Predigt von Hans Löhr am 18. Sonntag nach
Trinitatis in Thann und Sommersdorf. Predigttext:
Jakobus 2,1-9
Liebe
Gemeinde,
ich
habe jahrelang in der Großstadt München gelebt und dort als Pfarrer gearbeitet.
Es hat mir dort durchaus gefallen. Aber das Leben in Sommersdorf gefällt
mir auch. Darum bin ich mit meiner Familie nicht mehr in die Großstadt
zurückgegangen. Zu den Dingen, die mir hier in der Gemeinde besonders gefallen,
gehört, dass es in unseren Dörfern noch einen Zusammenhalt gibt. Das zeigt sich
auch daran, dass verhältnismäßig viele Leute zu einer Beerdigung kommen und dem
Verstorbenen ein letztes Geleit geben. Und das ist unabhängig davon, ob die
Person reich oder arm war, ob sie etwas gegolten hat oder ein eher
unscheinbares Leben geführt hat, ob sie für andere ein Vorbild war oder ob sie
mit ihren eigenen Schwierigkeiten und vielleicht auch mit einer Sucht kämpfen
musste.
Das ist in der Großstadt anders. Da nehmen
in der Regel nur noch die nächsten Angehörigen an einer Trauerfeier teil. Es
sei denn, es handelt sich um eine bedeutende Persönlichkeit des öffentlichen
Lebens. Dann ist auch dort der Friedhof schwarz von Menschen.
Es mag unterschiedliche Gründe geben,
warum bei uns viele zu einer Beerdigung kommen. Einer der wichtigsten ist für
mich, dass man in unserer Gemeinde einem Verstorbenen, egal wie bedeutend oder
unbedeutend er im Leben gewesen sein mag, „die letzte Ehre“ erweist. Und
selbst, wenn er dement war, so „ehrt man doch den Menschen in ihm“ (Balzac). Ja,
das gefällt mir und das schätze ich, weil es nicht mehr selbstverständlich ist.
So also ist es, wenn einer gestorben ist.
Aber wie ist es im Leben? Bekommen da von uns alle die gleiche Wertschätzung oder
messen wir mit unterschiedlichen Maßstäben?
Hört aus dem Bibelwort für die heutige
Predigt, wie sich die ersten Christen damals verhalten haben und wie sie
miteinander umgegangen sind, mit den Reichen und den Armen, den Bedeutenden und
den Unbedeutenden. So heißt es im Brief des Jakobus im Kapitel 2:
Liebe Brüder und
Schwestern! Ihr glaubt doch an unseren Herrn Jesus Christus, dem allein alle
Herrlichkeit zusteht. Dann lasst euch nicht vom Rang und Ansehen der Menschen beeindrucken! 2 Stellt euch einmal
vor, zu eurem Gottesdienst kommt ein vornehm gekleideter Mann mit goldenen
Ringen an seinen Fingern. Zur selben Zeit kommt einer, der arm ist und
schmutzige Kleidung trägt. 3 Wie
würdet ihr euch verhalten? Ihr würdet euch von dem Reichen beeindrucken lassen und ihm eifrig anbieten: »Hier ist noch ein
guter Platz für Sie!« Aber zu dem Armen würdet ihr sicherlich sagen: »Bleib
stehen oder setz dich neben meinem Stuhl auf den Fußboden.« 4 Habt ihr da nicht mit
zweierlei Maß gemessen und euch in eurem Urteil von menschlicher Eitelkeit leiten
lassen? 5 Hört
mir gut zu, liebe Brüder und Schwestern: Hat Gott nicht gerade die erwählt, die
in den Augen dieser Welt arm sind? Sie sollen im Glauben reich werden und einen
Platz in Gottes Reich haben, das er allen zugesagt hat, die ihn lieben. 6 Ihr dagegen
behandelt die Armen geringschätzig. Habt ihr denn noch nicht gemerkt, dass es
gerade die Reichen sind, die euch unterdrücken und vor die Gerichte
schleppen? 7 Wie
oft sind gerade sie es, die Jesus Christus verhöhnen, auf dessen Namen ihr
getauft seid! 8 Lebt
nach dem wichtigsten Gebot in Gottes Reich: »Liebe deinen Mitmenschen wie dich
selbst!«2 Wenn ihr das in die Tat umsetzt, handelt ihr richtig. 9 Beurteilt ihr
dagegen Menschen nach unterschiedlichen Maßstäben, dann macht ihr euch schuldig.
Mir kommt das irgendwie bekannt vor, dass man
sich vom Rang und Ansehen eines Menschen beeindrucken lässt und dem einen
Hochachtung entgegenbringt und den anderen geringschätzig behandelt. Das ist
heute noch genauso wie es damals war. Irgendwie scheint es zur Natur des
Menschen zu gehören, dass man zu einer höher gestellten Person respektvoll aufblickt,
aber auf einen, der es zu nichts gebracht hat, abschätzig herunterschaut.
Doch die Bibel sagt, dass wir uns als
Christen gerade in diesem Punkt von anderen unterscheiden sollen. Wir sollen an
uns arbeiten, dass wir zu jedem Menschen in gleicher Weise freundlich,
zuvorkommend und höflich sind ohne Ansehen der Person, ihres Standes, ihres
Vermögens, ihres Einflusses oder ihrer Machtposition.
Aber warum? Jakobus
nennt in seinem Brief zwei Gründe.
Zum einen sagt er: Ihr glaubt doch an unseren Herrn Jesus
Christus, dem allein alle Herrlichkeit zusteht. Dann lasst euch nicht vom Rang
und Ansehen der Menschen beeindrucken! Mit anderen Worten: Ihr habt
nur einen Herrn, der über euch ist.
Die Herren dieser Welt aber stehen mit euch vor Gott auf derselben Stufe. Sie
sind genauso sterblich wie ihr. Sie machen genauso Fehler wie ihr. Sie haben
ebenso Schwächen wie ihr und sind wie ihr darauf angewiesen, dass Gott ihnen
ihre Sünden vergibt. Sie mögen vielleicht reicher oder berühmter sein als ihr, aber
bei Gott sind sie nicht mehr wert als ihr es seid. Und darum sollt ihr euch
ihnen gegenüber auch nicht minderwertig fühlen.
Als zweiten Grund
nennt Jakobus das wichtigste Gebot, das da heißt: »Liebe deinen Nächsten wie
dich selbst!« Mit anderen Worten: Sei nicht nur den einflussreichen Personen
gegenüber hilfsbereit, höflich und zuvorkommend, sondern sei es genauso zu
einem unscheinbaren Mitmenschen, der nach den Werten dieser Welt keine besondere
Bedeutung hat. Miss also nicht mit zweierlei Maß, denn es gibt keine
Nächstenliebe zweiter Klasse. Oder möchtest du, dass Gott diejenigen mehr liebt
als dich, die eine bessere Ausbildung haben, mehr Geld verdienen, die begabter oder
frömmer, jünger oder gesünder sind als
du?
Nein, das willst du
natürlich nicht, zu Recht. Aber ebenso zu Recht erwartet Gott von mir und von
dir, dass wir es ihm gleich tun und uns ebenfalls denen besonders zuwenden, die
unsere Zuneigung, unsere Zeit und unsere Hilfsbereitschaft brauchen. Und das
sind vor allem Kinder, aber auch alte und einsame Menschen.
Ein Mann besucht
jeden Vormittag seine schwer demenzkranke Frau in einem Pflegeheim, wo sie
professionell betreut wird. Er sitzt neben ihr im Stuhl, hält ihre Hand und
erzählt aus ihrem langen gemeinsamen Leben. Wenn das Essen kommt, füttert er
sie. Wenn sie aufs Klo muss, begleitet er sie. So macht er es Tag für Tag, Woche
für Woche, Monat für Monat, schon drei Jahre. Eines Tages fragt ihn eine
Pflegerin: „Warum machen Sie das nur? Ihre Frau kennt sie doch gar nicht. Sie
weiß nicht mehr, wer sie sind. Da könnten Sie doch ihre Zeit mit etwas Besserem
verbringen.“ Der Mann antwortete: „Nein, das könnte ich nicht. Sie weiß zwar
nicht mehr wer ich bin, aber ich weiß
ganz genau, wer sie ist und wer sie
für mich war. Es stimmt, sie kann
mich jetzt nicht mehr lieben. Aber ich
kann sie nach wie vor lieben und das tue ich auch. Darum bin ich hier.“
Und darum, liebe
Freunde, sind auch wir hier auf dieser Welt, damit wir nicht die lieben, die
unsere Liebe verdient haben, sondern die sie brauchen. Ein Kind kann sich
unsere Liebe nicht verdienen. Es ist darauf angewiesen, dass wir sie ihm
schenken. Jemand, der hingefallen ist, kann sich meine Hilfe nicht verdienen. Er
ist darauf angewiesen, dass ich ihm wieder auf die Beine helfe, einfach so. Ein
Sterbender kann meine Zeit nicht kaufen, die ich bei ihm verbringe. Er ist
darauf angewiesen, dass ich sie mit ihm teile. So auch Gott. Er liebt mich
nicht, weil ich mir das verdient habe. Er wendet sich mir zu, weil ich seine Liebe
brauche. Darum ist er hier. Darum ist er bei dir. Jetzt in diesem Augenblick.
Und selbst wenn du ihn nicht kennst, er kennt dich. Und darauf kommt es an. Amen
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