Predigt von Hans Löhr in den
Christvespern in Thann und Sommersdorf.
Liebe
Weihnachtsgemeinde,
diese
Predigt beginnt mit einer Geschichte, die auf den ersten Blick mit Weihnachten nichts zu tun hat. Doch sie kann uns helfen, besser zu verstehen, worum es
an Weihnachten geht. Ich habe diese Geschichte kürzlich als WhatsApp Video von
einem Freund ohne Kommentar zugeschickt bekommen. Ich weiß nicht, ob sie sich
tatsächlich ereignet hat oder erfunden ist. Doch nun will ich sie euch
erzählen:
Verkleidet als ein Obdachloser mischt
sich ein Mann unter die vielen Menschen vor einer Kirche. Zusammen mit ihnen
wartet er gespannt auf den neuen Pfarrer, der sich an diesem Tag im Gottesdienst
vorstellen will. Doch niemand ahnt, dass er schon da ist, verkleidet. Nur ein
Kirchenvorsteher ist eingeweiht. 30 Minuten lang geht der neue Pfarrer in
seiner Verkleidung als Obdachloser unter ihnen umher, während sich die Kirche mit Menschen
füllt. In dieser Zeit sagt nur eine einzige Person „Hallo“ zu ihm. Als er um Wechselgeld
bittet, um sich etwas zu essen zu kaufen, bietet ihm niemand was an. Er geht in
den Altarraum, um sich hinsetzen zu können. Aber sofort kommt ein Platzanweiser
und sagt ihm, dass er sich doch hinten hinsetzen könne. Als er dorthin geht, grüßte
er die Leute in den Bänken. Doch niemand grüßt zurück. Niemand rückt, um ihm
Platz zu machen. Man hat für den vermeintlich Obdachlosen nur abwertende
Blicke übrig und sieht abschätzig auf ihn herab. Schließlich setzt er sich ganz
hinten in die Kirche. Dann ist es soweit. Der Gottesdienst beginnt. Dann verkündete der Kirchenvorsteher die
Ankunft des neuen Pfarrers: »Wir freuen uns, Ihnen jetzt unseren neuen Pfarrer vorstellen
zu können. Bitte, Herr Pfarrer, kommen Sie.«
Die Leute recken die Hälse und
klatschten erwartungsvoll. Zu ihrer Überraschung und Verwirrung steht der
Obdachlose auf und geht langsam nach vorn zum Altar. Das Klatschen verstummt.
Alle Augen sind auf ihn gerichtet. Als er den Altar erreicht, nimmt er das
Mikrofon und hält für einen Moment inne. Er sieht die Gemeinde an und erzählt,
was er an diesem Morgen erlebt hat. Dann sagt er: »Ich hoffe, dass ihr alle
nach Hause geht und darüber nachdenkt, was hier heute Morgen passiert ist.
Schaut in eure Herzen. Wir sehen uns nächsten Sonntag.« Viele Köpfe senken sich
vor Scham. Betroffen erkennen sie ihre eigene Unfreundlichkeit. Manche beginnen
zu weinen.
Es spielt keine Rolle, wie viele
Sonntage du in der Kirche sitzt, oder ob du denkst, dass du erlöst wirst. Gott
sieht, was du tust – und wie du andere behandelst. Das ist es, was wirklich
wichtig ist.
Damit endet die Geschichte. Und nun frage ich dich: Wie geht es dir damit? Gefällt
sie dir? Bevor du antwortest, sage ich etwas dazu: Mir gefällt sie nicht.
Die
Menschen, von denen da erzählt wird, sind keine anderen als ihr, die ihr jetzt
hier in der Kirche seid. Sie sind wie du – und wie ich.
Was
hat denn der als Obdachloser verkleidete Pfarrer mit ihnen gemacht? Er hat sie
beschämt. Hat sie bloßgestellt. Hat einige von ihnen sogar zum Weinen gebracht.
Ja, es stimmt schon, dass Jesus gesagt hat: „Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Was ihr einem
von diesen geringsten meiner Menschenbrüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Das hat er gesagt. Doch er hat den Menschen, die ihm aufrichtig zuhörten, kein
schlechtes Gewissen gemacht und mit einer fragwürdigen Moral von oben herab
belehrt. Er kennt uns doch und weiß, dass wir nun mal so sind, wie wir sind, damals
wie heute.
Wenn
Gott uns mit Jesu Augen anschaut, wenn er dir ins Herz schaut, was sieht er da?
Sieht er einen Menschen mit Fehlern, der vor ihm immer wieder versagt, der die
Gebote nicht einhält, der negative Gefühle und finstere Gedanken hat gegenüber
anderen Menschen, der egoistisch sein kann und dem der Glaube oft egal ist? Ja,
das sieht er.
Aber
er sieht noch etwas anderes, was ihm wichtiger ist. Er sieht deine
Enttäuschungen. Sieht, womit dich andere verletzt haben. Sieht deine Wunden und
die Narben an deiner Seele. Er sieht deine Zweifel, ob du überhaupt jemandem
trauen kannst und deine Angst vor dem Altwerden. Er sieht, wenn du krank bist
und Schmerzen hast. Sieht, ob du traurig bist und einsam.
Doch
das Wichtigste, was er in deinem Herzen sieht, ist deine Sehnsucht, geliebt zu
werden. Und darum, liebe Freunde, ausschließlich darum ist es Weihnachten
geworden, weil wir Liebe brauchen, weil wir liebesbedürftig sind, du und ich.
Es
mag schon sein, dass du an anderen Menschen schuldig geworden bist, auch an
Gott und dir selbst. Das mag alles sein und das trifft ja alles auch auf mich
zu. Aber
gerade deshalb hat ja Gott Jesus in Bethlehem auf die Welt kommen
lassen, um dich zu beschenken. Er schenkt sich dir in dem Jesuskind. Er schenkt
dir seine Liebe. Und du musst nichts dafür tun.
In
der Bibel heißt es dazu: Gottes Liebe zu uns ist
für alle sichtbar geworden, als er seinen einzigen Sohn in die Welt sandte,
damit wir durch ihn leben können. Das Einzigartige an dieser Liebe ist:
Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns seine Liebe geschenkt. 1.
Joh. 4,9+10
Wie
sonst sollte etwas besser werden in meinem Leben und in deinem und überhaupt in
der Welt? Würde etwas besser werden, wenn er dich beschämen würde und belehren
wie jener Pfarrer in der Geschichte oder gar bestrafen? Bestimmt nicht. Man
kann vielleicht einen Menschen in Schach halten, wenn man ihm tüchtig Angst
macht. Aber man kann ihn nur dann zum Guten ändern und seine Seele heilen, wenn
man ihn liebt. Uns ändert nur die Liebe und nicht die Scham.
Ich
weiß, liebe Freunde, dass man in dieser Welt mit ihren Problemen und Katastrophen
auf den ersten Blick nichts davon merkt. Und vielleicht merkst auch du in
deinem Leben nichts davon, weil dich Sorgen drücken und du mit Schwierigkeiten
kämpfen musst. Aber vielleicht hast du trotzdem eine kleine Hoffnung, dass es
dir gut tut, heute Abend hier zu sein. Vielleicht hoffst du, dass die
Weihnachtsgeschichte, die Lieder, Gebete und was ich in dieser Predigt sage,
trösten und ermutigen.
Dann
kann ich dir zusagen, dass Gott deine Hoffnung erfüllen wird. Du gehst anders
wieder heim als du hergekommen bist. Und was du hier gehört hast, wird in dir
fortwirken. Wie genau, das weiß ich nicht. Das weiß nur er. Doch er schickt
dich nicht mit einem leeren Herzen wieder heim. Gott hat dich beschenkt und dabei
bleibt es. Nun liegt es an dir, ob du sein Geschenk annehmen willst. Es liegt
in der Krippe und wartet darauf, dass du es auspackst.
Und ein Letztes: Wenn es dir gut tut, dass
Gott dich in dem Jesuskind bedingungslos liebt, dann sag heute danke, einfach
nur danke. Das genügt. Und wenn du einen Obdachlosen siehst, so verachte ihn
nicht. Sieh ihn an und schenke ihm ein Lächeln. Auch er ist ein Gotteskind wie
du und wird bedingungslos geliebt. Amen
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