Sonntag, 26. August 2018

Kain und Abel (Predigt) hl

Predigt von Hans Löhr am 13. Sonntag nach Trinitatis (26.8.2018) in Thann und Sommersdorf

Kanzelgruß / Stilles Gebet um den Segen für die Predigt

Hört zunächst die biblische Geschichte für diesen Sonntag. Sie steht im 1. Buch Mose, im Kapitel 4, 1-16:

1 Adam schlief mit seiner Frau Eva, sie wurde schwanger und brachte einen Sohn zur Welt. »Mit der Hilfe des HERRN habe ich einen Sohn bekommen!«, rief sie aus. Darum nannte sie ihn Kain. 2 Ihren zweiten Sohn nannte sie Abel. Die beiden wuchsen heran; Abel wurde ein Hirte, Kain ein Bauer.
     3 Eines Tages nahm Kain etwas von dem Ertrag seines Feldes und brachte es dem HERRN als Opfer dar. 4 Auch Abel wählte eine Gabe für Gott aus: Er schlachtete einige von den ersten Lämmern seiner Herde und opferte die besten Fleischstücke mitsamt dem Fett daran. Der HERR blickte freundlich auf Abel und nahm sein Opfer an, 5 Kain und seinem Opfer hingegen schenkte er keine Beachtung.
     Darüber wurde Kain sehr zornig und starrte mit finsterer Miene vor sich hin.6 »Warum bist du so zornig und blickst so grimmig zu Boden?«, fragte ihn der HERR. 7 »Wenn du Gutes im Sinn hast, kannst du doch jedem offen ins Gesicht sehen. Wenn du jedoch Böses planst, dann lauert die Sünde schon vor deiner Tür. Sie will dich zu Fall bringen, du aber beherrsche sie!«
     8 Kain forderte seinen Bruder auf: »Komm, wir gehen zusammen aufs Feld!« Als sie dort ankamen, fiel er über Abel her und schlug ihn tot.
     9 Da fragte der HERR: »Wo ist dein Bruder Abel?« »Woher soll ich das wissen?«, wich Kain aus. »Ist es etwa meine Aufgabe, ständig auf ihn aufzupassen?« 10 Aber Gott entgegnete: »Was hast du bloß getan? Das vergossene Blut deines Bruders schreit von der Erde zu mir! 11 Darum bist du von nun an verflucht: Weil du deinen Bruder umgebracht und den Acker mit seinem Blut getränkt hast, musst du von diesem fruchtbaren Land fort. 12 Wenn du ein Feld bebauen willst, wird es dir kaum noch Ertrag einbringen. Ruhelos musst du von Ort zu Ort ziehen!«
     13 »Meine Strafe ist zu hart – ich kann sie nicht ertragen!«, erwiderte Kain. 14 »Ach, Gott, du verstößt mich von dem Land, das ich zum Leben brauche. Noch dazu muss ich mich vor dir verstecken! Heimatlos werde ich von nun an umherirren, und wenn mich jemand findet, wird er mich umbringen!«
     15 »Damit dies nicht geschieht«, sagte der HERR, »lege ich Folgendes fest: Wer dich tötet, wird dafür siebenfach bestraft werden!« Er machte ein Zeichen an Kain, damit jeder, der ihm begegnete, wusste: Kain darf man nicht töten. 16 Dann verließ Kain die Nähe des HERRN und wohnte im Land Nod (im »Land des ruhelosen Lebens«).

Liebe Gemeinde,

die Bibel ist schonungslos. Sie sagt klipp und klar: Der erstgeborene Sohn von Adam und Eva, der erste Mensch überhaupt, der durch eine natürliche Geburt auf die Welt kam, ist ein Brudermörder. Sie erzählt keine uralte Geschichte, die irgendwann einmal passiert wäre. Sie erzählt eine höchst moderne Geschichte, die im Laufe der Menschheit zahllose Male passiert ist. Und diese Geschichte ist so aktuell wie eh und je. Die Bibel erzählt diese Geschichte von Kain und Abel, damit man daraus lernt.
     Aber haben denn die vielen Menschen, die diese Geschichte gelesen oder gehört haben, daraus gelernt? Wenn ja, dürfte es keinen Mord mehr geben, keinen Totschlag, keine Hinrichtung, keine Todeslager und keine Atombombe. Wenn wir Menschen aus der Geschichte von Kain und Abel gelernt hätten, dürfte es keine Kriege mehr geben, weder einen Angriffskrieg noch einen Verteidigungskrieg, weder einen gerechten noch einen ungerechten Krieg. Doch das Töten und Morden geht weiter.
     Hätte Gott über Kain die Todesstrafe verhängt nach dem Gesetz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, dann, ja dann hätten wir Menschen eine Rechtfertigung zum Töten von höchster Stelle. Aber Gott hat den Mörder geschützt. Hat ihm das Kainszeichen gegeben, damit niemand ihm töte. Warum?
     Und warum hat Gott das Opfer des Abel angenommen und das Opfergeschenk des Kain verschmäht? Warum hat er den einen vorgezogen und den anderen zurückgesetzt? Wir wissen es nicht. Die Bibel gibt auf diese Fragen keine Antwort. Es ist eben so. Aber vielleicht gilt hier ja der Satz: „Keine Antwort ist auch eine Antwort“. Dann wäre es so, dass es dem Menschen, dass es jedem Menschen grundsätzlich verboten ist, einen anderen zu töten, egal, wie erbittert er ist, wie verletzt, wie wütend. Egal, ob er sich im Recht wähnt oder nicht.
     Ja, Kain fühlt sich zurückgesetzt und damit abgewertet. Er ist zutiefst gekränkt. Er meint, sich selbst Genugtuung verschaffen zu müssen, indem er seinen Bruder tötet. Aber Gott akzeptiert das nicht. Gott verlangt, dass sich der Mensch beherrsche. Dass er seine Gefühle beherrsche, seine Gedanken, seine Triebe. Und er verlangt noch etwas: Dass der Mensch Rede und Antwort stehe, wenn Gott ihn fragt: Wo ist dein Bruder Abel? Wo ist dein Bruder Jesus? Wo sind die toten Juden? Wo sind die toten Palästinenser? Wo die ertrunkenen Flüchtlinge? Wo sind deine Mitgeschöpfe, die Tiere? Wo sind all die Toten deiner zahllosen Kriege? Wo sind auch deine toten Feinde? Ja, Gott verlangt, dass der Mensch Rede und Antwort stehe und dass er Verantwortung übernehme für seine Mitmenschen und für seine Feinde.
     Nein, auch Feinde darf man nicht töten. Oder hat sich Jesus, durch den Gott zu uns spricht, etwa nicht klar ausgedrückt, wenn er sagt: »Aber ich sage euch: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen... Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen ... Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen. So wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und ... vergebt, so wird euch vergeben.« (Lukas 6,27-37)
     Das mutet Gott dem Menschen zu, dem Kain und seine Nachkommen, dir und mir. Und in der Tat, das ist eine Zumutung. Wer stellt sich ihr? Wer lässt sie sich gefallen und lebt danach? Du vielleicht? Ich nicht. Ich kann jemand, der mich zutiefst verletzt hat, nicht lieben. Oder sollte ich ehrlicherweise sagen, ich will ihn nicht lieben? Und wie ist das mit Gott? Wenn mir etwas zustoßen sollte, was ich als zutiefst ungerecht empfinde, irgendein Schicksalsschlag, kann, will ich ihn dann noch lieben? Ich weiß nicht, ob ich das dann noch will. Aber ich weiß, dass ich das soll, dass ich Gott lieben soll von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe, mit all meiner Kraft  und ebenso meinen Mitmenschen, meinen Feind und mich selbst und zwar bedingungslos und ohne Ausreden. So sagt es Jesus denen, die Christen sein wollen und christlich handeln wollen ob privat oder in der Politik.
     Ach ja, während ich das so sage, klingeln in meinen Ohren all die Argumente, warum man das mit der Feindesliebe nicht so wörtlich nehmen dürfe, warum man Krieg führen und dabei töten dürfe, warum die Todesstrafe berechtigt sei, warum man mit Tieren, insbesondere mit Nutztieren machen könne, was man wolle. Warum man die schiffbrüchigen Flüchtlinge im Mittelmeer nicht mehr retten solle. Warum man wieder aufrüsten solle auf Teufel komm raus usw.
     Wer so denkt, möge das doch mal nicht nur anderen Menschen sagen, sondern Gott selbst, soll ihm im nächsten Gebet sagen, warum er dieser Ansicht ist. Vielleicht so: „Hör mal, Jesus, jetzt sage ich dir mal, was ich meine.“
     Doch ich will noch einmal zurück zur Geschichte von Kain und Abel. Denn noch immer ist die Frage offen, warum Gott den Kain nicht getötet, sondern ihn sogar mit dem Kainsmal geschützt hat?
     Ich habe für mich diese Antwort gefunden: Wir alle sind Nachkommen von Kain. Wir alle haben in uns höchst problematische Gefühle und negative Gedanken. Mancher hat schon einem anderen den Tod gewünscht, auch wenn er ihn selbst nie töten würde. Viele, vielleicht jeder von uns hier hat schon mal von einem anderen gedacht oder sogar zu ihm gesagt: „Du bist für mich gestorben!“ Jeder hat schon mal im Stillen oder in einem lautstarken Streit gesagt: „Was bist du nur für ein Idiot!“ Und, ist das denn so schlimm? Jesus sagt dazu in der Bergpredigt: »Wie ihr wisst, wurde unseren Vorfahren gesagt: ›Du sollst nicht töten! Wer aber einen Mord begeht, muss vor ein Gericht gestellt werden.‹ Doch ich sage euch: Schon wer auf seinen Mitmenschen zornig ist, gehört vor Gericht. Wer zu ihm sagt: ›Du Schwachkopf!‹, der gehört vor den Hohen Rat, und wer ihn verflucht, der verdient es, ins Feuer der Hölle geworfen zu werden.«
     Für Jesus ist nicht die vollendete Tat entscheidend, sondern schon, was ein Mensch wegen eines anderen Negatives denkt und fühlt. Doch er wirft uns nicht ins „Feuer der Hölle“, denn wir alle tragen das Kainsmal auf der Stirn, ein unsichtbares Zeichen, weswegen Gott uns genauso verschont wie Kain. Es ist das Zeichen des Kreuzes von Jesus. Das Zeichen des Friedens zwischen ihm und uns. Das Zeichen der Versöhnung. Es steht für den Satz, den der Gekreuzigte vor seinem Tod gesagt hat: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Das gilt für Kain, das gilt für alle seine Nachkommen, das gilt für dich und für mich. Amen  


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