Losung: Mose wollte den HERRN, seinen Gott, besänftigen und sprach: Ach, HERR, kehre dich ab von deinem glühenden Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. 2.Mose 32,11.12
Lehrtext: Wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. 1.Johannes 2,1
Liebe Leserin, lieber Leser,
wow, das ist eindrucksvoll, wie Charlton Heston im Hollywood-Film „Die Zehn
Gebote“ als Mose sagt: »HERR, kehre dich ab von deinem glühenden Zorn.« Da
meint man, Gott mit vor Zorn geschwellten Adern vor sich zu sehen und duckt
sich unwillkürlich.
Nun ja, ob der Schöpfer des Universums vor Zorn geglüht hat, als die kleine
Schar der Israeliten auf dem winzigen Planeten Erde damals um das Goldene Kalb tanzte?
Sie wollten halt auch einen Gott zum Anschauen und Anfassen haben wie die
anderen Völker ringsum; denn mit dem unsichtbaren taten sie sich schwer. Und
dann war ja auch noch Mose, ihr Anführer, auf dem Berg Horeb verschwunden, wo
er die Gebote Gottes entgegennehmen sollte, und kam ewig nicht zurück. Wer oder
was sollte ihnen denn dann noch Halt geben?
Ich kann mir schon denken, warum die unbekannten Verfasser der Mose-Geschichten von Gottes glühendem Zorn geschrieben haben. Sie wollten damit den Israeliten für alle Zeiten einbläuen, dass sie sich ja nie von Gott abwenden und seine Gebote missachten dürften. Sonst, so glaubten sie, wäre das Volk verloren. Nein, diese Leute haben den Gläubigen nichts vorgelogen. Sie haben nur das weitergegeben und in Geschichten gefasst, was sie selbst geglaubt haben. Für sie war Gottes Zorn Wirklichkeit. Sie konnten ihn sich gar nicht anders vorstellen.
In gewisser Hinsicht haben sie bis heute recht. Eine Gruppe, ob Familie oder Volk, ist ohne Werte, an denen sie sich orientieren kann, in der Tat verloren. Jede Generation muss sich aufs Neue die Grundwerte der vorigen zu eigen machen, wenn sie in stabilen Verbänden und in einer stabilen Gesellschaft leben will. Und dazu haben die Religionen im Lauf der Menschheitsgeschichte entscheidend beigetragen. Aber muss man deshalb von "Gottes glühendem Zorn" reden. Ich halte es da lieber mit Martin Luther, der sagte: »Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der da reichet von der Erde bis an den Himmel.« (WA 10 III, 55-58)
Brauchen wir dann überhaupt bei Gott einen Fürsprecher wie Mose oder Jesus oder die katholischen Heiligen? Ist er denn so streng und leicht erregbar, dass man in ständiger Angst vor ihm leben muss? Muss man denn fürchten, dass er jede Sünde sofort bestraft? (Lehrtext)
Wie oft war es nicht die Mutter, die für ihre Kinder ein begütigendes Wort beim Vater eingelegt hat, vor allem in patriarchalischen Zeiten. Und die sind ja noch längst nicht überall vorbei. Wie oft meinte nicht der Vater, seine Autorität damit unter Beweis stellen zu müssen, dass er gegenüber seinen Kindern streng und unnachsichtig war. Nur so, meinte er, bei anderen Männern als Familienoberhaupt anerkannt zu sein. Wer kann schon das Leid wiegen, das Ehefrauen und Kinder deshalb tragen mussten?
Wie so oft ist auch in dieser Hinsicht viel Allzumenschliches auf Gott
übertragen worden. Hier der allmächtige, strenge Vater und dort der
sanftmütige Gottessohn, der sein Leben dahingibt, um uns vor ewigen Strafen zu
bewahren. Das ist das Narrativ, die wirkmächtige Erzählung der Christen von
ihren Anfängen bis heute. Man lese nur mal die Passionslieder in unserem
Gesangbuch nach. Doch dieses Narrativ hat in den westlichen Ländern seine
Schrecken und seine Kraft verloren. Es ist zumeist nur noch bei Evangelikalen gruppenbildend und identitätsstiftend. Auch bei der großen
Mehrheit der Christen in Osteuropa und in den südlichen Ländern wirkt es noch heute.
Wir in Westeuropa, so meine ich, brauchen ein anderes Narrativ, das wir
nicht frei erfinden müssen, sondern ebenfalls der Bibel entnehmen können. Wir
brauchen die Erzählung von der großen Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen, die
sich in Jesus Christus zeigt und die alle einschließt, auch seine Feinde. Damit
ziehen wir dem Christentum den Giftzahn der Exklusivität und der verhängnisvollen Rechtgläubigkeit, womit in der Geschichte Christen sich gegenseitig sowie
Andersgläubige gebissen und vergiftet haben.
Weder sind wir von Gott erwählt noch sind wir im Alleinbesitz der Wahrheit.
Wir sind von Gott angenommen wie alle anderen auch und haben unsere
Glaubenswahrheit wie Menschen anderer Religionen die ihre. Als Christen haben
wir vor Gott keinen Vorteil gegenüber anderen in anderen Religionen, gegenüber Fremdgläubigen
und Ungläubigen. Diese Einsicht macht uns nicht ärmer, sondern reicher. Sie
macht uns toleranter, friedlicher und versöhnlicher. Sie hilft uns das Fremde
zu achten und das Eigene zu schätzen.
Ich muss und will meinen Glauben an den allmächtigen Schöpfer, der mir in
der Krippe und am Kreuz begegnet, nicht verwässern, indem ich Christus
preisgebe. Er gibt mir alles, was ich brauche, um glücklich und zuversichtlich,
freundlich und zuvorkommend, getrost und dankbar sein zu können. Wer den
Glauben aufgibt, hat vielleicht noch gar nicht geglaubt. Hat sich vielleicht
noch nie ganz und gar Gott anvertraut. Der weiß offenbar nicht, was er
verliert, weil der Glaube seine Seele noch nicht reich gemacht hatte.
Nein, ich brauche keine extra Fürsprecher, weder im Himmel noch auf Erden,
weder Stellvertreter noch Heilige, weder Bischöfe noch charismatische
Gemeindeleiter. Ich brauche Gott selbst, so wie er sich mir in Jesus zeigt. Er glüht nicht vor Zorn, sondern vor Liebe. Er
ist der Barmherzige, vor dem ich mich nicht fürchten muss. Er ist mein „starker
Helfer in der Not“, meine Freude und meine Zuversicht.
Und wieder bete und singe ich:
Gebet:
Meine Hoffnung und meine Freude,
meine Stärke, mein Licht:
Christus meine Zuversicht,
auf dich vertrau ich und fürcht' mich nicht,
auf dich vertrau ich und fürcht' mich nicht.
Herzliche Grüße,
Ihr / dein Hans Löhr
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