Sonntag, 5. Februar 2023

Du kannst von Glück sagen (Predigt) hl

Losung: Wenn es dir gut geht, dann freu dich über dein Glück. Und wenn es dir schlecht geht, dann bedenke: Gott hat die Welt geschaffen wie sie ist, mit Licht und Schatten, mit Freude und Leid, und du weißt nicht, was die Zukunft bringen wird. Prediger 7,14
(Andere Übersetzung: Freu dich, wenn du einen Glückstag hast. Und wenn du einen Unglückstag hast, dann denke daran: Gott schickt dir beide, und du weißt nicht, was als Nächstes kommt.) 

Lehrtext: Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Matthäus 6,26

Liebe Leserin, lieber Leser,

vor vielen Jahren habe ich eine Frau besucht, die ihren 16-jährigen Sohn bei einem Unfall verloren hatte. Viel weiß ich von dem Besuch nicht mehr. Aber das hat sich bei mir eingeprägt, als sie sagte: »Herr Pfarrer, mit Gott bin ich fertig. Mit ihm will ich nichts mehr zu tun haben.« Der Schmerz dieser Frau war größer als alles, was ich selbst bisher an Leid erlebt habe. Und ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn eines meiner Kinder oder meiner Enkelkinder plötzlich sterben würde. Und deshalb habe ich auch keinen Grund, jene Frau zu kritisieren.

Ich weiß aber auch von anderen, die ebenfalls einen schweren Verlust erlitten haben und trotzdem bis heute an Gott festhalten. Sie haben sonst keinen anderen Halt, wenn es ihnen den Boden unter den Füßen wegzieht. Und einige halten sich am gekreuzigten Jesus fest und sagen sinngemäß: „Herr, du hast selbst gelitten. Du weißt, wie mir zumute ist. Du wirst mich gerade jetzt nicht im Stich lassen. Du wirst mir für jeden neuen Tag so viel Kraft geben, wie ich brauche.“

Wir alle, ob wir glauben oder nicht, leben in einer Welt voll Glück und Unglück, Freude und Leid, Angst und Hoffnung. So ist sie nun mal, diese Welt. Eine andere haben wir nicht, eine andere kennen wir nicht. Wir werden das Glück nicht mit unserem Glauben herbeizwingen und Unglück und Leid nicht durch religiöse Geschäftigkeiten bannen. Weder das eine noch das andere erreiche ich, wenn ich auch noch so viel bete, Kerzen anzünde und in der Bibel lese. Jeder macht sich Sorgen, jeder wird krank, jeder erlebt auch schwere Zeiten, ob er gläubig ist oder nicht. Die entscheidende Frage ist nur: Wie verhalte ich mich zu Glück und Unglück? Wie kann mir dabei mein Glaube helfen?

Mir hat sich dazu ein Satz aus dem Buch Hiob der Bibel eingeprägt. Als eine Katastrophe nach der anderen über diesen Mann hereingebrochen war, sagte seine Frau zu ihm: „Na, Hiob, immer noch fromm? Verfluche Gott und stirb!“. Doch Hiob antwortet ihr: „Was du sagst, ist gottlos und dumm: Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“

Ich weiß nicht, wie es dir gerade geht. Vielleicht führst du zurzeit ein sorgenfreies Leben. Dann gratuliere ich dir. Vielleicht aber hast du mit einer Krankheit zu kämpfen oder plagst dich mit Sorgen, was deine Partnerschaft betrifft, deine Familie deine finanziellen oder beruflichen Verhältnisse. Dann versuche jetzt mal Abstand zu gewinnen zu den Dingen, die dich gefangen nehmen. Überblicke dein ganzes Leben wie es gerade ist. Vielleicht kannst du dann sagen, was auch ich zu mir ab und zu sage:

‚Du kannst von Glück sagen, dass du soweit gesund bist und in den Gottesdienst konntest. Du kannst von Glück sagen, dass du ein Zuhause hast, ein Dach überm Kopf, ein Bett, einen Kühlschrank voll Nahrungsmittel, eine Heizung, fließendes Trinkwasser, sanitäre Einrichtungen, elektrische Haushaltsgeräte, ein Fahrzeug und ein regelmäßiges Einkommen. Du kannst von Glück sagen, dass du in einem Staat mit einem guten Straßennetz lebst, mit Zügen und Busverkehr. Dass Tag und Nacht ein Rettungsdienst für dich da ist, eine Klinik in erreichbarer Entfernung, dass du es zum Arzt und zur Apotheke nicht weit hast. Dass die Regale in den Geschäften voll sind, Dass unser Rechtssystem weitgehend funktioniert und die kommunale Verwaltung. Dass du in einer Demokratie lebst, deine Meinung frei äußern und dein Glauben ungehindert ausüben kannst. Du kannst von Glück sagen, dass du in diesem Land lebst in einer Zeit des Friedens, auch wenn dir der Krieg in der Ukraine Sorgen macht. Du kannst von Glück sagen, wenn du Menschen hast, die dich nicht im Stich lassen und Kontakt zu dir halten, Familienangehörige, Nachbarn, Freunde. Vor allem aber kannst du von Glück sagen, dass dir Gott in Jesus begegnet, dein barmherziger Vater, der dich geschaffen hat und bedingungslos liebt. Der dich, segnet, behütet, der bei dir ist und bleibt in guten und in schlechten Zeiten.

Das, liebe Leserin, lieber Leser, sage ich mir, wenn mir das eine oder andere Problem zu schaffen macht und sich zu einem Berg auswächst, der alles überschattet. Ja, das Problem ist deshalb nicht weg und setzt mir nach wie vor zu. Aber nun ist es ein Ding unter vielen und beherrscht nicht mehr ausschließlich mein Denken und meine Gefühle. Und dann kann ich auch wieder Gott danken, für all das Gute, das er mir jetzt, in diesem Augenblick schenkt und sagen:

‚Ja, Herr, es stimmt, ich bin trotz meiner augenblicklichen Schwierigkeiten ein gesegneter Mensch. Das will ich nicht vergessen und dafür danke ich dir. Und nun gebe ich dir meine Sorgen, die mich drücken und vertraue darauf, dass sie bei dir in guten Händen sind. Du wirst mir helfen, dass ich mit ihnen leben kann. Und wenn du willst, wirst du sie mir abnehmen; denn du sorgst für mich. Du hast den Überblick über mein Leben. Du weißt, was kommt und wie du es mit mir auf's Beste machen wirst.‘ (Lehrtext) -
Das hilft mir, Abstand zu gewinnen zu meinen Sorgen und Problemen.

Neulich habe ich bei dem Philosophen Arthur Schopenhauer einen interessanten und, wie ich meine, hilfreichen Gedanken gelesen. Er schreibt:

»Wenn ich zu Zeiten mich unglücklich gefühlt, so ist dies hauptsächlich geschehen, weil ich mich in mir selbst geirrt habe. Ich habe mich dann für einen Andern gehalten als ich bin und nun dessen Jammer beklagt.
Ich habe mich zum Beispiel für einen Lehrer gehalten, der nicht Professor wird und keine Zuhörer hat.
Oder für einen, von dem der eine schlecht redet und die andere klatscht.
Oder für den Angeklagten in einem Beleidigungsprozess.
Oder für den Liebhaber, den jenes Mädchen, auf das er aus ist, nicht erhören will.
Oder für den Patienten, den seine Krankheit zu Hause hält.
Oder für andere ähnliche Personen, die mit ähnlichen Leiden zu tun haben.
Das alles bin ich nicht gewesen, das alles ist fremder Stoff, aus dem höchstens die Jacke gemacht gewesen ist, die ich eine Weile getragen und dann gegen eine andere abgelegt habe.«

Das will ich mir merken: Der Ärger, der mich wurmt, die Sorge, die ich mir mache, das Unglück, das ich beklage – was sind sie mehr als eine Jacke? Sie wird mir nicht gefallen. Ich muss sie wohl eine zeitlang tragen. Aber dann werde ich sie wieder gegen eine andere tauschen und in den Sack für abgelegte Kleider stopfen. Wir beide, du und ich, was sind unser Unglück und Sorgen mehr als solche Jacken? Wir haben in unserem Leben schon so viele Jacken abgelegt und sind doch dieselben geblieben. Wir sind und bleiben Geschöpfe Gottes, Töchter und Söhne des barmherzigen Vaters. Wir gehören nicht unserem jeweiligen Befinden, sondern ihm - zum Glück. Amen

Gebet: Herr, schicke, was du willst,
Ein Liebes oder Leides;
Ich bin vergnügt (so froh), dass Beides
Aus Deinen Händen quillt.
Wollest mit Freuden
Und wollest mit Leiden
Mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden.

Eduard Mörike

Herzlich grüßt

Ihr / dein Hans Löhr

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1728 erschien in Herrnhut die erste Tageslosung, ein Bibelwort aus dem Alten Testament, das für jeden Tag des Jahres ausgelost wird. Dazu wird der Lehrtext, ein passendes Bibelwort aus dem Neuen Testament, ausgesucht. Inzwischen erscheinen die täglichen „Losungen“ in etwa 50 Sprachen.
Ich lege Losung und Lehrtext aus, weil einer Untersuchung zufolge das Nachdenken über Bibelworte den Glauben am stärksten wachsen lässt. 
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