ sein will, steht dafür, dass er von Gottes Vergebung lebt und dass er sich darum bemüht, auch anderen zu vergeben.

Vor dem Haus vom Thanner Schmied steht eine Bank. An ihrer Rückenlehne ist ein kleines Messingsschild angebracht. „Lore und Hans“ steht darauf. Der Hans wird künftig nicht mehr auf dieser Bank Platz nehmen und Pfeife rauchen. Aber es wird andere geben, die sich hin und wieder zur Lore auf die Bank setzen und ihr damit zeigen: Wir lassen dich nicht allein.

Amen

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