Predigt im Lichtblickgottesdienst am 1. Advent von Hans Löhr
Bibelwort zur Predigt: Lukas 1, 26-31
Liebe Freunde,
sie war vielleicht 15 oder 17, aber schon verlobt wie
es in ihrer Kultur üblich war. Sie ist weder positiv noch negativ besonders
aufgefallen. Sie war ein ganz normales Mädchen wie wohl die meisten von euch
Frauen hier. Und dann passierte das: Ein Engel erscheint ihr und sagt: »Sei gegrüßt,
Maria, Gott ist mit dir! Du wirst schwanger werden und einen Sohn zur Welt
bringen. Jesus soll er heißen. Er wird mächtig sein und man wird ihn Gottes
Sohn nennen.« (Lukas 1, 26-31) Und Maria? Zuerst erschrickt sie. Und dann sagt sie »Ja«. Das ist
in wenigen Worten die zentrale Adventsgeschichte aus der Bibel.
Ihr, die katholischen Frauen hier unter uns, habt in
den Rosenkranz-Gebeten schon oft diese Worte des Engels gebetet, mit denen die
biblische Adventsgeschichte beginnt: »Gegrüßet seist du, Maria, voll der
Gnaden, der Herr ist mit dir.« Aber ist euch auch bewusst, dass ihr jedes Mal,
wenn ihr so betet, selbst zum Engel werdet. Ihr verkündet mit seinen Worten das
Evangelium, die gute Nachricht, dass Gott seine Menschen nicht im Stich lässt,
sondern uns seinen Sohn Jesus Christus sendet, um dir und mir zu helfen. Denn
das bedeutet ja der Name ‚Jesus‘ auf Deutsch: ‚Gott hilft!‘
Mit diesen Worten hat der Engel, der Bote Gottes, die
Maria total überrascht: »Ich«, sagte sie, »ausgerechnet ich kleine, junge,
unbedeutende Frau?« Ja, ausgerechnet zu so einer kleinen, unbedeutenden Frau in
der hintersten Provinz des römischen Reiches in einem Kaff namens Nazareth
sendet Gott seinen Boten mit der wichtigsten Botschaft, die die Welt jemals
gehört hat: Gott kommt in seinem Sohn
Jesus als kleines Kind zu euch Menschen, um euch zu helfen, denn euch gehört sein
Herz.
Maria war die erste, die diese Botschaft gehört hat. Sie
hat sich dieser Nachricht geöffnet, hat sie sich zu Herzen genommen. Das war damals
vor 2000 Jahren. Und heute passiert es wieder. Jetzt, da ihr die Worte aus der
Bibel hört, gelten sie euch. Jetzt werdet ihr von Gottes Engel angesprochen und
er sagt: ‚Gegrüßet seist du, Erika, der Herr ist mit dir. Gegrüßet seist du
Renate und Petra, Evi und Hanne, Monika und Ulrike – der Herr ist mit dir.‘ Und
du denkst vielleicht: „Ich? Bin wirklich ich gemeint? Grüßt der Engel auch
mich? Ist der Herr auch mit mir?“ Und ich sage: Ja, du bist gemeint. Denn für
dich ist das alles geschehen und geschrieben. Damals hieß die Frau, zu der der
Engel kam, Maria. Und heute kommt er aus der Bibel zu dir. Und er kommt im Grunde
mit der gleichen Botschaft: Du bist auserwählt, um das Jesus-Kind zu empfangen,
diesen „Gott hilft!“. Ihn sollst du in dir aufnehmen und in dein Herz lassen.
In dir will er wachsen und groß werden. Und du sollst ihn zur Welt bringen. Und
wie? In dem du dir Zeit für ihn nimmst. Indem du betest und deine Wohnung
schmückst und Musik hörst, die dich auf Weihnachten einstimmt. Aber du sollst
ihn auch dadurch zur Welt bringen, wie du redest und handelst. In dem, wie du
dich verhältst und lebst soll Jesus heute wirken. Aus deinen Augen soll er
schauen, mit deinem Mund reden, mit deinen Füßen soll er zu anderen Menschen gehen,
mit deinen Händen soll er ihnen helfen.
Ich gebe zu, das ist ein kühner Gedanke, dass der
Engel auch heute zu euch Frauen kommt und sagt: Nimm das göttliche Kind in dir
auf. Lass es in dir groß werden. Trage es in dir zu anderen Menschen und lass
es da zur Welt kommen in dem, wie du bist.
Und der Gedanke wird noch kühner, wenn ich jetzt sage:
Das gilt für euch Männer in gleicher Weise: Auch ihr sollt das göttliche Kind
in eurem Herzen aufnehmen und es da zur Welt kommen lassen, wo ihr lebt und
arbeitet. Auch an euch soll man erkennen, dass dieser Jesus in euch lebt, durch
den Gott hilft.
Wie das geht? Lasst mich zuerst sagen, wie das nicht geht.
Wer sich Gott vom Leibe und von der Seele halten will, der muss die Arme vor
der Brust verschränken und laut oder leise sagen: „Ich nicht! Mit mir nicht!” –
Aber wie soll Gott diesen Menschen überraschen können? Wer sich von ihm nichts
erwartet, wer nicht ein bisschen Sehnsucht nach Gott verspürt – wie soll der
etwas von ihm erleben? Wie soll Gott durch ihn wirken?
Darum bist du doch hier im Lichtblick-Gottesdienst, dass du durch
die Musik, die Lieder, die Freundlichkeit, die Gebete oder durch diese Predigt
von Gott erreicht, berührt und bewegt wirst. Gerade jetzt, in der Adventszeit,
da wir uns auf das Fest der Geburt Jesu vorbereiten, geht es doch um diese
innere Einstellung, dass ich mich öffne, dass ich meine Arme weit ausbreite und
sage: „Ja, Herr, ich bin bereit. Komm zu mir, komm in mein Leben, tröste, heile
und stärke mich!“
Wie ist das mit dir hier, ob Mann oder Frau? Spürst du
etwas von dieser Sehnsucht? Hast du den Wunsch, von Gott berührt zu werden?
Bist du bereit, dich ihm zu öffnen?
Ich glaube, dass diese Sehnsucht in vielen Menschen
wohnt, auch in solchen, die keine Gottesdienste besuchen, die keiner
christlichen Gemeinschaft angehören, die nicht glauben. Aber sie sind hilflos
und sprachlos. Sie wissen nicht, wie das mit dem Glauben geht. Und dann machen
sie bei besonderen Gelegenheiten plötzlich Erfahrungen, wo es sie zu Gott
geradezu hin drängt. Gott scheint plötzlich nahezuliegen, wenn entweder alles
ganz friedlich ist oder ganz dramatisch wird.
Ein eher glaubensferner Journalist
hat vor einem Jahr in einer Zeitschrift von solchen Erfahrungen berichtet. Er
fragt: »Kann es sein, dass alles von selbst so wunderbar und einzigartig ist?
Dieser Sonnenaufgang über einem See in den Bergen, und der Dunst steigt von der
grünblauen Wasserfläche, dass es fast nicht sein kann, dass alles einfach nur
so da ist ohne Sinn, als Laune einer geistlosen Natur?… Und durch welchen
Zufall sollte in all dem Chaos nach dem Urknall Musik entstanden sein, wenn
nicht durch einen göttlichen?« Und dann schreibt der Journalist von den anderen
Erfahrungen, den dramatischen, in denen Gott einem sozusagen rausrutscht: »Seit
Jahren warst du nicht mehr in der Kirche, bist vielleicht nicht mal getauft,
aber woran denkst du, wenn du im Auto sitzt und das Handy klingelt und du gehst
ran, weil es das Altenheim ist, und sie sagen, du sollst dich beeilen, sie ist
wieder gestürzt und jetzt geht es mit deiner Mutter zu Ende? Woran denkst du
dann? Oder wenn die Herztöne des ungeborenen Kindes nicht mehr auf dem Monitor
sind und die im Krankenhaus, die eben noch so burschikos zuversichtlich waren, plötzlich
zu rennen beginnen und dich auf deiner Liege in den Operationssaal schieben.
Woran denkst du dann?« Und der Journalist fährt fort: »Der Gedanke an Gott
scheint uns in solchen Momenten ein Reflex zu sein. Weil es gut wäre, wenn zur begrenzten
eigenen Kraft und zur begrenzten Hilfe der anderen Menschen noch eine Portion Übersinnliches
dazu käme.«
Ja, das sind dann so Momente, die glücklichen und die
dramatischen, wo es viele zu Gott geradezu hin drängt, aber dann sind sie
sprachlos und hilflos und wissen damit nichts anzufangen. Wie soll ich auch
einen Zugang zu ihm finden, wenn er mir fremd ist? Wie soll ich mich ihm
öffnen, wenn ich keinen Schimmer habe, was und wer da auf mich zukommt? Wer nur
in ganz besonderen Situationen nach Gott fragt, wie soll der im Alltag
Antworten bekommen?
Ohne die Geschichten und Bilder der Bibel, ohne
vertraute Lieder und geprägte Gebete, ohne andere Menschen, denen ich ihren
Glauben glaube – ohne das alles habe ich keinen Mutterboden, in dem der Glaubenssame
keimen und wurzeln kann.
Damit mein Glaube wachsen kann, braucht er Nährstoffe
wie das Vaterunser und den Psalm 23, für die Katholiken den Rosenkranz, für uns
alle die Weihnachtsgeschichte und die Lieder, die zu Herzen gehen und auch einen
Gottesdienst, in dem ich inmitten anderer sitze, die wie ich eine Sehnsucht
nach Gott spüren und ihren Glauben feiern.
Und darum sage ich: Bleibe neugierig auf Gott, bleibe
offen für ihn wie Maria und lass dich von ihm überraschen. Für dich kommt Jesus
auf die Welt und durch dich. Lass das Kind der göttlichen Liebe in dein Herz.
Lass dich erfüllen von seinem Frieden, dass alle Sorge und alle Angst aus der
weiche. Und tu‘s nicht irgendwann, sondern jetzt. Sage:
Gebet: Ja, mein Gott, ich bin für dich bereit. Überrasche mich. Komm in mein Leben. Sei bei mir in meinen glücklichen Stunden und in meinem Leid. Sei bei mir am Sonntag und am Werktag, auf der Arbeit und beim Arzt, beim Einkaufen und wenn ich unterwegs bin. Komm, Jesus, du göttliches Kind, mein Hirte und Herr. Amen
Gebet: Ja, mein Gott, ich bin für dich bereit. Überrasche mich. Komm in mein Leben. Sei bei mir in meinen glücklichen Stunden und in meinem Leid. Sei bei mir am Sonntag und am Werktag, auf der Arbeit und beim Arzt, beim Einkaufen und wenn ich unterwegs bin. Komm, Jesus, du göttliches Kind, mein Hirte und Herr. Amen
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