Dienstag, 16. Oktober 2018

Einander gerecht werden

Losung: Recht und Gerechtigkeit tun ist dem HERRN lieber als Opfer. Sprüche 21,3 

Lehrtext Richtet nicht nach dem, was vor Augen ist, sondern richtet gerecht. Johannes 7,24

Liebe Leserin, lieber Leser, 

"Do ut des", "ich gebe, damit du mir gibst" - so haben die alten Römer ihr Verhältnis zu ihren zahlreichen Göttern beschrieben Do ut des - dieser Grundsatz gilt wohl in allen Religionen. Immer und überall opfern Menschen einer höheren Macht Tiere, Geld, manchmal sogar Kinder (Majas), Kerzen, Kapellen, Gebete, vermachen der Kirche oder dem Kloster Grundstücke und Häuser (siehe Johann Wolfgang von Goethe: "Faust": Eine Tragödie - Kapitel 12), ihre Sexualität (Priester) oder sich selbst (ein Leben als Mönch und Nonne) um ... ja warum eigentlich? Um von der höheren Macht, die sie verehren, etwas zu bekommen: Schutz, Sicherheit, Reichtum, Erfolg, einen Partner, Gesundheit, Glück, Vergebung und ewige Seligkeit
     Meistens aber wurden Tiere geopfert. Die Tempel, auch der in Jerusalem, waren die reinsten Schlachthäuser. Da floss das Tierblut Tag für Tag in Strömen. Dieser gigantische Blutrausch war ein Teil der Religiosität. Auch der Todesstrafe (USA, Nordkorea, Iran, Saudi Arabien, China ...) haftet noch dieser archaische, unzivilisierte Opfergedanke an.
     Was von alledem verlangt Gott, wie er uns in Jesus begegnet? Denke bitte selbst darüber nach. Fällt dir was ein?
     Schon im Alten Testament lehnt Gott Tieropfer ab. Stattdessen will er, wie es die Losung sagt, dass unter seinen Menschen Recht und Gerechtigkeit herrschen. Da muss erst mal jeder vor seiner eigenen Tür kehren und sich fragen: Werde ich anderen gerecht in ihrer jeweiligen Besonderheit und Einzigartigkeit? Werde ich als Lehrer meinen Schülern gerecht, jedem auf seine Weise und verzichte ich darauf, alle über denselben Kamm zu scheren? Werde ich als Chef meinen Mitarbeitenden gerecht und sehe ich in ihnen Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, statt nur kostenintensive Arbeitskräfte? Werde ich als Vater oder Mutter meinen Kindern gerecht und helfe ich ihnen, dass sich jedes nach seinen Begabungen und innerhalb seiner Grenzen entwickeln kann? Oder stülpe ich ihnen meine Vorstellungen über, wie sie zu sein haben und was sie werden müssen? Und wie ist es mit meinem Partner, meiner Partnerin? Werde ich ihm beziehungsweise ihr gerecht?
      Der einzige, dem ich nicht gerecht werden kann, ist Gott. Da kann ich strampeln wie ich will. Denn er ist, was kein Mensch je werden kann: heilig und ewig (da hilft auch keine Heiligsprechung). Und ich bin, was jeder Mensch ist: fehlerhaft und vergänglich. Doch er wird mir gerecht und macht mich "gerecht allein aus Gnade", wie die Bibel sagt. Dass ich ihm recht bin, ist und bleibt ausschließlich sein Geschenk (= Gnade).
     Doch auch meinen Mitmenschen kann ich nur annäherungsweise gerecht werden. Zwar sagt der Lehrtext, dass ich nicht danach urteilen soll, was vor Augen ist. Aber ich kann einem Menschen nicht in die tiefsten Tiefen seines Herzens sehen. Kann nicht wissen, was alles dazu beigetragen hat, dass er so ist wie er ist, dass er das ist, was er ist. Darum gefällt mir das andere Jesus-Wort besser als der  Lehrtext, wenn er sagt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ (Matthäus 7,1)
    Und trotzdem, eine Gesellschaft kann nicht existieren, wenn in ihr nicht Richter Recht sprechen. Doch jeder Richter, der ein Urteil spricht, sollte sich meiner Meinung nach bewusst sein, dass er einem Angeklagten nie ganz gerecht werden kann und er ihm auf diese Weise immer auch etwas Unrecht zufügt. Und das gilt ebenso im alltäglichen Zusammenleben. Auch da kommt man nicht ohne Meinung und Urteil aus, nicht ohne Beurteilungen und Bewertungen. 
     Doch Jesus legt uns nahe, damit besonders vorsichtig und behutsam umzugehen und, wo es möglich ist, auf Werturteile zu verzichten. Denn »es ist, was es ist, sagt die Liebe« (Erich Fried).  

Gebet: Herr, ein Leben lang bewerten und beurteilen wir Menschen einander, verteilen Zensuren, klassifizieren, nehmen uns an und lehnen uns ab. Du nicht. Du hast das nicht nötig. Denn du weißt, warum jeder so ist wie er ist. Darum bist du barmherzig und schließt niemand von deiner Liebe aus. Darum kann auch ich mich dir zeigen wie ich bin, ohne Angst haben zu müssen, und darauf vertrauen, dass du mir hilfst, der zu werden, den du von Anfang an in mir siehst. Amen

Herzliche Grüße
Hans Löhr

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