Vorbemerkung: Aufgrund des großen Interesses an meinen Predigten bei den Trauerfeiern für Rosi B. und Elsa F. bringe ich heute die Ansprache für Hans S.
Liebe Familie S., liebe Trauergäste,
»Alles hat seine Zeit«, sagt das
Bibelwort in der Traueranzeige für Hans S., alles, was auf der Welt und in
unserem Leben geschieht. Und so geht das Wort weiter:
»Geborenwerden und Sterben hat seine Zeit,
Pflanzen und Ausreißen,
Töten und Heilen hat seine Zeit, Einreißen und
Aufbauen,
Weinen und Lachen hat seine Zeit, Klagen und
Tanzen,
Umarmen und Loslassen, Schweigen und Reden hat
seine Zeit,
Lieben und Hassen, Krieg und Frieden.
Alles hat seine Zeit. Alles kommt und geht. Für
alles auf der Welt hat Gott die rechte Zeit bestimmt. Doch in das Herz des
Menschen hat er den Wunsch gelegt, nach dem zu fragen, was bleibt.« (Prediger 3,1-11 in Auswahl)
Hans S. hatte
seine Zeit vom 5. November 1930 bis 2. Mai 2021. 90 lange Jahre währte sein
Leben, eine Zeit voll Arbeit, von Kindesbeinen an bis ins Alter. Erst mit 75
Jahren war Feierabend, war „das Tagwerk vollbracht“.
Und du hier hast
auch deine Zeit. Deine Kindheit ist schon vorbei. Für viele auch die Jahre der
Jugend. Manche von euch stehen jetzt mitten im Leben. Für andere wie mich ist
der Lebensabend gekommen. Doch wer weiß schon, wie viel Zeit ihm noch bleibt?
Sind es wirklich noch Jahre oder vielleicht nur noch Tage? So viel steht fest:
für jeden von uns hier ist dieser Tag heute der erste vom Rest des Lebens. Nur
wissen wir nicht, wie viel Sand noch im Stundenglas ist, der unablässig von
oben nach unten rinnt.
Doch
vielleicht ist die Frage, wie lange man lebt, falsch gestellt. Es geht doch nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Und das kann jeder
von uns hier nur selbst beantworten, ob seine Tage mit Leben gefüllt sind oder
leer.
Solange
Hans S. arbeiten konnte, war sein Tag randvoll mit Arbeit gefüllt. Und wenn er
dann zur Ruhe kam, ist er eingeschlafen. Das war sein Leben. Darin fand er
seinen Sinn. Das hat ihn auch erfüllt. Mehr brauchte er nicht, keinen Urlaub,
keine Freizeit, nur seine Zeitung. Er war Landwirt mit Leib und Seele. Was ihn
selbst anging, so war er bedürfnislos wie ein Eremit. Und doch war er offen und
interessiert an allem, was in seiner kleinen und in der großen Welt vor sich
ging.
Für
die Familie war das nicht einfach, weil sie mit dem Vater gerne auch mal Zeit
verbracht hätte. Doch er steckte seine ganze Zeit und Kraft in den Hof, um ihn
nicht gezwungenermaßen aufgeben zu müssen. Er wollte, selbst entscheiden, wann
er den Stall zusperrt. Und zuletzt wollte er nicht gezwungenermaßen so lange
leben müssen, wie es die Medizin ermöglicht hätte. Er wollte selbst
entscheiden, wann die Behandlungen beendet werden und das Hinauszögern des
Sterbens ein Ende hat. So hatte er letztes Wochenende beschlossen, nach acht
Jahren die Dialyse zu beenden wohlwissend, dass das sein Ende bedeutete.
Am
Sonntag Abend ist er dann im Beisein seiner Töchter Christa und Margit zuhause gestorben.
Die eine hat dabei seinen Kopf gehalten, die andere seine Hände. Ich möchte
euch für diesen Dienst der Liebe an eurem Vater an seiner Stelle danken. Besser
kann ein Mensch nicht aus dieser Welt gehen. Ihr wart in diesen Augenblicken
für ihn wahre Engel. Und als ihr ihn wieder loslassen musstet, hat Gott der
Herr ihn gehalten und heimgetragen, dorthin, wo vor über 90 Jahren alles
begonnen hatte. Alles hat seine Zeit, Halten und Loslassen hat seine Zeit. Kommen
und Gehen.
Hans
S. war ein von Gott gesegneter Mann. Dazu gehören seine vier Töchter, von denen
eine bereits gestorben ist. Als er einmal gefragt wurde, was sein größter
Schmerz in seinem Leben war, sagte er, dass dieses Kind behindert auf die Welt
kommen musste. Und ich sage dazu, was viele von euch vielleicht jetzt nicht
verstehen: Wir werden von Gott auch mit unseren Schmerzen gesegnet, auch mit
unseren Enttäuschungen und unserem Leid. Auch das macht uns aus und gehört zu
uns, wie die schönen Tage, wie der Erfolg und das Glück. Ein anderes Leben gibt
es nicht.
Hans
S. war gesegnet mit vier Enkeln und zwei Urenkeln, mit einer staunenswerten
Arbeitskraft und einem nicht minder staunenswerten Gedächtnis. Er hätte das
Zeug dazu gehabt, auf eine weiterführende Schule zu gehen, vielleicht sogar auf
die Universität, so, wie das seine Enkel jetzt tun. Das war sein großer Traum.
Doch dazu fehlte in der Familie mit sechs Kindern das Geld. Stattdessen musste
er bald nach der Konfirmation im Jahr 1944 von Zuhause fort und als Knecht auf
fremden Höfen arbeiten.
Wenige
Wochen vor Kriegsende wurden er und andere 14-jährige als Hitlers letztes
Aufgebot in Ansbach gemustert. Dann sollten die Kinder 50 Kilometer nach
Weißenburg marschieren, um schließlich die vorrückenden Amerikaner aufzuhalten.
Das wäre ihr sicherer Tod gewesen. Da sagte ein mutiger Vater den
Erfüllungsgehilfen der SS: »Wenn ihr nicht einmal mehr ein Lastauto habt, um
die Buben zu fahren, dann nehme ich sie wieder mit.« Und so geschah es dann
auch.
Nach
seinen Jahren als Bauernknecht war Hans S. zunächst LKW-Fahrer. Schließlich hat
er 1958 in den Hof seiner Frau eingeheiratet und sich ganz und gar der
Landwirtschaft verschrieben.
Während
die meisten Höfe in unseren Dörfern längst aufgegeben worden waren, hielt er
sich noch lange über Wasser. Im Winter arbeitete er mit seinem Freund Hans H.
bei einer Forstbehörde im Wald. Das war für ihn eine schöne Abwechslung, die
ihm viel Freude gemacht hatte. In der übrigen Zeit des Jahres saß er auf seinem
Bulldog, als wäre er da zur Welt gekommen, und kümmerte sich um die Felder und
das Vieh. So gelang es ihm mit großem Fleiß und großer Disziplin für seine
Töchter das Nachbaranwesen zu erwerben und zu renovieren und auch noch einmal
einen neuen Stall zu bauen.
Vor
dieser Lebensleistung des Hans S. ziehe ich meinen Hut. Auch wenn er in den
letzten Jahren als Landwirt von seinen Töchtern immer wieder unterstützt wurde,
so war er doch die längste Zeit ein Einzelkämpfer. Er war, wie seine Kinder zu
ihm sagten, der Häuptling auf dem Hof. Er wusste genau, was, wie und wann gemacht
werden musste. Trotzdem war er für seine Töchter ein liebevoller und, wie sie
selbst sagen, herzensguter Vater.
Alles
hat seine Zeit. Vor 15 Jahren starb seine Frau. Das Wohnhaus steht nun leer und
auch der Stall. Der Häuptling ist gegangen und mit ihm auch ein Stück Dorfgeschichte.
War
es das? Nein. Auch wenn er gegangen ist, so bleibt er doch in den Herzen seiner
Familie und in der Erinnerung von manchen von uns, die mit ihm bekannt waren.
Aber noch etwas anderes soll bei seiner Beerdigung zur Sprache kommen. Im
Bibelwort für diese Trauerfeier heißt es am Schluss: »In das Herz
des Menschen hat Gott den Wunsch gelegt, nach dem zu fragen, was bleibt.«
Und das ist er
selbst, der Herr über Raum und Zeit. Er bleibt derselbe, der er gestern war.
Und er wird auch morgen derselbe sein, der er heute ist. Er ist der ewige und
heilige Gott. Aber auch der barmherzige, der uns in Jesus begegnet. Er hat die
ganze Welt und dich und mich und Hans S. aus Freude und Liebe geschaffen. Und
was Gott liebt, das will er nicht mehr verlieren. Ihm gehören wir. Bei ihm bleiben
wir im Leben und im Sterben, in dieser Welt und in jener.
Darauf kannst
du vertrauen. Denn auf dich kommt dabei nichts an, auch nicht auf deinen
Glauben oder Unglauben, sondern alles auf ihn. Wie auch immer du lebst, er
bleibt dir treu. Für diese gute Nachricht hat Jesus gelebt, ist er gestorben
und auferstanden. Halte dich an ihm fest, dann bist du gehalten im Leben und im
Sterben.
Ich schließe
mit Worten von Matthias Claudius:
„Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine
Zeit,
und alle Welt vergehet, wie ihre Herrlichkeit.
Es ist nur einer ewig und an allen Enden,
und wir in seinen Händen.“
Amen
Danke das ist eine sehr schöne und hoffnungsvolle Predikt.
AntwortenLöschenAm Ende ist immer noch Hoffnung.
Ja. Wirklich wunderschön. Danke für diese über dieses Leben reichende hoffnungsvolle Predigt.
AntwortenLöschenJesus wie gut dass du da bist. Ein Hirte auf den man sich im Leben und Sterben verlassen kann. Hilf uns Menschen hier auf Erden uns barmerziger, friedlicher und liebevoller miteinander und der Natur umzugehen damit sich alle hier wohlfühlen können. AMEN.
Ich kann diesen Kommentaren nur zustimmen.
AntwortenLöschenUnd in diesem Zusammenhang wäre es auch gut, wenn man die Meinung anderer (gestrige Meinung über dass Thema Impfen) freundlich kommentiert. Das Thema Impfen ist derzeit ein wichtiges Alltagsthema, warum soll es dann nicht in einer Predigt aufgenommen werden.
Uns allen einen gesegneten, freundlichen Wochenbeginn.