Predigt
von Hans Löhr am Sonntag Okuli
Predigttext: 1. Könige Kapitel
19 Verse 1-7
Liebe Gemeinde,
warst du schon mal am Ende? So
ganz und gar am Ende und hast nur noch vor dich hin gesagt: »Ich kann nicht
mehr! Ich kann einfach nicht mehr!«? Vielleicht warst du körperlich am Ende,
weil du bis zum Umfallen arbeiten musstest. Früher in der Landwirtschaft war
das keine Seltenheit. Vielleicht warst du seelisch am Ende, weil du keinen
Ausweg mehr gesehen hast aus der bedrückenden Situation, in der du warst.
Vermutlich kommen die meisten von uns irgendwann in ihrem Leben einmal oder
mehrmals an diesen Punkt, wo man sagt: »Ich kann nicht mehr.« Dann befindet man
sich in bester Gesellschaft mit Menschen der Bibel, denen es genauso ging. Ich
denke an Jesus im Garten Gethsemane, kurz bevor man ihn verhaftet, gefoltert
und getötet hat. Ich denke aber auch an Elia, den Propheten, von dem der
heutige Predigttext erzählt. Hört also seine Geschichte:
Text: 1. Könige 19,1-12: Und
König Ahab vom Reich Israel sagte seiner Frau Isebel alles, was Elia, der
Prophet Gottes, getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert
umgebracht hatte. Isebel aber war eine Heidin und verehrte den Götzen
Baal.
2 Da
schickte sie einen Boten zu Elia, der ihm ausrichten sollte: "Die Götter
sollen mich schwer bestrafen, wenn ich dir nicht heimzahle, was du meinen
Propheten angetan hast! Morgen um diese Zeit bist auch du ein toter Mann, das schwöre
ich!"
3 Da
packte Elia die Angst. Er rannte um sein Leben und floh bis nach Beerscheba
ganz im Süden Judas. Dort ließ er seinen Diener, der ihn bis dahin begleitet
hatte, zurück.
4 Allein
wanderte er einen Tag lang weiter bis tief in die Wüste hinein. Zuletzt ließ er
sich unter einen Ginsterstrauch fallen und wünschte, tot zu sein. "Herr,
ich kann nicht mehr!", stöhnte er. "Lass mich sterben! Irgendwann
wird es mich sowieso treffen, wie meine Vorfahren. Warum nicht jetzt?"
5 Er
streckte sich unter dem Ginsterstrauch aus und schlief ein. Plötzlich wurde er
wachgerüttelt. Ein Engel stand bei ihm und forderte ihn auf: "Elia, steh
auf und iss!"
6 Als
Elia sich umblickte, entdeckte er neben seinem Kopf einen Brotfladen, der auf
heißen Steinen gebacken war, und einen Krug Wasser. Er aß und trank und legte
sich wieder schlafen.
7 Doch
der Engel des Herrn kam wieder und rüttelte ihn zum zweiten Mal wach.
"Steh auf, Elia, und iss!", befahl er ihm noch einmal. "Sonst
schaffst du den langen Weg nicht, der vor dir liegt."
Du bist Elia! Du bist nicht der
Prophet Gottes. Aber du bist der Mensch Elia, der mit seinen Kräften am Ende
ist. Der einfach nicht mehr weiter kann. Der am liebsten sterben würde. Und
wenn du diese Erfahrung noch nicht gemacht hast, ist es doch gut möglich, dass
du sie noch machen wirst wie jene Frau, die sieben Jahre lang ihren
demenzkranken Mann gepflegt hat. In der ersten Zeit ging es ja noch
einigermaßen. Aber schließlich war sie durch die Pflege nur noch überfordert.
Sie hatte zwar immer wieder gebetet: „Herr, ich kann nicht mehr. Hilf
mir!". Doch erst als sie zusammengebrochen war, körperlich und seelisch,
hatten auch die Kinder ein Einsehen und haben dafür gesorgt, dass der Vater in
ein Pflegeheim kam. Sie selbst hatte sich nicht getraut, das vorzuschlagen.
Denn sie fürchtete sich vor dem Urteil der Nachbarn und der Verwandten. Da lag
sie also nach dem Zusammenbruch im Krankenhaus. Jetzt waren plötzlich alle sehr
besorgt um sie. Beinahe wäre es zu spät gewesen. Aber sie erholte sich noch
einmal, auch wenn sie für den Rest ihres Lebens gezeichnet blieb. Später sagte
sie: „Nachdem kein Mensch mir die Last hat abnehmen wollen, hat Gott das getan.
Er hat mich rechtzeitig davon befreit. Gott sei Dank!"
Seelisch und körperlich am Ende
war auch jener Mann, der an einer schweren Infektion gestorben ist. Er könnte
noch leben, wenn er die Kraft gehabt hätte, darum zu kämpfen, wieder gesund zu
werden. Aber er sah für sich selbst keine Zukunft mehr und hatte auch keinen
Glauben, aus dem er sich Kraft hätte holen können. Bis zu seiner Rente wären es
nur noch ein paar Jahre gewesen. Aber als die Kinder erwachsen waren, hat sich
seine Frau von ihm getrennt. „Was du mir all die Jahre angetan hast, das mach
ich jetzt nicht mehr mit!" sagte sie, als sie die Scheidung einreichte.
Sein ohnehin labiler Gesundheitszustand verschlechterte sich. Er verlor seine
Arbeit. Die vielen Bewerbungsschreiben, die er mit Ende 50 abschickte, waren
erfolglos. Seine Lebensträume waren zerplatzt. Seine Lebensplanung lag in
Trümmern. Nun lebte er allein. Seine Kinder beschränkten den Kontakt zu ihm auf
das Nötigste. Als dann die Infektion kam, hatte er schon keinen rechten
Lebenswillen mehr. Er hat sich einfach aufgegeben. Nein, diese Geschichte nahm
kein gutes Ende. Da kam kein Engel, auch nicht in Gestalt eines anderen
Menschen, der ihm hätte neuen Lebensmut geben können. Vielleicht aber war es
auch so, dass er einfach keinen Engel mehr wollte, keine Hilfe mehr, weder von
Gott noch von Menschen.
Es gibt viele solche Geschichten
die sich mitten unter uns abspielen, manchmal unbemerkt, weil wir mit uns
selbst genug zu tun haben und nicht auch noch die Not eines anderen sehen.
Ich möchte aber auch noch eine
andere Geschichte erzählen. Vor über 50 Jahren lebte eine Frau in unseren
Dörfern, deren damals noch junger Mann plötzlich gestorben ist. Nennen wir sie
Gunda. Nun war sie allein mit ihren beiden kleinen Kindern und dem Bauernhof.
Die Schwiegereltern lebten zwar noch, aber sie hatten nicht mehr die Gesundheit
und Kraft, den Mann zu ersetzen. Sie arbeitete wie ein Pferd, um die Kinder und
sich über Wasser zu halten. Aber sie merkte bald, dass sie das allein nicht
schaffen würde. Auch sie sagte in mancher Nacht immer wieder vor sich hin:.
»Ich kann nicht mehr. Gott, ich kann einfach nicht mehr.« Einige Zeit nach der
Beerdigung, als sie ganz verzweifelt war, kam aus dem Nachbardorf ein Mann zu
ihr: »Gunda, ich seh' doch, dass du das nicht schaffst. Meine Frau und ich
werden dir helfen.« Und dann halfen die beiden der Gunda und ein paar andere
folgten ihrem Beispiel. So konnte die Frau den Hof halten. Als sie mir das
erzählte, kamen ihr die Tränen. Über 50 Jahre später hat sie diese Erfahrung
immer noch tief bewegt. Und dem Mann aus dem Nachbardorf ist sie bis heute
dankbar.
Bei Gunda war es der Nachbar.
Bei Elia war es der Engel. Du bist der Engel. Liebe Freunde, lasst uns einander
solche Engel sein. Wir wollen uns einander nicht unter den Ginsterbüschen in
unserer Leidenswüste liegen lassen. Jeder von uns hat einen Auftrag von Gott,
seinen Menschenbruder und seine Menschenschwester in Not zu stärken und wieder
auf die Beine zu helfen. Schauen wir also gut hin. Wir werden den einen oder
anderen finden, der am Ende ist mit seiner Kraft. Dem es gut tut, wenn ich mir
Zeit für ihn nehme, ihm zuhöre, ihm eine Gefälligkeit erweise.
In einer Zeitschrift habe ich
gelesen, was Menschen getröstet und gestärkt hat, die einen Angehörigen
verloren haben. Eine Frau sagte: »Als mein Mann gestorben war, hat mir meine
Nachbarin am nächsten Tag einen großen Topf Hühnersuppe vor die Tür gestellt.
Das hat mich damals davor bewahrt, aus dem Fenster zu springen.«
Bei Elia war es ein Krug Wasser
und ein geröstetes Brot, das ihm neuen Lebensmut und neue Lebenskraft gab. Oft
sind es solche ganz einfachen Zeichen der Anteilnahme und praktischen
Nächstenliebe, die einen Menschen, der am Boden liegt, dazu bringen, wieder
aufzustehen und weiter zu leben.
»Steh auf, Elia, und iss!«,
sagte der Engel zu ihm, »sonst schaffst du den langen Weg nicht, der vor dir
liegt.« Ja, Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Essen und Trinken
mit anderen, gibt Kraft für den langen Weg durch die Trauer. Das kann auch eine
Tasse Kaffee sein, die ich mit jemanden trinke. Oft sind es so einfache Dinge,
durch die Gott dir und mir hilft. Aber er braucht dazu Menschen, die seine
Engel sind. Und solche, die auf ihn hören, wenn es heißt: „Steh auf und iss!
Denn du hast einen weiten Weg vor dir.“
Amen
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