Predigt von Hans Löhr am
Sonntag zum guten Hirten, 5. Mai 2019 in Reuth bei Neuendettelsau
Liebe Leserin, lieber
Leser,
was erwartest du dir
eigentlich von der Kirche, du ganz persönlich? Was soll sie für dich tun? Die
meisten Kirchenmitglieder erwarten sich wohl, dass ihre Kinder und Enkel
getauft und später konfirmiert werden, dass sie kirchlich heiraten können und
eine christliche Trauerfeier bekommen. Deswegen sind sie dabei und zahlen
Kirchensteuer. Und vielleicht auch deshalb, weil sich das zumindest hier auf
dem Land noch so gehört und die meisten anderen es genauso machen.
Aber hat die Kirche auch eine Bedeutung
für deinen Glauben? Mindestens 90 Prozent der Evangelischen, meistens noch mehr,
besuchen sonntags keinen Gottesdienst, hören keine Predigt und interessieren
sich auch sonst nicht für das, was Kirche sagt und tut. Im besten Fall ist da
noch die Diakonie interessant, wenn es um Behinderte, um Kranke und Hochbetagte
geht, die einen Heimplatz benötigen. Doch so wie Diakonie heute organisiert
ist, kann sie auch ohne Kirche leben.
Und so frage ich noch mal: Was erwartest
du dir eigentlich von Kirche, du ganz persönlich? Da du heute in den
Gottesdienst gekommen bist, nehme ich an, dass auch der Glaube für dich wichtig
ist. Und hier in der Kirche Sankt Kunigunde soll es ja genau darum gehen, wie
dir der Glaube hilft, im Leben zurechtzukommen. Aufgabe der Kirche ist es dann,
dich im Glauben zu unterstützen und zu begleiten. Ich denke, dass du jetzt zu
Recht erwarten kannst, nachher gestärkter und getroster wieder heimzugehen als
du gekommen bist. Dazu sollen die Lieder, die Gebete und der Segen beitragen
und nicht zuletzt die Predigt.
Ich selbst habe lange geglaubt, Aufgabe
der Kirche sei es, in alle Welt zu gehen, zu taufen und zu lehren wie es im
letzten Kapitel des Matthäusevangeliums heißt. Das ist nicht falsch. Doch
inzwischen glaube ich, dass es noch einen wichtigeren Auftrag gibt. Darauf hat
mich kein Theologieprofessor aufmerksam gemacht, kein Kollege und kein
theologisches Buch. Darauf hat Heinrich Böll hingewiesen in seinem Roman
„Billard um halb zehn“. Und dieser Auftrag findet sich im Johannesevangelium.
Da heißt es:
Nach seiner
Auferstehung erschien Jesus den Jüngern zum dritten Mal früh morgens am See
Genezareth. Als sie an diesem Morgen miteinander gegessen hatten, fragte Jesus
Simon Petrus: »Simon, Sohn von Johannes, liebst du mich mehr als die anderen
hier?« »Ja, Herr«, antwortete ihm Petrus, »du weißt, dass ich dich lieb habe.«
»Dann weide meine Lämmer!«, sagte Jesus.
Er wiederholte seine Frage: »Simon, Sohn von Johannes,
liebst du mich?« »Ja, Herr, du weißt doch, dass ich dich lieb habe«, antwortete
Petrus noch einmal. Da sagte Jesus zu ihm: »Dann hüte meine Schafe!«
Und ein drittes Mal fragte Jesus: »Simon, Sohn von
Johannes, hast du mich wirklich lieb?« Jetzt wurde Petrus traurig, weil Jesus
ihm nun zum dritten Mal diese Frage stellte. Deshalb antwortete er: »Herr, du
weißt alles. Du weißt doch auch, wie sehr ich dich lieb habe!« Darauf sagte
Jesus: »Dann weide meine Lämmer, sorge für meine Schafe! Dann forderte Jesus
ihn auf: »Folge mir nach!« Johannes
21,14-17.19b
»Weide meine Lämmer!« – Das ist der
Auftrag, den der Herr seinem Jünger Petrus und durch ihn seiner Kirche gibt.
Sie, also die Geistlichen, sollen Jesu Schafe auf der grünen Aue des
Gottvertrauens weiden und zum frischen Wasser der Hoffnung führen. Sie sollen die
Seelen der Gläubigen erquicken mit der Botschaft von Gottes bedingungsloser
Liebe in Jesus Christus. Und sie sollen ihnen Orientierung geben, wie sie ihren
Weg durchs Leben finden. Und wenn die Zeit des finsteren Tales kommt, sollen
die Pastoren, auf Deutsch die Hirten, sie beschützen, sie begleiten und nicht
von ihnen weichen. Genauso soll die Kirche im Auftrag Jesu für die Gläubigen sorgen,
so wie ein guter Hirte seine Lämmer weidet.
Ich lasse mich jetzt nicht auf die Frage
ein, ob man heute noch von den Geistlichen als Hirten und von den Gläubigen als
Schafen reden dürfe. Ich mache mir bewusst die Worte Jesu zu eigen und nicht die
Einwände irgendwelcher Bedenkenträger. Und darum frage ich jetzt: Sind wir, die
Pfarrerinnen und Pfarrer, solche guten Hirten und Hirtinnen, die Jesu Lämmer
weiden, die für seine Schafe sorgen? Und wenn ja, was macht uns dazu?
Dem Wort Jesu zufolge, das wir vorhin aus
dem Johannesevangelium gehört haben, ist der ein guter Hirte, der ihn liebt.
Das ist das Erste und Wichtigste, was einen Menschen zu einem Seelenhirten
macht, zu einem Pfarrer oder einer Pfarrerin, dass er oder sie Jesus liebt.
Nicht das Theologiestudium, nicht die praktische Ausbildung im Vikariat, nicht
das Amt, nicht der Titel, nicht die Erlaubnis einer Kirchenbehörde. Das alles
macht noch keinen guten Pfarrer.
Auch Petrus hatte das alles nicht als
Jesus ihn fragte: »Liebst du mich?« Zu einem Seelenhirten gehören auch kein
astreiner, moralischer Lebenswandel und keine nachweisbaren Erfolge. Petrus
hatte noch wenige Tage zuvor versagt, als er Jesus dreimal verleugnete. Er war
ein Großsprecher, der seinen Worten keine Taten folgen ließ. Im Grunde genommen
war er ungeeignet, die Lämmer Jesu zu weiden. Aber der Herr suchte sich gerade ihn aus, diesen Menschen mit seinen
Schwächen. Er gab ihm eine zweite Chance und Petrus dankte es ihm und liebte
ihn dafür. Dreimal hatte er Jesus verleugnet. Dreimal wurde er von Jesus
gefragt: Liebst du mich? Dreimal sagte Petrus ja.
Wer von uns Pfarrerinnen und Pfarrern kann
ein solches dreifaches Ja sagen? Das erst wäre die richtige Ordination, die
richtige Beauftragung zum Dienst des Hirten. Damit man mich nicht falsch
versteht, ich glaube schon, dass ein Pfarrer, eine Pfarrerin eine solide
Ausbildung braucht und zum Gemeindedienst befähigt sein muss. Aber das alles
hat keinen Wert, wenn er oder sie Jesus nicht liebt. Das erst macht ihn zu
einem Hirten, der von ihm berufen ist, seine Lämmer zu weiden.
Heinrich Böll beklagt in seinem Roman,
dass viele Amtshirten in der Zeit des Nationalsozialismus die Lämmer Jesu im
Stich gelassen haben, als sie von den Nazi-Wölfen verfolgt und getötet wurden.
Dazu gehörten damals nicht nur Christen, die sich nicht gleichschalten lassen
wollten, sondern behinderte Kinder, auch Juden, Zigeuner, Homosexuelle und
politisch Verfolgte. Jeder Mensch, der in Not ist, ist ein Lamm Jesu. Denn
jeder, ob gläubig oder nicht, ist Gottes Kind, von ihm geschaffen, geliebt und erlöst
mit dem Recht sich seines Lebens zu freuen.
Damals, vor über 70 Jahren, als Finsternis
über Deutschland lag, haben auch die angeblichen Hirten in der Diakonie Neuendettelsau versagt und „mehr als 1.200 von
über 1.700“ ihrer behinderten Schützlinge den Nazi-Mördern ausgeliefert. Einige
wurden ins Bezirkskrankenhaus Ansbach verfrachtet, wo man sie mit weit über
tausend anderen verhungern ließ und totgespritzt hat. Andere wurden in Linz
vergast. Ich bin in Neuendettelsau aufgewachsen. Ich war fassungslos, als das
erst viel später bekannt wurde und ich davon erfahren habe.
„Weide mein Lämmer!“, heißt Jesu Auftrag
an die Hirten. Doch alles,
liebe Freunde, alles hängt davon ab, ob die Pfarrerinnen und Pfarrer Jesus und
seine Schafe auch lieben, damit sie ihre Hirten sein können. Es ist zu wenig,
irgendwie gottgläubig zu sein. Wir begegnen Gott nur in dem, der von sich sagt:
»Ich bin der gute Hirte, der gute Hirte
lässt sein Leben für die Schafe. Ich gebe ihnen das ewige Leben und niemand
wird sie aus meiner Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.« (Johannes 10,11.28.30)
Weide meine Lämmer! – dieser Auftrag Jesu
gilt noch heute. Wo das geschieht, da ist Kirche. Wo du ermutigt und getröstet
wirst, wo du geachtet und angenommen wirst, wo man dich in schwierigen
Lebenslagen begleitet, wo man dich schützt vor einem gnadenlosen Markt, der nur
den Wert des Geldes kennt, wo du die befreiende Nachricht von Gottes Liebe
hörst, die in Jesus erschienen ist, mit einem Wort, wo du geliebt wirst.
Wo das geschieht, da ist Kirche, und sei
es in einer Bretterhütte in Tansania. Wo das nicht geschieht, da ist Kirche
nicht, auch wenn sie sich so nennt, trotz aller Dome und Kathedralen, Ämter,
Titel und Gewänder.
Doch Gott sei Dank sind nicht nur fehlbare
Menschen Hirten für andere. Gott sei Dank bleibt Jesus unser guter Hirte, wenn
auch Menschen versagen. Gott sei Dank kann ich als Kind wie als Erwachsener in
jeder Lebenslage beten:
Weil ich Jesu Schäflein
bin,
freu ich mich nur immerhin
über meinen guten Hirten,
freu ich mich nur immerhin
über meinen guten Hirten,
der mich wohl weiß zu
bewirten,
der mich liebet, der mich kennt
der mich liebet, der mich kennt
Und bei meinem Namen
nennt.
Amen
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Hans Löhr /
Sommersdorf 5 / 91595 Burgoberbach
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