Sonntag, 2. Oktober 2016

Unser tägliches Brot. Erntedankfest 2016 hl

Liebe Freunde,

heute ist Erntedanktag. Heute ist Zahltag. Heute präsentiert uns Gott die Rechnung

für den Sonnenschein und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras und die Schmetterlinge,
für die Luft, die wir geatmet haben, und den Blick auf die Sterne
und für all die Tage, die Abende und die Nächte.
Einmal wird es Zeit, dass wir aufbrechen und bezahlen: bitte die Rechnung!
Doch wir haben sie ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen, sagt der und lacht, so weit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!
(Lothar Zenetti)

Heute ist Erntedank. Heute will Gott ernten für alles, was er uns auch in diesem Jahr wieder geschenkt hat. Heute will er Dank ernten. Sonst nichts. Aber unseren Dank möchte er schon haben. Er will sehen, ob wir zu schätzen wissen, was er uns gegeben hat. Ob uns bewusst ist, wem wir das alles verdanken: Unser Leben und das unserer Kinder genauso wie das tägliche Brot.
Und heute wollen wir genau das tun und ihm unseren Dank bringen. Wir tun das mit den Leiterwagen der Kinder voll Früchten aus Feld und Garten und Lebensmitteln, die wir vorhin in die Kirche gezogen und wie ehedem vor den Altar gestellt haben. Wir tun dies mit unseren Liedern und vor allem mit unseren Gebeten. Heute sagen wir hier in der Kirche und nachher vor dem Mittagessen: Alle guten Gaben, alles was wir haben, kommt, o Gott, von dir. Dank sei dir dafür!
Wofür genau wir danken, dafür steht dieser kleine Bissen Schwarzbrot, den wir nachher beim Abendmahl essen werden (HL zeigt einen kleinen Brotbrocken). Ich werde ihn euch in die Hand legen. Nehmt ihn und riecht daran. Kein Parfüm riecht besser als frisches Brot. Jemand hat dazu den schönen Satz geschrieben: »Wie eine Fee tanzte er geheimnisvoll durch die Gassen und tauchte uns ein in Wärme und Lust, der Duft vom frischen Brot.« (Manfred Poisel) Was kommen euch für Gedanken in den Sinn, wenn ihr frisches Brot riecht? Ich denke daran, dass mein Bruder und ich uns ums 'Knetzle', um den Anschnitt gestritten haben, wenn Mutter frisches Brot nach Hause gebracht hatte. Um des Friedens willen, hat sie dann das Brot von der anderen Seite noch mal angeschnitten. Und manchmal haben wir dann gleich mehrere Scheiben gegessen ohne irgendwelchen Belag. Einfach, weil frisches Brot auch pur fantastisch schmeckt so wie es Eva Strittmatter in ihrem Gedicht ‚Brot‘ beschreibt:

Man muss sein Brot mit gar nichts essen.
Mit nichts als Licht und Luft bestreut.
Gefühle, die man ganz vergessen,
Geschmack und Duft der Kinderzeit,
Sie sind im trocknen Brot beschlossen,
Wenn man es unterm Himmel isst.
Doch wird die Weisheit nur genossen,
Wenn man den Hunger nicht vergisst
.

Von all den zahllosen Brotsorten schmeckt mir fränkisches Schwarzbrot mit einer schönen Kruste am besten. Auch eine französische Baguette schmeckt sehr gut. Aber auf Dauer hat sie gegen unser fränkisches Brot bei mir keine Chance.
Wenn ihr also nachher beim Abendmahl an diesem Bissen Brot gerochen habt, dann steckt ihn euch in den Mund und kaut ihn langsam und mit Bedacht. Macht euch bewusst, was genau ihr da esst. Es ist das tägliche Brot, um das wir in jedem Vaterunser bitten: die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Ihr könnt darin die Sonne schmecken und den Regen, die Fruchtbarkeit unserer Böden, das Mehl des Müllers, die Hefe des Bäckers, die Hitze des Backofens. Aber das ist noch nicht alles. Das tägliche Brot ist ein Zeichen, ein Symbol für so vieles, was unser Leben ausmacht. Martin Luther schreibt dazu in seiner Auslegung zum Vaterunser:
Was heißt denn tägliches Brot?
Alles, was wir zum Leben brauchen, wie Essen und Trinken, etwas zum Anziehen, ein Dach überm Kopf, eine Arbeitsstelle, Geld, Besitz, einen lieben Partner, gute Kinder, gute Chefs, eine gute Regierung, gutes Wetter, Friede, Gesundheit, Disziplin, Ansehen, gute Freunde, hilfsbereite Nachbarn und usw.
(revidierter Text von HL)
Mit einem Wort, das tägliche Brot ist Gottes täglicher Segen. Und diesen seinen Segen esst ihr buchstäblich, daheim und hier beim Abendmahl. Denkt daran, wenn ihr das tut und seid dankbar dafür.
Doch zugleich esst ihr hier auch geistliches Brot. Dieser von Gott so gesegnete Bissen Brot ist zugleich „Christi Leib für dich gegeben“. In diesem kleinen Brotbrocken steckt nicht nur Gottes Segen, sondern auch die grenzenlose Menschenliebe seines Sohnes Jesus. Denkt auch daran, wenn ihr das Brot des Abendmahls esst. Damit schmeckt ihr auch diese Liebe und ernährt eure Seele. Wer sonst liebt euch so sehr, dass er sein Leben für euch gibt? Darum nehmt das Brot voll Dankbarkeit zu euch und esst es mit Andacht.
So feiern wir ein Erntedankfest, das über die materiellen Güter hinausgeht und die himmlischen Güter mit einbezieht: Den Segen und die Liebe.
In diesem Sinn ist jedes Brot, Brot von Gott. Es soll euch stärken an Leib und Seele. Es soll euch Kraft geben für euer Leben, für die tägliche Arbeit, für das Zusammenleben in Partnerschaft und Familie, für die Gemeinschaft im Dorf und in unserer Kirchengemeinde.

Ja, heute ist Zahltag. Heute präsentiert uns Gott die Rechnung für all das Gute in unserem Leben, insbesondere für unser tägliches Brot. Aber wir haben sie ohne den Wirt gemacht. ‚Ich lade euch ein‘, sagt der und lacht. ‚Es ist mir ein Vergnügen!‘
Und wir sagen: ‚Danke, Herr, danke!‘
So feiern wir Erntedankfest. Und wenn wir von Menschen hören, denen es am täglichen Brot fehlt, an einer guten Regierung, an Nahrung, an Frieden und nicht zuletzt an Heimat, dann wissen wir: Brot ist teilbar.

Amen

Hans Löhr 

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