Sonntag, 16. August 2015

Der Schlüssel zu den 99 hl

Predigt von Hans Löhr im Lichtblickgottesdienst. Predigttext: Matthäus 18, 12+13

Liebe Freunde,

wie stehen Sie / wie stehst du zu Gott? Bist du ihm gegenüber reserviert oder vorsichtig abwartend oder bist du vertrauensvoll aufgeschlossen? Das kommt wohl darauf an, wie er aus deiner Sicht zu dir steht. Von den Erfahrungen, die du mit Gott gemacht hast, hängt es ab, ob du ihm trauen kannst oder ob du ihm gegenüber besser in der Reserve bleibst. Wer Angst vor Gott hat, wird sich ihm wohl kaum vertrauensvoll öffnen und wer ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen hat, wird ihm wohl eher aus dem Weg gehen.
Um deutlich zu machen, wie Gott zu uns Menschen steht, hat Jesus kurze, aufschlussreiche Geschichten erzählt. Eine davon möchte ich für euch jetzt nacherzählen. Sie steht im Evangelium des Matthäus und ist wohl den meisten von euch bekannt. Trotzdem lohnt es sich, genau hinzuhören, denn in dieser Geschichte geht es nicht um irgendjemand, sondern um dich.
Jesus sagt:  
Was meint ihr: Wenn ein Mann hundert Schafe hat und eins läuft ihm davon, was wird er tun?

Bleiben wir zunächst bei dieser Frage und nehmen wir an, dass die neunundneunzig Schafe, die ihm geblieben sind, die Worte des Hirten verstehen können.

Was denken die Schafe vom Hirten?

Falls der Mann zu sich sagt: „Na gut, ist zwar schade um das eine, aber das ist nur ein Prozent Verlust. Das kann ich verschmerzen“, was denken da die Neunundneunzig, als sie das hören? Was denkt da jedes einzelne von ihnen?
Vielleicht: „Na, ich bin dem Hirten aber nicht viel wert. Mein Leben zählt nicht viel. Ich bin ihm im Grunde egal.“

Vielleicht sagt der Hirte aber auch laut zu sich: „Ich hätte schon gern auch noch das letzte Schaf. Aber jetzt ist es schon spät. Bald wird es dunkel. Ich werde es nicht mehr finden. Am Ende stolpere ich noch und breche mir ein Bein. Und außerdem werden es in der Nacht bestimmt die wilden Tiere reißen. Es hat keinen Zweck, sich auf die Suche zu machen und sich noch selbst in Gefahr zu bringen.“

Was denken wohl die Schafe, wenn sie das hören? Vielleicht: „Dieser Mensch wird sich meinetwegen keine Mühe geben und für mich nichts riskieren. Der lässt mich im Stich, wenn‘s schwierig wird.“

Oder die dritte Möglichkeit. Der Hirte sagt: „O weh, das hilflose Schaf! Es hat sich bestimmt verirrt und nicht mehr zur Herde zurückgefunden. Jetzt läuft es irgendwo da draußen in der Nacht schutzlos umher. Vielleicht wird es von wilden Tieren gerissen. Nein, ich kann und will es nicht seinem Schicksal überlassen. Ich will mich gleich auf die Suche machen, auch wenn die Chance es zu finden, noch so klein ist.“
Was denken die neunundneunzig Schafe, was denkt jedes einzelne von ihnen jetzt? Vielleicht:
„Ich hab aber einen guten Hirten! Ich brauche keine Angst zu haben, wenn mir etwas zustößt. Er wird sich um mich kümmern. Ich bin ihm so viel wert, dass er sich auch meinetwegen mitten in der Nacht auf den Weg machen würde, um mich zu suchen und zu finden, um mich vor den wilden Tieren zu retten und sicher nach Hause zu bringen.“

Soweit, was der Hirte tun und die Schafen von ihm denken könnten.Und jetzt die Geschichte im Ganzen, wie sie Jesus erzählt:
Was meint ihr: Wenn ein Mann hundert Schafe hat und eins läuft ihm davon, was wird er tun?
Lässt er nicht die Neunundneunzig in den Bergen zurück, um das verirrte Schaf zu suchen? 
Und ich versichere euch: Wenn er es endlich gefunden hat so legt er sich's auf die Schultern und freut sich über dieses eine mehr als über die Neunundneunzig, die sich nicht verlaufen hatten.

Jeder ist dieser eine.

Liebe Freunde, wie der Hirte das eine Schaf behandelt, zeigt, wie er die neunundneunzig anderen sieht. Das eine Schaf ist der Schlüssel zu den Neunundneunzig. Sie erkennen sich in dem einen wieder, denn letzten Endes ist jedes von ihnen dieses eine Schaf.

Ein Vater erzählt: Als mein Sohn Josua noch ziemlich klein war, hat er mir oft eine zu Herzen gehende Frage gestellt. Er war so verletzlich und ehrlich, dass er mir jedes Mal, wenn ich auf irgendjemanden überreagierte, auch nur ein klein bisschen ungeduldig oder lieblos war, in die Augen schaute und fragte: »Papi, liebst du mich?«
Wenn er dachte, ich würde einen wichtigen Grundsatz im Verhalten gegenüber anderen verletzten, zum Beispiel, dass ich einem anderen gegenüber nicht freundlich oder ehrlich war,  dann fragte er sich, ob ich das nicht auch bei ihm tun würde, ob ich ihn wirklich lieben würde, oder ob das nicht auch gelogen ist.
Und der Mann erzählt weiter: Als Lehrer wie als Vater habe ich festgestellt, dass der Schlüssel zu den Neunundneunzig der eine ist – besonders der eine, der die Geduld und die gute Laune der vielen auf die Probe stellt. Es ist die Liebe und die Art des Umgehens mit dem einen Schüler, dem einen Kind, dem einen Arbeitskollegen, in der sich die Liebe für die anderen ausdrückt. Wie du den einen behandelst, verrät, was du von den Neunundneunzig hältst; denn letzten Endes ist jeder dieser eine.

In der Umkleidekabine

Um diese Sache noch etwas deutlicher zu machen, möchte ich euch jetzt in den Umkleideraum einer Fußballmannschaft mitnehmen.
Das Vorrundenspiel um den Fußballpokal ist zu Ende. Man hat gegen eine Mannschaft, die zwei Klassen tiefer spielt, verloren und ist für dieses Jahr aus dem Pokalwettbewerb ausgeschieden. Der finanzielle Verlust ist beträchtlich. Der Verein hätte die zusätzlichen Einnahmen gut gebrauchen können. Der Trainer weiß, was auf ihn zukommt. Die Vereinsführung wird ihn kritisch befragen, die Fans werden ihn beschimpfen, die Presse wird hämische Kommentare schreiben.
Mit diesen Gedanken im Kopf geht er nach dem Spiel in die Umkleidekabine zu seiner Mannschaft. Vor ihm steht der Mittelfeldspieler, der den entscheidenden Elfmeter verschossen hat, und schaut zu Boden. Auch die übrigen Spieler schauen ihren Trainer nicht an. Aber ihre Ohren sind gespitzt. Was wird er jetzt wohl sagen? Wird er sie alle zusammenstauchen? Wird er den Mittelfeldspieler zur Schnecke machen?
Der Trainer hat die Wahl: Er kann seinen ganzen Ärger, seine Enttäuschung und Wut an dem einen Spieler auslassen. Er kann ihn anschreien, ihm drohen, ihn augenblicklich aus der Mannschaft werfen. Und er hat auch alle Lust, das zu tun. Doch bevor er den Mund aufmacht, stellt er sich die entscheidende Frage: „Was werden wohl die anderen Spieler denken, wenn ich mich dem einen gegenüber sich so negativ verhalte?“
Der Trainer schluckt seinen Ärger runter, beherrscht sich, sieht in dem geknickten Mittelfeldspieler nicht den Versager, sondern den unglücklichen Pechvogel. Er geht auf den Spieler zu, legt ihm den Arm um die Schulter und sagt: Du bist nicht allein schuld an der Niederlage. Die ganze Mannschaft hat heute nicht das gebracht, was ich von ihr erwartet habe. Und ich selbst habe bei meiner Taktik auch Fehler gemacht. Wir alle haben gemeinsam verloren. Und wir alle werden das nächste Spiel gemeinsam gewinnen. Ich brauch jetzt niemanden einzelnen zu kritisieren. Jeder von uns weiß selbst, was bei ihm heute nicht so gut gelaufen ist.
Jetzt schauen ihn alle Spieler an. Sie sind stolz auf ihren Trainer. Im nächsten Spiel werden sie sich für ihn zerreißen. Das nehmen sie sich fest vor. Denn jetzt weiß jeder einzelne von ihnen: Wenn es auch mal in einem Spiel nicht so gut läuft, wird mich der Trainer nicht vor den anderen bloßstellen und fertig machen.
Als der Trainer später vor die Presse tritt, stellt er sich vor seine Mannschaft und sagt: Ich bin schuld an der Niederlage, ich habe die falsche Taktik gewählt. Schreiben Sie das in Ihrer Zeitung.

Grundlegende Lebensweisheit

Wie stehen Sie / wie stehst du zu Gott? Bist du ihm gegenüber reserviert oder vorsichtig abwartend oder bist vertrauensvoll aufgeschlossen? Das kommt wohl darauf an, wie er zu dir steht.
Um das deutlich zu machen, hat Jesus jene Geschichte vom Hirten und seinem verlorenen Schaf erzählt. Deinetwegen hat Jesus diese Geschichte erzählt, damit du wie die Neunundneunzig anderen, wie jetzt alle anderen hier in diesem Raum, erfährst, wer Gott für dich ist, damit du sagen kannst: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln…“.
Zugleich aber lehrt mich diese Geschichte eine grundlegende Lebensweisheit. Denn in ihr geht es auch darum, wie andere Menschen zu mir stehen: Reserviert oder vorsichtig abwartend oder vertrauensvoll aufgeschlossen. Egal ob die eigenen Kinder oder Enkel, Schüler oder Arbeitskollegen, Nachbarn, Freunde und Bekannte – sie alle achten darauf, wie ich mit anderen umgehe und ziehen daraus ihre Schlüsse, was ich für einen Charakter habe, was ich wirklich von ihnen halte. Auch da gilt, dass der Schlüssel zu den Neunundneunzig, der eine ist. So wie ich ihn behandle, so fühlen sich auch alle anderen behandelt. Denn in dem einen erkennen sie sich wieder.

Wo bist du?

Die Geschichte Jesu schließt mit dem Satz: »Und wenn er das Schaf gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude.« Wo bist du gerade? Bist du bei deinem guten Hirten oder läufst du ohne ihn durch die Welt, hast dich vielleicht sogar verirrt und weißt im Grunde deines Herzens gar nicht genau, wem du gehörst, was du willst und welchen Weg du gehen sollst?
Lass dich von ihm finden, gib Antwort, wenn er dich ruft. Er lässt dich nicht im Stich, er überlässt dich nicht einem bösen Schicksal, er behütet dich und freut sich, wenn er dich gefunden. Amen

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