Losung: Mein Volk
tut eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen
sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben. Jeremia
2,13
Lehrtext: Spricht zu
ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der
Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser? Johannes
4,11
Liebe Leserin, lieber Leser,
lies bitte zunächst den wesentlichen Teil der Geschichte, in
der der heutige Lehrtext steht:
»Müde von der langen
Wanderung setzte sich Jesus an den Brunnen. Es war gerade Mittagszeit. Da
kam eine Samariterin (vergleichbar einer muslimischen Flüchtlingsfrau bei
uns in Deutschland) aus der nahe gelegenen Stadt zum Brunnen, um Wasser
zu holen. Jesus bat sie: "Gib mir etwas zu trinken!" Die Frau
war überrascht, denn normalerweise wollten die Juden nichts mit den Samaritern
zu tun haben. Sie sagte: "Du bist doch ein Jude! Wieso bittest du mich um
Wasser? Schließlich bin ich eine samaritische Frau!" Jesus antwortete
ihr: "Wenn du wüsstest, was Gott dir geben will und wer dich hier um
Wasser bittet, würdest du mich um das Wasser bitten, das du wirklich zum Leben
brauchst. Und ich würde es dir geben." "Aber Herr", meinte da
die Frau, "du hast doch gar nichts, womit du schöpfen kannst, und der
Brunnen ist tief! Woher willst du dann das Wasser für mich nehmen? Jesus
erwiderte: "Wer dieses Wasser trinkt, wird bald wieder durstig sein. Wer
aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, der wird nie wieder Durst
bekommen. Dieses Wasser wird in ihm zu einer Quelle, die bis ins ewige Leben
hinein fließt."« (Johannes 4,11-14)
Wenn ich den frommen Lack von dieser Geschichte abkratze,
mit dem sie im Lauf der Jahrhunderte überpinselt worden ist, kommt darunter ein
unangepasster Jesus zum Vorschein. Er war so ganz und gar frei, dass er sich
nicht um die damaligen gesellschaftlichen Konventionen, religiösen Normen und den
gültigen Anstand scherte. Auch nicht um das Zwielicht, in das ihn sein Gespräch
mit der Frau am Brunnen tauchte. Und heute schert er sich auch nicht darum. Das
sei denen gesagt, die glauben, ihn in ihre moralische, kirchliche, konfessionelle
Tasche stecken zu können. Er lässt sich in niemands Tasche stecken. Er bleibt
für uns Menschen immer auch sperrig und fremd. So ruft er uns aus unseren Denk-
und Glaubensgewohnheiten heraus. Auch heute.
Die Frau, die er anspricht, lebt schon zum sechsten Mal mit einem Mann zusammen. Verheiratet ist sie nicht. Die Bibel verzichtet
darauf, die Hintergründe zu erzählen. Aber so viel ist klar, eine solche Frau spricht
ein Mann nicht an, damals sowieso nicht. Und auch heute kommt man da bei
manchen Leuten schnell in Verruf. Außerdem war sie eine Ausländerin mit einer
anderen Religion. Was wollte also der Mann Jesus von ihr? Das hat sie sich gedacht
und ihn danach gefragt. Und dann diese unerwartete, befremdliche Antwort: »Wenn
du wüsstest, was Gott dir geben will und wer dich hier um Wasser bittet,
würdest du mich um das Wasser bitten, das du wirklich zum Leben brauchst. Und
ich würde es dir geben.« Gott will dieser Frau etwas geben. Nein, keine Strafe.
Keine Verachtung. Sondern er will ihre tiefe Sehnsucht nach einer Liebe stillen,
die mehr ist als gewohnheitsmäßiger Sex, mehr als ein langweiliges Verhältnis,
mehr als ein pragmatisches Zusammenleben, weil sich eben was Besseres nicht
ergeben hat.
Das alles sieht Jesus in den Augen der Frau. Und er weiß:
Ich selbst bin für sie dieses Geschenk Gottes, die innere Quelle, dieses Wasser
des Lebens, das die tiefe Sehnsucht nach Liebe stillt. Er verlangt nicht von
ihr, dass sie erst ihr Leben radikal ändert. Er schenkt ihr seine Liebe mitten
in die alten Verhältnisse hinein, mitten in ihr bisheriges Leben hinein und
will sie so von ihrem brennenden Durst, von ihrer unerfüllten Sehnsucht erlösen.
Ich glaube, bis heute ist er dieses Gottesgeschenk, diese
innere Quelle für Menschen, die eine Sehnsucht haben, welche über das
alltägliche Leben in dieser Welt hinausreicht. Die sich nicht abspeisen lassen
mit Karriere und Konsum. Die sich nicht zufrieden geben mit dem, was halt
gerade so ist. Die sich nach einer Liebe sehnen, die ein Menschenleben erfüllt.
Und so ist es eine große Tragödie, dass so viele die
»lebendige Quelle« verfehlen und woanders ihr Glück, woanders die Erfüllung
ihrer Sehnsucht suchen und doch nicht finden (Losung).
Vielleicht ist es sogar so, dass sich jeder Mensch ein Leben lang nach einer
tiefen Liebe sehnt. Aber ich kann mir diesen Wunsch nicht selbst erfüllen,
nicht durch Leistung, nicht durch Geld, nicht durch Anstand, nicht mit Zwang,
nicht mit lieblosem Sex. Ich kann mich nur mit Liebe beschenken lassen und
einem anderen darin zuvorkommen. Und wo einer dem andern dieses Geschenk macht,
scheint etwas auf von der himmlischen Liebe, die jedem geschenkt ist und nur
darauf wartet, dass ich sie für mich annehme.
Gebet: Herr,
da sind so viele Dinge, die ich gerne hätte. Und wenn ich sie dann habe,
verfliegt ihr Reiz und sie können nicht halten, was ich mir von ihnen
versprochen habe. Ich weiß das und falle doch immer wieder darauf herein. Doch
du willst meine innere Quelle sein, die nicht versiegt, die täglich meinen
Durst nach Liebe und Anerkennung stillt und mir ein erfülltes Leben schenkt. So
halte ich dir meine leeren Hände hin, mein leeres Herz und warte darauf, dass
du es füllst. Amen
Herzliche Grüße
Ihr / dein Hans Löhr
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