Montag, 10. Mai 2021

Alles hat seine Zeit (Predigt) hl

Vorbemerkung: Aufgrund des großen Interesses an meinen Predigten bei den Trauerfeiern für Rosi B. und Elsa F. bringe ich heute die Ansprache für Hans S.

Liebe Familie S., liebe Trauergäste, 

»Alles hat seine Zeit«, sagt das Bibelwort in der Traueranzeige für Hans S., alles, was auf der Welt und in unserem Leben geschieht. Und so geht das Wort weiter:

»Geborenwerden und Sterben hat seine Zeit, Pflanzen und Ausreißen,

Töten und Heilen hat seine Zeit, Einreißen und Aufbauen,

Weinen und Lachen hat seine Zeit, Klagen und Tanzen,

Umarmen und Loslassen, Schweigen und Reden hat seine Zeit,

Lieben und Hassen, Krieg und Frieden.

Alles hat seine Zeit. Alles kommt und geht. Für alles auf der Welt hat Gott die rechte Zeit bestimmt. Doch in das Herz des Menschen hat er den Wunsch gelegt, nach dem zu fragen, was bleibt.« (Prediger 3,1-11 in Auswahl)


Hans S. hatte seine Zeit vom 5. November 1930 bis 2. Mai 2021. 90 lange Jahre währte sein Leben, eine Zeit voll Arbeit, von Kindesbeinen an bis ins Alter. Erst mit 75 Jahren war Feierabend, war „das Tagwerk vollbracht“.

    Und du hier hast auch deine Zeit. Deine Kindheit ist schon vorbei. Für viele auch die Jahre der Jugend. Manche von euch stehen jetzt mitten im Leben. Für andere wie mich ist der Lebensabend gekommen. Doch wer weiß schon, wie viel Zeit ihm noch bleibt? Sind es wirklich noch Jahre oder vielleicht nur noch Tage? So viel steht fest: für jeden von uns hier ist dieser Tag heute der erste vom Rest des Lebens. Nur wissen wir nicht, wie viel Sand noch im Stundenglas ist, der unablässig von oben nach unten rinnt.

    Doch vielleicht ist die Frage, wie lange man lebt, falsch gestellt. Es geht doch nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben. Und das kann jeder von uns hier nur selbst beantworten, ob seine Tage mit Leben gefüllt sind oder leer.

    Solange Hans S. arbeiten konnte, war sein Tag randvoll mit Arbeit gefüllt. Und wenn er dann zur Ruhe kam, ist er eingeschlafen. Das war sein Leben. Darin fand er seinen Sinn. Das hat ihn auch erfüllt. Mehr brauchte er nicht, keinen Urlaub, keine Freizeit, nur seine Zeitung. Er war Landwirt mit Leib und Seele. Was ihn selbst anging, so war er bedürfnislos wie ein Eremit. Und doch war er offen und interessiert an allem, was in seiner kleinen und in der großen Welt vor sich ging.

    Für die Familie war das nicht einfach, weil sie mit dem Vater gerne auch mal Zeit verbracht hätte. Doch er steckte seine ganze Zeit und Kraft in den Hof, um ihn nicht gezwungenermaßen aufgeben zu müssen. Er wollte, selbst entscheiden, wann er den Stall zusperrt. Und zuletzt wollte er nicht gezwungenermaßen so lange leben müssen, wie es die Medizin ermöglicht hätte. Er wollte selbst entscheiden, wann die Behandlungen beendet werden und das Hinauszögern des Sterbens ein Ende hat. So hatte er letztes Wochenende beschlossen, nach acht Jahren die Dialyse zu beenden wohlwissend, dass das sein Ende bedeutete.

    Am Sonntag Abend ist er dann im Beisein seiner Töchter Christa und Margit zuhause gestorben. Die eine hat dabei seinen Kopf gehalten, die andere seine Hände. Ich möchte euch für diesen Dienst der Liebe an eurem Vater an seiner Stelle danken. Besser kann ein Mensch nicht aus dieser Welt gehen. Ihr wart in diesen Augenblicken für ihn wahre Engel. Und als ihr ihn wieder loslassen musstet, hat Gott der Herr ihn gehalten und heimgetragen, dorthin, wo vor über 90 Jahren alles begonnen hatte. Alles hat seine Zeit, Halten und Loslassen hat seine Zeit. Kommen und Gehen.

    Hans S. war ein von Gott gesegneter Mann. Dazu gehören seine vier Töchter, von denen eine bereits gestorben ist. Als er einmal gefragt wurde, was sein größter Schmerz in seinem Leben war, sagte er, dass dieses Kind behindert auf die Welt kommen musste. Und ich sage dazu, was viele von euch vielleicht jetzt nicht verstehen: Wir werden von Gott auch mit unseren Schmerzen gesegnet, auch mit unseren Enttäuschungen und unserem Leid. Auch das macht uns aus und gehört zu uns, wie die schönen Tage, wie der Erfolg und das Glück. Ein anderes Leben gibt es nicht.

    Hans S. war gesegnet mit vier Enkeln und zwei Urenkeln, mit einer staunenswerten Arbeitskraft und einem nicht minder staunenswerten Gedächtnis. Er hätte das Zeug dazu gehabt, auf eine weiterführende Schule zu gehen, vielleicht sogar auf die Universität, so, wie das seine Enkel jetzt tun. Das war sein großer Traum. Doch dazu fehlte in der Familie mit sechs Kindern das Geld. Stattdessen musste er bald nach der Konfirmation im Jahr 1944 von Zuhause fort und als Knecht auf fremden Höfen arbeiten.

    Wenige Wochen vor Kriegsende wurden er und andere 14-jährige als Hitlers letztes Aufgebot in Ansbach gemustert. Dann sollten die Kinder 50 Kilometer nach Weißenburg marschieren, um schließlich die vorrückenden Amerikaner aufzuhalten. Das wäre ihr sicherer Tod gewesen. Da sagte ein mutiger Vater den Erfüllungsgehilfen der SS: »Wenn ihr nicht einmal mehr ein Lastauto habt, um die Buben zu fahren, dann nehme ich sie wieder mit.« Und so geschah es dann auch.

    Nach seinen Jahren als Bauernknecht war Hans S. zunächst LKW-Fahrer. Schließlich hat er 1958 in den Hof seiner Frau eingeheiratet und sich ganz und gar der Landwirtschaft verschrieben.

    Während die meisten Höfe in unseren Dörfern längst aufgegeben worden waren, hielt er sich noch lange über Wasser. Im Winter arbeitete er mit seinem Freund Hans H. bei einer Forstbehörde im Wald. Das war für ihn eine schöne Abwechslung, die ihm viel Freude gemacht hatte. In der übrigen Zeit des Jahres saß er auf seinem Bulldog, als wäre er da zur Welt gekommen, und kümmerte sich um die Felder und das Vieh. So gelang es ihm mit großem Fleiß und großer Disziplin für seine Töchter das Nachbaranwesen zu erwerben und zu renovieren und auch noch einmal einen neuen Stall zu bauen.

    Vor dieser Lebensleistung des Hans S. ziehe ich meinen Hut. Auch wenn er in den letzten Jahren als Landwirt von seinen Töchtern immer wieder unterstützt wurde, so war er doch die längste Zeit ein Einzelkämpfer. Er war, wie seine Kinder zu ihm sagten, der Häuptling auf dem Hof. Er wusste genau, was, wie und wann gemacht werden musste. Trotzdem war er für seine Töchter ein liebevoller und, wie sie selbst sagen, herzensguter Vater.

    Alles hat seine Zeit. Vor 15 Jahren starb seine Frau. Das Wohnhaus steht nun leer und auch der Stall. Der Häuptling ist gegangen und mit ihm auch ein Stück Dorfgeschichte.

War es das? Nein. Auch wenn er gegangen ist, so bleibt er doch in den Herzen seiner Familie und in der Erinnerung von manchen von uns, die mit ihm bekannt waren. Aber noch etwas anderes soll bei seiner Beerdigung zur Sprache kommen. Im Bibelwort für diese Trauerfeier heißt es am Schluss: »In das Herz des Menschen hat Gott den Wunsch gelegt, nach dem zu fragen, was bleibt.«

    Und das ist er selbst, der Herr über Raum und Zeit. Er bleibt derselbe, der er gestern war. Und er wird auch morgen derselbe sein, der er heute ist. Er ist der ewige und heilige Gott. Aber auch der barmherzige, der uns in Jesus begegnet. Er hat die ganze Welt und dich und mich und Hans S. aus Freude und Liebe geschaffen. Und was Gott liebt, das will er nicht mehr verlieren. Ihm gehören wir. Bei ihm bleiben wir im Leben und im Sterben, in dieser Welt und in jener.

    Darauf kannst du vertrauen. Denn auf dich kommt dabei nichts an, auch nicht auf deinen Glauben oder Unglauben, sondern alles auf ihn. Wie auch immer du lebst, er bleibt dir treu. Für diese gute Nachricht hat Jesus gelebt, ist er gestorben und auferstanden. Halte dich an ihm fest, dann bist du gehalten im Leben und im Sterben.

Ich schließe mit Worten von Matthias Claudius:

„Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine Zeit,
und alle Welt vergehet, wie ihre Herrlichkeit.
Es ist nur einer ewig und an allen Enden,
und wir in seinen Händen.

Amen


3 Kommentare:

  1. Danke das ist eine sehr schöne und hoffnungsvolle Predikt.
    Am Ende ist immer noch Hoffnung.

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  2. Ja. Wirklich wunderschön. Danke für diese über dieses Leben reichende hoffnungsvolle Predigt.
    Jesus wie gut dass du da bist. Ein Hirte auf den man sich im Leben und Sterben verlassen kann. Hilf uns Menschen hier auf Erden uns barmerziger, friedlicher und liebevoller miteinander und der Natur umzugehen damit sich alle hier wohlfühlen können. AMEN.

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  3. Ich kann diesen Kommentaren nur zustimmen.
    Und in diesem Zusammenhang wäre es auch gut, wenn man die Meinung anderer (gestrige Meinung über dass Thema Impfen) freundlich kommentiert. Das Thema Impfen ist derzeit ein wichtiges Alltagsthema, warum soll es dann nicht in einer Predigt aufgenommen werden.
    Uns allen einen gesegneten, freundlichen Wochenbeginn.

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