Freitag, 7. Juni 2024

Licht und Schatten in der Bibel hl

Losung: Der HERR spricht: Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe. 2. Mose 23,20 

Lehrtext: Als die Weisen aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen. Matthäus 2,13 

Liebe Leserin, lieber Leser,

die heutige Losung ist auf den ersten Blick ein wunderbar tröstendes und mutmachendes Wort. Liest man sie allerdings in ihrem Zusammenhang (2. Mose-Buch, Kapitel 23, Verse 20 bis 33) ändert sie schlagartig ihre Farbe und ihren Sinn. Da ist der Schutzengel für das Volk der Israeliten zugleich ein Kriegs-, Würge- und Todesengel für seine Nachbarvölker. Auf Gottes Geheiß sollen die Israeliten sie vertilgen. Sie sollen umreißen, zerbrechen, terrorisieren, in die Flucht schlagen und vertreiben, ihnen Feind sein. Und sie sollen sie ausstoßen, immer wieder ausstoßen.

Nachwirkungen problematischer Bibelworte bis heute

Die fatale Wirkungsgeschichte solcher Bibelworte reicht bis in unsere Gegenwart, bis zum Landraub sogenannter, israelischer „Siedler“ in den Palästinensergebieten und bis zur Kriegführung der extremistischen, israelischen Regierung unter Netanjahu. Doch warne ich davor, sie mit der israelischen Bevölkerung insgesamt oder gar mit den Juden gleichzusetzen. Extremisten gibt es in jeder Religion, zu jeder Zeit und in jedem Land. 

Warum solche Worte wie im Umfeld der heutigen Losung in der Bibel stehen, hat für mich diese Gründe: Das zweite Mosebuch wurde Jahrhunderte nach den Ereignissen, die es schildert von unbekannten Verfassern, vermutlich Priestern, geschrieben. Offenbar gab es immer wieder Streit mit den Nachbarvölkern um Wasser und fruchtbares Land. Zugleich liefen die Israeliten Gefahr, die Götter fremder Religionen zu übernehmen und den eigenen Gott Jahwe herabzusetzen. Das hat ihre Identität bedroht, die durch ihren Glauben, ihre heiligen Schriften, Riten und Rituale gewährleistet wurde – und bis heute wird. Anders kann ich mir den Gewaltaufruf im zweiten Mosebuch nicht erklären. Vielleicht haben auch noch Minderwertigkeits– und Ohnmachtsgefühle dieses kleinen Volkes eine Rolle gespielt und es radikalisiert.

Öffnung zur Welt

Ganz anders im Neuen Testament. Da schotten sich die Christen nach anfänglicher Verunsicherung nicht mehr ab. Sie öffnen sich (Pfingsten). Sie verzichten auf Abgrenzung und Gewalt. Sie nehmen alle in ihre Gemeinschaft auf, die Jesus als ihren Herrn angenommen haben. So gehen sie „in alle Welt“ (Matthäus 28).  So verbreiten sie die frohe Botschaft (Evangelium) von Gottes Liebe, die in Jesus Mensch geworden ist. Da ist sein Engel kein Würgeengel, sondern Freudenbote und Friedensengel (Lukas 2,10). Kein Todesengel, sondern Schutzengel für das Jesuskind (Lehrtext) und Gottes Bote seiner Auferstehung.

Doch auch im Alten Testament stehen wunderbare Geschichten und Worte, auf die Jesus, die Evangelisten und die Apostel immer wieder Bezug nehmen. Ich kann mir meinen Glauben ohne diese Bibelteile nicht vorstellen, gerade weil ich sie als Christ lese und versuche, sie im Geist Jesu zu verstehen.

Das „Nachdenken über die Bibel“ mit Herz und Verstand wird keiner Generation erspart. Auf diesem Weg mache ich immer wieder neue Entdeckungen, die meinen Glauben wecken und das Vertrauen auf Gott stärken.

Gebet: Herr, „dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege“ (Psalm 119,105). Es gleicht dem Morgenstern, der schon den neuen Tag ankündigt, obwohl es noch dunkel ist. Gib mir deinen Geist, dass auch mir dieses Licht aufgehe und ich verstehe, was du mir heute sagen willst. Komm du selbst zu mir in deinem Wort, dass ich deinen Frieden erfahre und deine Liebe spüre. Amen

Herzliche Grüße,           

Ihr / dein Hans Löhr

--------------------------

Was die Bibel ist und wie man sie lesen kann
Vor vielen Jahren sagte mal jemand zu mir, er wisse alles über die Bibel. Schließlich habe er sie zweimal von Anfang bis Ende gelesen. — 
Dass das mal kein Missverständnis ist! 

Dieses „Buch“, wie das altgriechische Wort „Bibel“ auf Deutsch heißt, ist im Grunde genommen kein Buch, sondern eine ganze Bibliothek aus sechsundsechzig unterschiedlichen Schriften. Darin finden sich Berichte (Schöpfungsberichte), Erzählungen (die Geschichten von Abraham, Isaak, Jakob und Josef), Geschichtsbücher (Buch der Könige, die Chroniken), Gesetzestexte (Mose-Bücher), Abstammungslisten, Weisheitsbücher (Prediger Salomon, Hiob), Märchen (Jona, Bileam), ein großes Liebesgedicht (das Hohelied), Gebets- und Liedersammlungen (Psalmen), Prophetentexte, Evangelien, Briefe, apokalyptische Texte (Die Offenbarung). 
Sie alle wurden ohne Ausnahme von Menschen verfasst, aber von solchen, denen ihr Glaube, ihre Gottesbeziehung wichtig war und die damit auch andere stärken, trösten, unterweisen und zum Glauben ermutigen wollten.

Vieles in der Bibel ist staunenswert, bewundernswert, nachdenkenswert, glaubenswert. Sie hilft mir, mein Leben und diese Welt im Zusammenhang mit Gott zu sehen, wie er mir in Jesus begegnet. So kann ich die Glaubensberichte von ihm verstehen. Doch ich muss sie lesen nach der Maßgabe des Apostels Paulus: „Prüft alles und behaltet das Gute!" (1. Thessalonicher 5,21) Denn nicht alles in der Bibel ist für mich heute, 2000-3000 Jahre nach ihrer Entstehung, gültig, sonst wäre sie mir gleich-gültig. 

Ich lese sie, wie gute Simultandolmetscherinnen beim europäischen Parlament übersetzen: Nicht wortwörtlich, das wäre für die Abgeordneten aus den Ländern der europäischen Union schwer verständlich. Stattdessen muss eine Dolmetscherin sowohl den Sinn, den Geist als auch die Gefühle eines Redners / einer Rednerin erfassen und sinngemäß mit eigenen Worten wiedergeben. Um noch einmal Paulus zu zitieren: „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“ (2. Korinther 3,6)

Es genügt eben doch nicht, die Bibel von der ersten bis zur letzten Zeile durchzulesen. Um zu verstehen, was da geschrieben steht, sind Hintergrundwissen aus ihrer Entstehungszeit und Kenntnisse der in ihr enthaltenen, verschiedenen literarischen Gattungen hilfreich. Dabei können bibelkundige Menschen helfen, die solches Wissen zusammen mit der Glaubensbotschaft dieses Buches weitergeben.

**********************************************************
»Die Bibel ist so voller Gehalt, dass sie mehr als jedes andere Buch Stoff zum Nachdenken und Gelegenheit zu Betrachtungen über die menschlichen Dinge bietet.« J.W. von Goethe aus: „Dichtung und Wahrheit“
***********************************************************
Hinweis für Smartphone-Nutzer:
So finden Sie
alle seit 2010: Weiter nach unten gehen. Auf den Link "Web-Version anzeigen" tippen. In der rechten Spalte gewünschtes Jahr, Monat und Tag aufrufen.
***********************************************************
Sie können die Losungsauslegungen gerne über WhatsApp, E-Mail, Twitter, Facebook etc., weitergeben: Den Link einfach markieren, kopieren und versenden.
Mit Spracherkennung diktiert. Erkennungsfehler bitte melden. Sie werden nachträglich korrigiert.
***********************************************************
1728 erschien in Herrnhut die erste Tageslosung, ein Bibelwort aus dem Alten Testament, das für jeden Tag des Jahres ausgelost wird. Dazu wird der Lehrtext, ein passendes Bibelwort aus dem Neuen Testament, ausgesucht. Inzwischen erscheinen die täglichen „Losungen“ in etwa 50 Sprachen.
Ich lege Losung und Lehrtext aus, weil einer Untersuchung zufolge das Nachdenken über Bibelworte den Glauben am stärksten wachsen lässt.
***********************************************************

3 Kommentare:

  1. Guten Morgen Herr Löhr, es ist so wertvoll für mich, dass Sie so bibelkundig sind und mir dabei helfen die Worte der Bibel besser zu verstehen sowie einordnen zu können. Ich danke Ihnen von Herzen, dass Sie sich täglich die Zeit nehmen für die Auslegung der Losung, um diese zu veröffentlichen. Gott segne und behüte Sie und Ihre Lieben. Herzlichst Elke

    AntwortenLöschen
  2. Dem schließe ich mich an, lieber Herr Löhr, Ihre Kommentare helfen mir , Stellen, über die ich immer wieder gestolpert bin, einzuordnen und mein Unbehagen kann sich entspannen in dem Bewusstsein, dass ich nicht allein damit dastehe, dass es „in Ordnung“ ist. Und ich lerne viel . Freilich- das Wichtigste ist die Ermutigung, die Sie immer wieder vermitteln. Und Ihre Hilfe, auf Kurs zu bleiben.
    Herzlichen Dank! Barbara

    AntwortenLöschen
  3. Dem möchte ich mich voll anschließen. Danke, lieber Pfarrer Löhr, für ihr unbeirrtes, tägliches Nachdenken und Gedankenteilen mit all Ihren Lesern. Da ist so Vieles drin, was uns hilft, die Bibelworte ohne Angst zu begreifen.
    Herzliche Grüße an uns alle, Annelie

    AntwortenLöschen